zum Hauptinhalt

Sport: Der Sonntagsschuss: Spielmacher der neuen Schule

So ganz ist der Moment nicht mehr zu rekonstruieren, in dem seine Gesten aufzufallen begannen. Wohl im Laufe des letzten halben Jahres dürfte es sich immer mehr gehäuft haben, dass man Michael Ballack seine Kollegen in ihre Position weisen sah.

So ganz ist der Moment nicht mehr zu rekonstruieren, in dem seine Gesten aufzufallen begannen. Wohl im Laufe des letzten halben Jahres dürfte es sich immer mehr gehäuft haben, dass man Michael Ballack seine Kollegen in ihre Position weisen sah. Da musst du hinlaufen. Dort musst du stehen. Das schien er zu sagen, oder genauer gesagt: zu schreien. Selbst von hoch oben auf der Tribüne aus war bestens zu hören, wie er seine Kollegen bei Bayer Leverkusen auf dem Rasen zurechtwies. Und sie quittierten derlei Maßregelungen weder mit offenem Widerspruch noch mit wegwerfenden Handbewegungen. Schließlich, daran zweifelte keiner der Kollegen, ging es Ballack nicht um die Entfaltung eines gewachsenen Egos auf dem Spielfeld. Er wusste einfach, was richtig ist.

Vor geraumer Zeit hat Ballack in Interviews oft angemerkt, dass seine Spielweise aufgrund des ganz eigenen Bewegungsablaufes vielleicht lässig aussähe, es aber keinesfalls sei. Das muss er heute nicht mehr behaupten, längst verbreitet er den Eindruck irritierender Entspanntheit nicht mehr - denn er spielt nicht mehr lässig. Seine Körpersprache signalisiert nun eine Bestimmtheit, die jenseits des Selbstbewusstseins eigener Fähigkeiten liegt. Michael Ballack kreist nicht mehr nur um sich, sondern hat das Team im Blick, das am Ende der Saison zum ersten Mal eine Deutsche Meisterschaft nach Leverkusen holen will.

Weil Ballack zum zentralen Akteur in Bayers Mittelfeld aufgestiegen ist, nährt er deutsche Sehnsüchte. Wenn es schon keinen Libero mehr gibt, keinen Erbfolger von Kaiser Franz Beckenbauer, soll doch wenigstens der Spielmacher wieder auferstehen. Als Sachwalter einer Tradition, die so große Namen wie Fritz Walter, Wolfgang Overath oder Günter Netzer aufweist. Doch welche Metaphorik man auch bemüht, die des Regisseurs, Genies im Zentrum aller Aktionen oder gar martialisch die eines Schlachtenlenkers, Michael Ballack wird diese Sehnsucht nicht stillen können. Die Cäsaren des Mittelfelds sind der Arbeitsteilung im modernen Fußball zum Opfer gefallen. Sie müssen nach hinten schuften, haben keine Wasserträger mehr um sich herum, die ihnen zuarbeiten wie die Drohne im Bienenstaat. Wimmer rannte, und Netzer durfte für seinen nächsten Geniestreich verschnaufen, das ist für immer vorbei. So muss sich selbst Michael Ballack daran messen lassen, wie oft er dem Gegner den Ball abluchst, und nicht nur an der Zahl seiner gespielten Zauberpässe.

Trotzdem gibt es auch heute noch ein Element im Spiel, an dem wir die besten Akteure in der Mitte des Feldes erkennen können. Womit wir wieder bei jenem Ballack sind, der seinen Kollegen auf dem Rasen ihren Platz zuweist. Große Spieler zeichnet fast immer ein besonderes Gefühl für den Raum aus. Zweifellos ist das hinten wichtig, wo man die Abwehrreihen dicht geschlossen haben will. Von großer Bedeutung ist es auch vorne, wo die Suche nach der Lücke in der Defensive des Gegners immer aufwändiger wird. Doch von besonderer Bedeutung ist es in der Zentrale des Spielfeldes, wo der meiste Betrieb herrscht und die Partien in aller Regel entschieden werden. Eine richtige Positionierung dort hilft, Zweikämpfe zu ersparen, vermeidet manche Bedrängnis in der Abwehr und eröffnet neue Möglichkeiten im Angriffsspiel.

Weil Ballack mit dem besonderen Gefühl für den Raum auf einem Spielfeld ausgestattet ist, hilft er denjenigen, denen das nicht so gegeben ist. Stefan Effenberg, den er beim FC Bayern München in der kommenden Saison ablösen wird, verfügt ebenfalls in großem Maße über dieses Gefühl. Doch mit zunehmendem Alter ist er immer mehr von einem Vasallenstaat um ihn herum abhängig geworden, den er für sich passend positioniert. Ein Hauch von altem Spielmachertum umweht ihn so, und nicht zuletzt daran sind die Bayern in diesem Jahr gescheitert. Die Welt Effenbergs ist auf dem Platz immer enger geworden, während die von Michael Ballack sich im Laufe dieser Saison ausgeweitet hat. Er räumt vor der eigenen Abwehr mit auf, initiiert das Spiel von hinten heraus, orchestriert die Angriffe im Mittelfeld und ist zu seiner eigenen Verblüffung torgefährlich geworden.

All das hat Prüfungen standgehalten, erst in der Bundesliga, dann in der Champions League, zwischendurch im Nationalteam. Wobei die Qualifikationsspiele gegen die Ukraine der extremste Test waren, weil sie zur Schicksalsfrage des deutschen Fußballs erhoben wurden. Ballack schoss drei der fünf deutschen Tore, und wenn man etwas genauer nachdenkt, fiel der Beginn des lauten Michael Ballack wohl in diese Zeit.

Christoph Biermann

Zur Startseite