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Sport: Der Spaß siegt

Kanadierin Turgeon gewinnt sensationell Gold bei der Ski-WM, während Hilde Gerg als 14. noch die Beste im schwachen deutschen Team ist

St. Moritz (Tsp). Sie mussten keine Startrampe bewältigen, die so steil ist, dass Normalsterblichen beim Blick in die Tiefe schlecht wird. Sie hatten kein Anfangsgefälle von 45 Grad, wie die Männer bei ihrer Abfahrt. Die Frauen mussten bei der SkiWM in St. Moritz bei ihrer Abfahrt eine Strecke bewältigen, die sie geringschätzig als „Baby-Abfahrt“ abqualifizierten. Es war eine anspruchslose, eine uninteressante Strecke, heißt das übersetzt, anspruchslos jedenfalls für die Weltklasse-Fahrerinnen. Und auf dieser so genannten Baby-Abfahrt gab es gestern eine Sensationssiegerin. Melanie Turgeon aus Kanada setzte sich in 1:34,30 Minuten vor den zeitgleichen Corinne Rey-Bellet (1:34,41) aus der Schweiz und Alexandra Meissnitzer aus Österreich durch. Die 26-jährige Turgeon hatte damit ihre erste Medaille bei einem Großereignis gewonnen. „Du musst Spaß an deinem Sport haben, dann geht alles von alleine“, sagte die Siegerin freudestrahlend. Die Italienerin Lucia Recchia empfand die Piste allerdings nicht als Baby-Abfahrt. Sie stürzte schwer und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Die 23-Jährige erlitt eine Gehirnerschütterung.

Und welche Platzierung erreichte Hilde Gerg? Die Frau, die für viele Deutschlands große Hoffnung bei dieser WM darstellte? Die Frau, der manche sogar die Goldmedaille in der Abfahrt zutrauten, ja, die von ihr diese Goldmedaille sogar erwarteten? Hilde Gerg wurde 14. Sie fuhr 1:35,16 Minuten, und sie konnte das schlechteste Abfahrtsergebnis des Deutschen Skiverbandes (DSV) bei einer WM seit 1970 nicht verhindern. Konnte sie nicht? Natürlich konnte sie das nicht. Sie hatte sich ja Mitte Dezember das Kreuzband angerissen, „und es dauert bis zu zehn Wochen, bis man danach sein Knie auch nur einigermaßen wieder belasten kann“, sagt der Sportarzt und Orthopädie-Professor Bernd Michael Kabelka. Bei Gerg müssen die Muskeln das lädierte Knie stabilisieren, aber der geringste Fahrfehler hätte bei ihr unverändert fatale Folgen, das darf man nicht vergessen.

Dass die Zuschauer trotzdem Gefahr laufen, diesen Umstand zu verdrängen, liegt an ihr selber. Sie fuhr ja schon zwölf Tage nach ihrem schweren Unfall wieder ein Weltcup-Rennen, und sie will von ihrer Verletzung nichts mehr wissen. Dennoch ist sie auf keinen Fall in Topform, sie kann es gar nicht sein. Zudem kommt bei einem Rennen automatisch eine geistige Blockade. Wer mit schlimmsten Folgen bei einem Fahrfehler rechnen muss, sagen erfahrene Psychologen und Sportärzte, kann nicht völlig unbeschwert auf die Piste gehen, auch wenn er das Gegenteil behauptet. Hilde Gerg sagte: „Gesundheitliche Probleme haben mich nicht beeinträchtigt, ich bin einfach eine schlechte Linie gefahren.“ Zudem hatte Gerg gestern auch noch eine leichte Grippe. „Sie gehört eigentlich ins Bett“, sagte der deutsche Teamarzt Ernst-Otto Münch.

Aber natürlich hatte Gerg es so nicht gesehen, natürlich war sie enttäuscht nach dem Rennen. Es war aber auch eine Enttäuschung über die Gesamtbilanz der deutschen Frauen. Wie im Super-G waren alle deutschen Athletinnen von der Weltspitze weit entfernt und stehen bisher mit leeren Händen da. Denn auch Regina Häusl (1:35,21) als 16. sowie Maria Riesch (1:35,29) auf Platz 17 und Isabelle Huber (1:36,03) auf Rang 25 landeten auf hinteren Rängen. „Die Gesamtbilanz passt nicht zu den Saisonleistungen, aber bei einer WM ist es eigentlich egal, ob du 4., 5., 20. oder 30. wirst“, sagte Hilde Gerg.

Vor einem Jahr war sie als große Favoritin bei den Winterspielen knapp an Medaillen vorbeigefahren. Im Super-G bei der WM in St. Moritz dagegen war sie nur auf dem 20. Platz gelandet. „Es hat sich trotzdem gelohnt, hier zu starten“, sagte sie gestern.

Unklar ist nun, ob die beste deutsche Skifahrerin ihre Karriere, wie sie es im Vorjahr angekündigt hatte, nach der Saison beendet. Mittlerweile rechnen jedoch immer mehr Experten damit, dass die amtierende Super-G-Weltcupsiegerin mit einer solchen WM-Bilanz nicht abtreten will.

In St. Moritz schauen jetzt im deutschen Lager alle Trainer, Athleten und andere Experten auf Martina Ertl. Die 29-Jährige soll endlich die erste Medaille für den Deutschen Skiverband holen. Dass eine Frau für Edelmetall sorgen muss, gilt als ausgemacht. Die deutschen Männer haben so gut wie keine Chance auf eine Medaille. Martina Ertl verzichtete am Sonntag auf den Start in der Spezialabfahrt. Sie muss am Montag ausgeruht sein, denn da ist ihr großer Tag. Da findet die Kombination statt, und die Deutsche ist Titelverteidigerin. „In diesem Wettbewerb habe ich einfach größere Chancen auf eine Medaille“, sagte die Weltmeisterin von 2001. Größte Konkurrentin von Martina Ertl dürfte trotz ihrer Knieprobleme die Olympiasiegerin Janica Kostelic aus Kroatien sein.

Vielleicht aber auch triumphiert eine Außenseiterin. Eine Frau wie Melanie Turgeon. Eine Frau, die so viel Spaß am Fahren hat, dass alles wie von selbst geht.

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