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Sport: „Der Sport erzieht nicht zu Gier“

Hans Wilhelm Gäb, der Chef der Deutschen Sporthilfe, über Wettkämpfe zwischen Moral und Betrug sowie ethische Momente 2006

Herr Gäb, hinter uns liegt ein Jahr voller Dopingfälle und Korruptionsskandale. Ist es nicht Zeit, anzuerkennen, dass der Sport bis jetzt verklärt wurde und in Wirklichkeit nicht besser ist als der Rest der Gesellschaft?

Mir liegt daran, die Grundsätze des Sports und seine Vorzüge zu verteidigen. Von verklären halte ich nichts. Wo es Sieg und Niederlage gibt und auch Geld und Ruhm, da findet sich neben Fairplay und Respekt vor den Regeln eben auch das Gegenteil davon. Das Zusammensein von fast 30 Millionen Menschen in 80 000 deutschen Sportvereinen ist aber doch nicht von Korruption und Doping geprägt. Und ich glaube, dass ich in einem Sportverein die Prinzipien von Solidarität und Teamgeist leichter finden kann als in anderen Bereichen der Gesellschaft.

Warum denn eigentlich?

Weil ich in ein Umfeld gerate, in dem die Abläufe ganz natürlich durch Regeln bestimmt werden, denen sich jeder unterzuordnen hat. Es ist ein Umfeld, in dem die soziale Rangordnung wenig zählt, sehr viel dagegen die Leistung und das soziale Verhalten dem anderen gegenüber. Die Regeln von Sport und Spiel gelten für alle, und das schafft doch ein Gefühl der Gemeinsamkeit.

Wird der Sport seine Glaubwürdigkeit überhaupt zurückgewinnen können?

Der Sport verliert seinen Sinn durch einzelne Exzesse ebenso wenig wie die Rechtsprechung im Staat durch einzelne Fehlurteile. Er könnte sie allenfalls verlieren, wenn er seine Ideale und Prinzipien aufgäbe und sich nur noch als Unterhaltungsgeschäft verstünde. Das aber ist an der Basis des Sports, in den Vereinen, doch ausgeschlossen. Wir sollten die winzige Minderheit der bezahlten Sportler und dort auftauchende Probleme nicht mit dem Sport insgesamt gleichsetzen.

Beunruhigt es Sie denn nicht, dass immer häufiger nach Spitzenleistungen gesagt wird: Die sind doch alle gedopt?

Doch, das diskreditiert den Begriff Sport. Deswegen muss man der Verallgemeinerung ebenso hart entgegentreten wie dem Doping einer Minderheit.

Betrug in allen gesellschaftlichen Bereichen wird vom Staat strafrechtlich verfolgt, nur nicht im Sport. Müsste der Staat nicht auch dopende Athleten bestrafen?

Auch ich warte und hoffe auf einen Gesetzentwurf, der die Bestrafung betrügerischer Sportler ermöglicht, ohne dass die Effektivität und die sofortige Entscheidungsfähigkeit der Sportgerichte ausgeschaltet werden. Es muss verhindert werden können, dass ein überführter Betrüger an der Sportgerichtsbarkeit vorbei durch drei Instanzen prozessieren kann und auf diese Weise jahrelang weiter sein Startrecht behält.

Herr Gäb, gab es für Sie ein ethisches Moment bei der Fußball-WM?

Na klar. Oliver Kahn – er überwindet seine persönliche Niederlage gegen Jens Lehmann, hilft der Mannschaft und ermutigt seinen großen Gegner vor dem Elfmeterschießen gegen Argentinien. Ein Bild für Millionen, das Wirkung hat und im Gedächtnis haften bleibt.

Wie könnte man beispielsweise dem Schinden von Elfmetern und der Schauspielerei im Fußball begegnen?

Fragen Sie doch den DFB-Präsidenten Theo Zwanziger. Unter seiner Führung entdeckt der Fußball seine gesellschaftspolitische Verantwortung neu. Er und sein Team werden sicherlich alles tun, um die Schiedsrichter im Kampf gegen diese Betrügereien zu unterstützen.

Ethische Grundsätze werden im Sport zur Steigerung des Marktwertes benutzt. Mit dem Slogan „Celebrate Humanity“ wirbt beispielsweise das Internationale Olympische Komitee für seine Spiele. Ist das nicht scheinheilig?

Scheinheilig würde ich das nicht nennen, vielleicht ein wenig pathetisch. Der Sport sollte sich von Floskeln und Marketingslogans nach Möglichkeit abgrenzen. Ansonsten halte ich aber die Olympischen Spiele für eine friedlichere und menschlichere Zusammenkunft als etwa eine Vollversammlung der Uno, in der sich Vertreter mancher Nationen ganz offen hasserfüllt begegnen.

Was sind denn überhaupt die Werte des Sports?

Wer Sport betreibt, muss nach Regeln kämpfen. Er lernt, dass Leistung zählt, dass Sieg und Niederlage zum Leben gehören, dass man ohne seinen Nächsten verloren ist, dass Teamarbeit zählt, dass sich der Wert eines Menschen nicht nach Einkommen, sozialer Herkunft, Religion oder Hautfarbe bemisst, sondern nach seinem Können und nach seiner anständigen Haltung als Mitstreiter oder Gegner. Wer die Schule des Sports durchlaufen hat, verfügt in der Regel im Leben und im Beruf über bessere Grundlagen als andere.

Warum?

In deutschen Sportvereinen gibt es zehn Millionen Kinder und Jugendliche. Wo sonst können die den Wettbewerb nach Regeln besser lernen? Wo sonst erfahren sie Toleranz? Wo sonst erhalten die einen besseren Sozialkunde-Unterricht?

Nennen Sie doch mal eine moralische Instanz im Sport!

Kennen Sie eine moralische Instanz in der Politik, in der Kunst, in der Literatur? Oder kennen Sie einen Menschen, der dem Anspruch auf Makellosigkeit genügt? Aber es gibt Persönlichkeiten, vor denen ich Respekt habe, die sich zum Sport bekennen und seine Prinzipien verteidigen – ob das nun Richard von Weizsäcker ist oder Horst Köhler, Wolfgang Schäuble oder Nelson Mandela.

Sollte es ein Gütesiegel für ethisch sauberen Sport geben, so wie es ein Gütesiegel für Bioprodukte gibt?

Ein derart herausgehobener Sport könnte den moralischen Ansprüchen nicht genügen.

Weshalb nicht?

Nehmen Sie meinen Sport, das Tischtennis. Dort korrigieren die Profis den Schiedsrichter, wenn der einen Kantenball des Gegners nicht gesehen hat. Im Tennis geben die Spieler selten zu, dass der Ball des Gegners noch auf der Linie war. Aber darf ich deshalb glauben, im Tischtennis gäbe es die besseren Menschen? Jede Sportart muss für ihre eigene Kultur und Integrität Sorge tragen.

Wie könnte in der Praxis die Ethik des Sports gefördert werden?

Wir in der Stiftung Deutsche Sporthilfe fordern in diesen Wochen von 4000 durch uns geförderten jungen Athleten aus 44 Sportarten ein Gelöbnis, den „Sporthilfe-Eid“. Zusammen mit einem Bürgen bekennen sich die besten Sportlerinnen und Sportler Deutschlands schriftlich zum Kampf für Fairplay und gegen Doping. Bei Verstößen heißt das: Rückzahlung der Fördergelder. Das ist die bisher stärkste moralische Verpflichtung deutscher Sportler, und unsere Aktion ist von den Athleten fast begeistert aufgenommen worden. Die große Mehrheit der Leistungssportler ist es leid, pauschal unter Dopingverdacht gestellt zu werden.

Belohnt wird im Sport die Leistung, für Fairness gibt es keine Punkte. Fördert nicht auch die Sporthilfe ausschließlich nach Leistungskriterien?

Sicherlich, die Sporthilfe fördert Eliten und Leistung. Weil das Streben nach Verbesserung, die Freude am Wettbewerb und der Versuch, unter gleichen Bedingungen besser zu sein als andere, ein Kernelement des Sports ist. Aber die Sporthilfe stellt dabei drei zentrale Leitbegriffe in den Vordergrund: Leistung ja, aber daneben und nicht dahinter auch Fairplay und Miteinander. Leistung ohne Menschlichkeit würde eine Gesellschaft zerstören.

Wie werden die Leitbegriffe Fairplay und Miteinander von der Sporthilfe gefördert?

Wir haben zum Beispiel den Verein der Ehemaligen „Emadeus“, in dem Hunderte von ehemals unterstützten Sportlern mit Tat und Rat für die neuen Generationen einstehen. Da wird das Prinzip Hilfsbereitschaft praktisch hochgehalten. Das ist auch wichtig als Vorbild für den Breitensport.

Wenn sich der Breitensport am Spitzensport orientiert, hätte er viele Dopingtäter, Betrüger und Steuerflüchtlinge zum Vorbild. Muss und kann sich der Breitensport daher nur auf sich selbst beschränken?

Der Übergang zwischen Breitensport und Spitzensport ist fließend, da lassen sich keine Grenzen ziehen. Und der Spitzensport bietet doch trotz seiner Problemfelder Vorbilder in Fülle, die Leistung und Erfolg mit anständigem Verhalten verbunden haben: von Hans Günther Winkler bis Rosi Mittermaier,von Franz Beckenbauer bis Franziska van Almsick, von Kati Wilhelm bis Steffi Graf. Stellen Sie denen mal die wenigen schwarzen Schafe gegenüber.

Viele Sportarten sind vom Doping verseucht, es werden die Cleveren und Trickser gefeiert, nicht die Anständigen. Der Sport erzieht zum Finden der Lücken, zur einseitigen Konzentration auf seine Disziplin.

Es gibt Sportarten, die besonders dopinganfällig sind. Aber wer feiert denn entlarvte Betrüger? Ich möchte Ihnen da generell widersprechen. Die Gier nach Geld und die Suche nach Erfolg um jeden Preis – die mögen für eine Minderheit Antrieb sein. Aber es ist doch nicht der Sport, der dazu erzieht. Wäre es so, würde das Vorhandensein von Geld zum Diebstahl erziehen. Die Existenz von Banken zum Einbruch.

Würden Sie Ihren Enkeln guten Gewissens zum Leistungssport raten?

Die müssen ihren Weg selbst finden. Aber wenn er in den Sport führt und auch in den Leistungssport, freue ich mich. Ich kenne wenige Lebenswege junger Leute, die bessere Perspektiven für eine positive menschliche Entwicklung bieten.

Die Fragen stellten Robert Ide und Friedhard Teuffel.

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