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Uli Hoeneß als Zuschauer bei einem Spiel des FC Bayern München.

© Imago

Der Uli Hoeneß in uns: Biografie über den Ex-Präsidenten des FC Bayern

Was an Uli Hoeneß bewegt, schlummert in uns selbst, schreibt der Fußball-Autor Christoph Bausenwein in seiner gerade aktualisierten Biografie. Ein Auszug.

Als "Papa" des FC Bayern zeigte sich Uli Hoeneß als strenger Anführer und Pädagoge, dabei stets geleitet von einem ausgeprägten Verantwortungs- und Mitgefühl für alle Mitglieder der Vereinsfamilie. Aus den Maximen seines Bayern-Patriarchats zog er die Grundsätze einer Ethik, die ihm die positive Folie bot für eine allgemeine Gesellschaftskritik. Sattsam bekannt sind etwa seine Klagen über die Gefahren des weit verbreiteten Mangels an Leistungsbereitschaft oder des um sich greifenden Werteverlusts. Sowohl als Macher des FC Bayern wie auch als universelle Beurteilungsinstanz erwies er sich jedoch als einer, der gerne unterschiedliche Messlatten anlegte – bis hin zur Doppelmoral.

Fragwürdiges Selbstverständnis

Die Doppelbödigkeit seines Verhaltens trat beispielsweise zutage, wenn er sich für die Gesamtvermarktung der Bundesliga starkmachte. Immer behauptete er, das allgemeine Wohl der gesamten Liga im Auge zu behalten, doch selbstverständlich kümmerte er sich um das spezielle Wohl seiner Bayern ganz besonders. Manchmal gab es da Win-win-Situationen, oft aber kollidierte der "Mister Bayern" mit dem "Mister Bundesliga", so etwa im Zuge der berüchtigten Kirch-Affäre. Im Zweifel hielt Uli Hoeneß seine allgemeinen ethischen Grundsätze immer nur so lange durch, wie sie die wirtschaftlichen Interessen der Bayern nicht beeinträchtigten. Wenn es darauf ankam, machte der allgemeine Moralist Hoeneß Pause, dann war er ausschließlich ein Moralist für den FC Bayern.

Seit der Steueraffäre weiß man zudem, dass dieser Uli Hoeneß nicht nur als "Mister Bayern" seine eigenen Gesetze macht, sondern auch als Privatmann. Für einen Hoeneß gelten nur die selbst gesetzten Maßstäbe. Steuerhinterziehung? Schlechtes Gewissen? Hat er nicht im Lauf seines Lebens weit über 50 Millionen Euro an Steuern gezahlt? Hat er nicht weit, weit mehr gespendet, als an Steuerschuld überhaupt aufgelaufen ist? Hat er nicht seine Schuld sogleich beglichen und mit weiteren Spenden zigfach gesühnt? Darf sich einer wie er in Anbetracht des staatlichen Steuerverschwendens nicht die Freiheit nehmen, selbst zu entscheiden, welche Wohltaten er verteilt?

Die öffentliche Meinung zeigte sich in diesen Fragen kaum gespalten. Einen Ablass in dieser Form könne und dürfe es nicht geben, waren sich die meisten Kommentatoren einig. Da hatte einer die Bodenhaftung verloren und sich über die Regeln gestellt. Sicher, Uli Hoeneß mochte in einem Land, in dem Steuerhinterziehung im Kreise der Reichen und Mächtigen quasi als Volkssport betrieben wird, kein außergewöhnlicher Übeltäter sein. Aber selbst wenn er mit seiner bemerkenswerten Generosität sogar ein vergleichsweise Guter unter den Sündern war – eindeutig ins Unrecht gesetzt hatte er sich eben doch.

Fußball als Abbild urmenschlicher Ambivalenz

So ist es möglich, die Geschichte des Uli Hoeneß wie eine antike Tragödie zu erzählen: von den ersten Stufen des Aufstiegs über die Kette der Erfolge zum Gipfel der Anerkennung, wo sich die Hybris des Helden bemächtigt und ihn schließlich zum Sturz bringt. Und am Ende taucht die Göttin Nemesis auf, die alle menschliche Selbstüberschätzung bestraft und jedem das ihm Gebührende zuteilt im Sinne einer vergeltenden Gerechtigkeit.

Über Gerechtigkeit mag man streiten – aber eines bleibt unbestritten: Uli Hoeneß war einer der letzten echten Fans unter den Machern im deutschen Fußball. Uli Hoeneß liebt den Fußball, Uli Hoeneß lebt den Fußball, Uli Hoeneß ist der Fußball. Es gibt sicher nur wenige Persönlichkeiten, die in ihrer ganzen Leidenschaftlichkeit mit dem Sujet derart identisch geworden sind wie er. Dieser "Football Man" hat die Geschichte des FC Bayern, die Geschichte der Bundesliga, ja, die Geschichte des deutschen Fußballs geprägt wie kein anderer und das mit einem anhaltend hohen Unterhaltungswert. Wie kein Zweiter steht er daher auch für all die Widersprüchlichkeiten, die in diesem faszinierenden Spiel angelegt sind.

Der Mannschaftssport Fußball repräsentiert beispielhaft die urmenschliche Ambivalenz im Ringen um egoistische und altruistische Antriebe. Ein Team kann nur dann Erfolg haben, wenn jeder sein Ego einbringt, sich zugleich aber auch in die Disziplin der Gruppe einfügt und für andere mitkämpft. Uli Hoeneß litt als Spieler unter dieser Ambivalenz und zelebrierte sie als Chef eines Vereins. Sein rasender persönlicher Ehrgeiz fand einen gewissen Ausgleich in der Verantwortung für die gesamte Bayern-Familie. Und weil er als Mister Bayern mit nicht immer nur lauteren Mitteln so erfolgreich wurde, schaffte er sich nicht nur Freunde, sondern eben auch jede Menge Feinde, produzierte er nicht nur Jubel, sondern im selben Maß auch Schadenfreude.

Uli Hoeneß - der Zerknirschte, die Sau, der Samariter

Dieser auf prominenter Bühne bei allerhöchstem Aufmerksamkeitsniveau agierende und im Übermaß geltungssüchtige Erfolgsmensch ist somit vor allem eines: ein dramaturgisch getunter Spiegel des Menschlich-Allzumenschlichen. Wir gehen mit dem Fußball und bei der Hoeneß-Show emotional mit, weil es dabei letztlich um die Sehnsüchte und Ängste, Versuchungen und Abgründe von uns allen geht. Hoeneß – der Triumphator, Hoeneß – der Zerknirschte, Hoeneß – die Sau, Hoeneß – der Samariter, Hoeneß – die ehrliche Haut, Hoeneß – der Betrüger: Alles ist richtig, und alles schlummert in uns selbst. Wir sind voll dabei in allen denkbaren Gefühlsmischungen, weil wir in der Hoeneß-Performance, so dick auf- und wichtigtuerisch vorgetragen sie auch sein mag, das Urskript wiederentdecken, nach dem wir selbst gestrickt sind.

Christoph Bausenwein ist Gründungsmitglied der Deutschen Akademie für Fußballkultur und hat mehrere Fußballbücher geschrieben, vor allem über den FC Bayern München. Seine aktualisierte Biografie "Das Prinzip Uli Hoeneß. Ein Leben in Widersprüchen" ist gerade im Verlag Die Werkstatt erschienen. 480 Seiten, 14,95 Euro.

Christoph Bausenwein

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