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Sport: Der Unberührbare

Sebastian Deisler genießt nach seiner Knieverletzung im Training des FC Bayern einen Sonderstatus

Marbella. Wenn die Profis des FC Bayern München im Trainingsspiel unter der Sonne Südspaniens um einen Stammplatz kämpfen, könnte man annehmen, nur das Siegerteam bekäme am Abend etwas vom Büffet ab. Doch so aggressiv die Angestellten des Rekordmeisters bisweilen zu Werke gehen, einen Kollegen sparen sie bei ihren Tacklings und Grätschen aus. Als Sebastian Deisler an der Seitenlinie einen Ball annimmt, schaut und in Ruhe einen Steilpass schlägt, halten Owen Hargreaves und Michael Ballack Sicherheitsabstand. Wer nicht Bescheid weiß über Deislers endlose Leidensgeschichte, könnte meinen, der schmächtige junge Mann mit dem kurzgeschorenen Schopf sei aus der Spielergemeinschaft ausgeschlossen, so selten nähert sich ihm jemand auf mehr als einen Meter. Ernsthaft attackiert wird er gar nicht.

Der Nationalspieler hat einen langen Weg zurückgelegt hin zu seinem nächsten Comeback. Und nun, bei seiner letzten Etappe, scheinen die Kollegen ihn gemeinsam leiten zu wollen. „Da braucht uns niemand ein Signal zu geben. Bei Basti ziehen wir automatisch zurück, wir wissen ja alle, wie es ist nach so einer langen Verletzungspause“, sagt Niko Kovac. Manchmal behandeln die Kollegen Deisler, als sei er ein Praktikant, der gewissenhaft seinen Job macht. Fast jede gelungene Aktion des 22-Jährigen kommentiert mindestens ein Spieler mit einem Lob, selbst die aus der Mannschaft mit den gelben Leibchen. Sie kleiden die Spieler der ersten Elf. Deisler trägt noch keines. „Ich sage nichts zum Zeitpunkt meiner Rückkehr“, ist das Einzige, was Deisler über den Zeitpunkt seiner Rückkehr sagt. Nur „in meinem Kopf“ existiere solch ein Termin.

„In seiner Situation kann er alles gebrauchen außer irgendwelche Spekulationen über den Zeitpunkt seiner Rückkehr“, erklärt Oliver Kahn. Das Wichtigste sei, „dass man ihn in Ruhe arbeiten lässt. Er muss jetzt Schritt für Schritt herangeführt werden.“ Als reiche das Wort des Kapitäns nicht aus, erbeten sich die Bayern-Profis gemeinschaftlich Geduld für den Langzeitverletzten. Ballack sagt: „Wir hoffen alle, dass Basti bald wieder dabei ist, aber wir sollten ihn nicht unter Druck setzen.“ Elber sagt: „Ich weiß, wie schwer es ist, nach so einer Verletzung zurückzukehren.“ Santa Cruz sagt: „Er braucht noch Zeit. Die Zeit müssen wir ihm geben.“ Kaum einer schweigt über die Integration des Sorgenkindes.

Nur Deisler selbst redet wenig. Oft stiefelt er wortlos vom Trainingsplatz zum Bus, vom Bus ins Hotelzimmer, vom Hotelzimmer in den Speisesaal. Nach der ersten Trainingsteilnahme sagte er den Journalisten einmal etwas. „Ich bin überglücklich“, behauptete er da, wenngleich er nicht so aussah, eher: konzentriert, angespannt. Selbst wenn er Autogramme gibt oder für Fotos posiert, hat er einen Blick, als habe er eine Mission zu erfüllen. Aber das hat er ja auch: seine eigene. Lange genug wartet er darauf.

Längst schon ist Deisler als Superstar geplant, die Werbung verkauft ihn seit Jahren als solchen, niemand zweifelt daran, dass er es schafft. Niemals zuvor hat es einen Spieler gegeben, der mit gerade zehn Bundesliga-Toren in 73 Spielen so hohe Erwartungen schürt - und gleichzeitig so oft verletzt war. Fünf Knieoperationen veranlassten die Bayern, sich gegen Deislers Invalidität zu versichern. Der Druck wird zunehmen. Wenn Deisler erst einmal aus seiner derzeitigen Quarantäne auf dem Spielfeld entlassen wird, muss er sich in München wohl auf Anhieb an dem hohen Niveau messen lassen, das ihm die Branche bereits seit drei Jahren attestiert.

Nicht eben erleichternd kommt der mögliche Zeitpunkt seiner Integration hinzu. Speziell bei den Bayern ist die Erinnerung an missratene Beispiele noch frisch. Als Stefan Effenberg vor Jahresfrist nach einer Siegesserie ebenfalls als Quereinsteiger ins Bayern-Team zurückgekehrt war und plötzlich der Erfolg ausblieb, wurde dies vor allem dem Regisseur angelastet. Sollte sich ähnliches wiederholen – und die Bayern haben mit sechs Punkten Vorsprung in der Liga eine blendende Ausgangslage, um sich zu blamieren –, es würde nicht lange dauern, bis die Zeitungen vorrechneten, dass die Bayern ohne Deisler mehr Punkte holten. Deisler kennt diese Rechenkünste bereits aus seiner Zeit in Berlin.

Doch Kapitän Oliver Kahn sagt: „Sebastian hat oft genug gezeigt, zu welchen außergewöhnlichen Leistungen er fähig ist.“ Auch Michael Ballack zweifelt nicht an der Eignung des Duos Ballack/Deisler für die Zentrale im Bayern-Mittelfeld. „Die Male, die wir in der Nationalmannschaft zusammen gespielt haben, lief es sehr gut. Wir sind eben beide Top-Fußballer.“ Langfristig werde kein Weg an dem gebürtigen Lörracher vorbei führen. „Basti ist ja noch jünger als ich“, sagt Ballack.

Schon während der Trainingsspielchen in Marbella zeichnet sich das Gesicht der Truppe ab, die irgendwann die Ära Effenberg & Co. vergessen machen soll. Roque Santa Cruz und Owen Hargreaves zählen bereits zum erweiterten Stamm, Markus Feulner und Sebastian Schweinsteiger arbeiten in diesen Tagen ebenfalls intensiv an ihrer Entwicklung. Der Mittelplatz unter den Youngstern ist jedoch für Deisler reserviert. Beim Ball-Hochhalten nach Trainingsende zeigt sich das hin und wieder. Gespannt beobachten einige Mitspieler, was Deisler mit dem Ball anstellt. Mal jongliert er ihn auf dem Kopf, mal lässt er ihn auf seinen Fuß fallen und leitet ihn noch in derselben Bewegung weiter. Ab und zu lächelt er dabei sogar. Ganz entspannt.

Daniel Pontzen

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