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Sport: Der verdiente Lohn

Überheblich verspielt Stuttgart seine Titelchance

Er hatte sich vorgenommen, ganz ruhig zu bleiben. Matthias Sammer sprach in kurzen Sätzen, er gratulierte dem Gegner zum „verdienten Sieg“ und bemühte sich, seine Mannschaft nicht allzu sehr zu tadeln. Doch je mehr das Fußballspiel, das Sammer gesehen hatte, in die Vergangenheit rückte, umso schmerzlicher kam dem Trainer des VfB Stuttgart die Chance in den Sinn, die seine Spieler beim FC Hansa Rostock vergeben hatten. Eine Stunde war nach dem Abpfiff bereits verronnen – an der Anzeigetafel des Ostseestadions leuchtete noch immer stolz das 2:1 für den weiterhin hoffenden Abstiegsaspiranten über den nicht mehr hoffenden Meisterschaftsanwärter –, als Sammer seine konservierte Wut an die Außenwelt abgab.

„Was willst du da erklären, wenn du so einen Käse spielst?“, rief er jenen zu, die von ihm wissen wollten, warum sich seine zuletzt so angriffsfreudige Mannschaft mit einem leidenschaftslosen Gastspiel die Chance auf den Titel selbst aus der Hand genommen hatte. Sammer sprach nun abgehackter, seine Augen weiteten sich. Sie fixierten einen Zettel mit der Bundesligatabelle, die Stuttgart nicht auf dem möglichen zweiten Platz ausweist, sondern auf einem unsicheren dritten. „Wir werden am Ende das kriegen, was wir verdienen“, blaffte Sammer den Zettel an und schob ihn verächtlich von sich.

Nach fünf Siegen in Serie, zuletzt einem glanzvollen gegen Schalke, hatte der Trainer seinen Spielern eine ganze Woche lang eingeredet, die Rostocker ernst zu nehmen. Doch niemand hatte ihm wohl zugehört. „Wir hätten mehr kämpfen müssen“, räumte Silvio Meißner ein. „Uns hat der Wille nach vorn gefehlt.“ Gerade ein Mal schoss der zuletzt gefeierte Stürmer Kevin Kuranyi auf das Hansa-Tor. Wieder und wieder scheiterten seine Vorstöße am starken Uwe Möhrle. Seinen Frust entlud Kuranyi in der zweiten Halbzeit bei einem Foul an Hansas Torwart Mathias Schober, für das er die fünfte Gelbe Karte erhielt. Kurz darauf wurde er von Sammer ausgewechselt. Im nächsten Spiel am Samstag gegen Wolfsburg muss Kuranyi pausieren.

Auch in der Abwehr zeigten sich die Stuttgarter überwiegend unkonzentriert. Andreas Hinkel verlor mehrere Kopfballduelle gegen den Schweden Rade Prica – darunter das entscheidende zum 2:1-Endstand. Die überraschend offensive Aufstellung der Rostocker und deren verbissener Siegeswille irritierten den Favoriten bis zum Schluss. Nicht einmal das Ausgleichstor durch Cacau 36 Sekunden nach der Halbzeitpause riss die Stuttgarter aus ihrer Lethargie. Mit Lässigkeit und ohne Leidenschaft ließen sie die Rostocker wieder zurück in ihr Angriffsspiel kommen. „Die Meisterschaft können wir jetzt vergessen“, sagte Meißner mit leiser Stimme.

Matthias Sammer steht nun eine weitere Woche des Warnens bevor. Immerhin muss er seinen Spielern nicht mehr erklären, dass die Meisterschaft ihr Saisonziel ist. „Die Frage ist doch: Bin ich ein Realist, ein Fantast oder ein Spinner?“, schimpfte der Trainer und verließ den Ort des Geschehenen – ohne Antwort.

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