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Sport: Der verschwundene König

Die Schachlegende Bobby Fischer wird 60

Als Robert James Fischer vier Jahre alt wurde, schenkte ihm seine Schwester Joan ein Schachbrett. Dieses Geschenk sollte seinen Lebensweg bestimmen. Wenn heute von der Schachlegende Fischer die Rede ist, bekommen Freunde des königlichen Spiels in aller Welt glänzende Augen. Der elfte Weltmeister der Geschichte polarisiert und elektrisiert die Gemüter wie kein Zweiter: als Spieler, Egozentriker, Paranoiker und Reformator des Schachs. Die Faszination hält seit Jahrzehnten an, obwohl er längst von der Schachbühne verschwunden ist. Am Sonntag wird Robert James Fischer, den jeder Bobby Fischer nennt, 60 Jahre alt.

Nach seinem WM-Sieg über den russischen Titelverteidiger Boris Spasski 1972 in Reykjavik tauchte Fischer unter, um 20 Jahre später wie Phönix aus der Asche wiederzukommen. Es gab eine zweite Partie gegen Spasski in Restjugoslawien, nach der er nicht wieder in die USA zurück durfte. Seit 1992 hat Fischer seine Heimat nicht mehr betreten. Dort drohen ihm 10 Jahre Gefängnis, weil er in einem Embargoland spielte. Nach jahrelangem Exil in Ungarn versteckt sich der Amerikaner heute in Japan, wo eine Frau sein Herz erobert haben soll. Ihr Name ist nur in Schachkreisen bekannt: Watai Miyoko. Sie spielt am ersten Brett des japanischen Damen-Olympiateams.

Viele Persönlichkeiten der Schachszene kreuzten Fischers Weg. Sie machten unterschiedliche Erfahrungen, doch in einem Punkt sind sich alle einig: Fischer ist ein Unikum der Schachgeschichte. Ein wichtiger Zeitzeuge ist Großmeister Lothar Schmid aus Bamberg. Der Karl-May-Verleger kennt Bobby Fischer seit 1959 und leitete seine Partien als Schiedsrichter: „Bobby war und ist in jeder Beziehung eine Ausnahmeerscheinung. Er ist das Schachgenie schlechthin und noch vor den drei großen ,K’ aus Russland – Karpow, Kasparow und Kramnik – zu nennen.“

Boris Spasski, der heute in Frankreich lebt, verlor zwar das WM-Spiel gegen Fischer, schätzte ihn aber wegen seines großartigen Spiels und seiner Professionalität. Heute sind beide Freunde. „Ich werde am Sonntag ein sehr großes Glas Wodka auf Bobbys Wohl trinken“, sagt Spasski am Telefon. Den genauen Aufenthaltsort seines alten Wegbegleiters kennt Spasski zwar nicht, aber es gibt ständigen Internetkontakt. So kann er ihm zumindest auf elektronischem Wege gratulieren. „Bobby hat eine japanische E-Mail-Adresse, aber das muss ja nicht heißen, dass er sich gegenwärtig dort aufhält. Kein Mensch weiß genau, wo er ist. Vielleicht in der Antarktis?“, scherzt Spasski und fügt hinzu: „Ich würde zu jeder Tages- und Nachtzeit wieder mit Bobby spielen.“ Er erwähnt aber auch Fischers unglaubliches Misstrauen: „Nach Bobbys Meinung waren alle sowjetischen Großmeister KGB-Offiziere.“

Anatoli Karpow wurde 1975 am grünen Tisch Weltmeister, weil Fischer seinen Titel nicht verteidigte. „Unser nicht gespieltes Match ist ein Versäumnis der Schachgeschichte“, sagt der mittlerweile knapp 52-jährige Karpow. „Ich habe alles dafür getan und mich dreimal heimlich mit Fischer getroffen: in Japan, in Spanien und in den USA. Aber er stellte einfach unannehmbare Forderungen.“ Die Aberkennung des Titels konnte Fischers Nimbus aber wenig anhaben. Im Jahr 1992, wählten ihn die Leser der Fachzeitschrift „Europa-Rochade“ vor Garri Kasparow „zum besten Spieler aller Zeiten“.

Nach seiner Karriere gab der menschenscheue Fischer dem Schach neue Impulse. Die von ihm entwickelte elektronische Uhr mit Sekundenbonus für jeden Zug ist in der Turnierpraxis längst gang und gäbe. Und der Eremit erfand ein neues Spiel: „Fischerandom Chess“. Bei dieser Disziplin wird die Grundstellung der Figuren vor jeder Partie neu ausgelost. Nur die Bauern bleiben wie gehabt vorne stehen. Auf diese Weise entfällt die Eröffnungstheorie. Es gewinnt nicht, wer lange Varianten am besten auswendig lernen kann, sondern wer das größere Schachverständnis hat. Es gibt bereits den Plan, dass die Cracks Fischer und Spasski ein drittes Match spielen. Dann natürlich im neuen „Fischerandom Chess“.

Dagobert Kohlmeyer

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