zum Hauptinhalt

Sport: Der Wunderheiler

Trainer Otto Rehhagel hat den Griechen den Titel gebracht – jetzt soll er den deutschen Fußball retten

Als im Stadion des Lichts silberne Sterne vom Himmel regneten, rückte Otto Rehhagel den Gummizug seiner Trainingshose zurecht. Der Trainer der griechischen Nationalmannschaft verliert auch in den pathetischsten Momenten nichts von seinem Sinn fürs Praktische. Da stand er nun hinter der Bande für den neuen Fußball-Europameister, bereit für das Siegerfoto, aber einige seiner Spieler tanzten ein paar Meter neben ihm immer noch mit dem Pokal. Rehhagel winkte, die Spieler tanzten weiter, und vermutlich war es das einzige Mal in den drei Wochen dieses griechischen Sommers, dass sich seine Spieler den Anweisungen ihres Trainers widersetzten.

Otto Rehhagel ist ein Kontrollfreak. Wenn er jubelnd über den Platz läuft, streicht er sich mit den Händen über den Scheitel, damit seine Frisur richtig sitzt. Früher, in Bremen, hat Rehhagel den Ausdruck von der kontrollierten Offensive geprägt, und jetzt, bei der EM in Portugal, ging es ihm eigentlich immer nur darum, den Gegner jederzeit unter Kontrolle zu halten. Das ist Rehhagel so gut gelungen, dass er jetzt Europameister ist. „Dass es so weit gehen würde, konnte niemand ahnen“, sagte er selbst.

In Griechenland hat der Trainer aus Deutschland ein Biotop gefunden, in dem seine Fähigkeiten die dicksten Früchte hervorbringen konnten. Früher durfte bei der griechischen Nationalmannschaft jeder mitreden, der Verbandspräsident, die Vertreter der miteinander verfeindeten Vereine, Journalisten und am wenigsten wahrscheinlich der Nationaltrainer. Rehhagel aber hat sich immer nur für seine eigenen Eitelkeiten interessiert. Er hat sich in Athen sein kleines Kaiserslautern geschaffen: Er ist der Chef, und es gibt nur einen, dem er sich verantwortlich fühlt. In Kaiserslautern war das sein Freund Jürgen Friedrich, in Griechenland ist es Vassilis Gagatsis, der Präsident des Verbandes. Alle anderen dürfen ihn feiern. „Er ist der Beste“, sagte Verteidiger Panagiotis Fyssas. „Jeder in der Welt und in Europa kennt ihn.“

Das System Rehhagel wird gelegentlich als Ottokratie bezeichnet, wobei nicht ganz klar ist, worin eigentlich der Unterschied zur lautlich verwandten Autokratie besteht. Jedenfalls hat dieses System eine Reihe von Hofschranzen hervorgebracht, und die schranzigste ist der ZDF-Reporter Rolf Töpperwien. Seit Jahrzehnten begleitet er das Wirken des Otto R. ohne jegliche Distanz. So wünscht sich Rehhagel seine Journalisten. Am Sonntag nach dem Finale kam Töpperwien gemeinsam mit der griechischen Delegation zur Pressekonferenz: Er strahlte, umarmte alle, die nicht schnell genug flüchten konnten, und lachte natürlich am lautesten, wenn sein Meister einen Witz gemacht hatte. Es sah sogar so aus, als würde Töpperwien die Goldmedaille des Europameisters um den Hals tragen. Es war aber nur seine Akkreditierung.

Wohin das alles noch führen wird, ist absehbar. Töpperwiens Arbeitgeber, das ZDF, unterstützt nach Kräften Rehhagels noch nicht erklärte Kandidatur für das Amt des Bundestrainers, und selbst die „Bild“-Zeitung, zu Bremer Zeiten des Trainers Lieblingsfeind, hat schon auf ihrer Titelseite gefleht: „Jetzt muss Rehhakles Deutschland retten.“ Und Bundestrainer werden. Rehhagel sagte nach dem Finale, er werde nur über seine Jungs sprechen: „Es wäre fatal, wenn ich auch nur ein Wort über andere Dinge verlieren würde.“ Was aber wäre fatal daran, wenn Rehhagel sein Interesse am Posten des Bundestrainers abstritte, weil er keines hat?

Aber Rehhagel hat es immer als seinen Lebenstraum bezeichnet, die deutsche Nationalmannschaft zu trainieren. Vermutlich bekommt er jetzt zum ersten Mal die Gelegenheit, sich diesen Traum zu erfüllen. In Deutschland jedenfalls wird der Ruf noch Rehhagel noch anschwellen. Daran wird sich auch nicht viel ändern, nachdem der griechische Verbands-Präsident Vasilios Gagatsis bereits verkündet haben soll: „Otto hat bei uns gerade verlängert – nicht nur bis 2006, sondern sogar bis 2008. Er wird bei uns in Rente gehen. Das hat er selbst zu mir gesagt.“

Otto Rehhagel ist jetzt für das größte Fußballwunder eines deutschen Trainers seit 50 Jahren verantwortlich. Am 4. Juli 1954 wurde Sepp Herberger mit der deutschen Nationalmannschaft Weltmeister. Am 4. Juli 2004 gewann Otto Rehhagel mit den Griechen den EM-Titel. Rehhagel selbst sprach nach dem Finale von einem Wunder. Dass er dieses Wunder mit einer durchschnittlich besetzten Mannschaft vollbracht hat, qualifiziert ihn erst recht für das Amt des Bundestrainers.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false