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Sport: Der Zirkus erreicht die Ödnis

Nach der Blamage bei den Commonwealth Games will Indien mit der Formel 1 sein lädiertes Image aufmöbeln – doch das Projekt produziert auch Verlierer

Noida ist nicht gerade ein Ort, in den sich Indienurlauber gewöhnlich verirren. Nur einmal machte die reizlose Neubauten- und Industrieregion vor den Toren Delhis größere, wenngleich makabere Schlagzeilen. 2007 wurden dort im Garten eines Hauses die Leichen von einem Dutzend Slumkinder gefunden, die ein Serienkiller missbraucht, getötet und zerstückelt hatte. Doch nun dürfte Noida ins Rampenlicht der Sportwelt rücken. Erstmals wird Indien am Wochenende Gastgeber eines Grand Prix in der Formel 1 sein.

Noida, die blasse Satellitenstadt, soll für drei Tage zum neuen Mekka des Rennsports werden. Auch Lady Gaga und Metallica sollen ihr Indiendebüt in Noida geben. Diese Wahl zeigt, dass die Veranstalter Indien als weltoffenes, hippes Land präsentieren wollen. Auch Indiens Prominenz fehlt nicht, wenn das Fahrerfeld um Sebastian Vettel vor 100 000 Fans um die Wette fährt. Immerhin geht es für Indien um die Ehre. Die stolzen Inder knabbern noch daran, dass sich die aufstrebende Wirtschaftsmacht vergangenes Jahr bei den Commonwealth Games blamierte.

Die Formel 1 soll nun der Welt beweisen, dass Indien in der Lage ist, internationale Sportereignisse glänzend über die Bühne zu bringen. Teils erleichtert, teils verblüfft registrieren die Medien, dass bisher alles reibungslos läuft. Planmäßig wurde die Rennstrecke der Öffentlichkeit präsentiert. Für viele Inder erklärt sich das Rätsel ganz einfach: Nicht der Staat, sondern ein Privatunternehmen, der Konzern Jaypee, zeichnet für das Unterfangen verantwortlich. Der 80 Jahre alte Firmengründer Jaiprakash Gaur, ein Veteran der Unternehmerszene, steht mit seinem Ruf für das Gelingen gerade.

Gaur schlug 2009 alle klugen Ratschläge in den Wind und unterschrieb mutig einen Vertrag mit Formel-1-Boss Bernie Ecclestone, um den Zirkus ins Land zu holen. Binnen zwei Jahren stampfte Jaypee 60 Kilometer von Delhis Zentrum entfernt eine 5,14 Kilometer lange Rennstrecke aus dem Boden, die der renommierte Aachener Architekt Hermann Tilke entwarf. Auch bei den Sportlerquartieren ließ sich Jaypee nicht lumpen. Während die Athleten bei den Commonwealth Games über schmutzige Badezimmer und verdreckte Schlafquartiere mäkelten, erbaute Jaypee auf 1000 Hektar ein luxuriöses Wellness-Resort mit Golfplatz, Tennisplätzen, ayurvedischem Spa und Diskotheken.

„Nach den Commonwealth Games haben wir die Formel 1 als Herausforderung angesehen. Wir wollten die Strecke so beeindruckend machen, dass sie unseren Stolz in der Welt wiederherstellt“, sagte Manoj Gaur vom Jaypee-Konzern. Bisher hat das Projekt 300 Millionen Euro verschlungen. Man werde einen langen Atem brauchen, räumt der Streckenbetreiber Jaypee Sports ein. Man setzt darauf, dass auch die Immobilienpreise rund um die Rennstrecke in die Höhe schnellen. Dort will Jaypee Wohngebäude, Büros und Einkaufszentren bauen. „Die Leute werden diese Adresse wollen.“

Bisher ist Kricket der einzige Sport, der in Indien die Massen begeistert und Millionenumsätze sichert. Allenfalls noch Hockey und Fußball finden ein interessiertes Publikum. Rennsport liegt den meisten Indern fern, zumal die meisten sich nicht einmal ein Moped leisten können. Erst 2005 gelang dem Fahrer Narain Karthikeyan als erstem Inder überhaupt der Sprung in die Formel 1.

Während Indiens Elite die Formel 1 als neuerliches Zeichen für den unaufhaltsamen Aufstieg ihres Landes in die erste Liga der Welt bejubelt, ziehen die Verlierer des Prestigeprojekts erzürnt auf die Straße. Um Platz für das Rennspektakel zu schaffen, hatte die Landesregierung von Uttar Pradesh insgesamt 3000 Hektar Land aufgekauft und einen Teil davon an Jaypee weiterverkauft. Dafür versprach sie den Bauern Wohngebäude und Jobs. Doch nun fühlen sich viele betrogen. „Sie haben uns unsere Lebensgrundlage weggenommen, aber keine Alternativen geliefert“, klagen Bewohner.

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