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Sport: Der Zopf bleibt dran

Italiens tragischer Fußballheld Roberto Baggio bekommt heute sein Abschiedsspiel – falls er nicht doch zur EM mitfährt

Rom. Sein „Codino“, der mittlerweile graue Zottelschwanz, ist mehr als Roberto Baggios Erkennungszeichen. Er ist zu einem Synonym für hohe Fußballkunst geworden. So steht es zumindest in den Zeitungen, die von dem kleinen Mittelfeldspieler schwärmen. Baggio hat sich stets geweigert, seinen Zopf abzuschneiden, selbst als es in seiner Zeit bei Juventus Turin der allmächtige Klub- und Fiat-Boss Gianni Agnelli anordnete.

Heute wird Baggio, der seine Länderspielkarriere eigentlich schon längst beendet hat, gegen Spanien noch einmal im Trikot der italienischen Nationalmannschaft auflaufen. Nationaltrainer Giovanni Trapattoni, der eine schwierige Beziehung zu dem eigenwilligen Star hat, berief ihn noch einmal in die Auswahl – für einen würdigen Abschied.

Auch zu Juventus-Boss Agnelli, der Baggio 1990 vom AC Florenz für die damalige Rekordablösesumme von 13 Millionen Euro abgeworben hatte und damit eine Revolte der Fiorentina-Fans auslöste, hatte Baggio ein besonderes Verhältnis. „Er hat immer an mich geglaubt“, sagt Baggio. Und auch Gino Corioni, der Präsident von Baggios aktuellem Klub Brescia Calcio, hat gelernt, mit dem bekennenden Buddhisten umzugehen und ihm seinen Willen und seinen Glauben zu lassen. Corioni sagt über Baggio: „Er ist der größte italienische Spieler der Nachkriegszeit. Wie er den Ball behandelt, hat heute noch etwas Magisches.“ Der 37-jährige „fantasista“ bedankt sich auf seine Weise für so viel Anerkennung. Er sicherte dem Provinzklub mit seinen Toren gerade den Klassenerhalt in der Serie A.

Roberto Baggios Beziehung zu den Fans, aber auch zu den Journalisten ist beinahe mystisch. Sie verehren ihn wie eine orientalische Gottheit. Etiketten des Überschwangs, die seine Fußballtaten rühmen sollten, hat Roberto Baggio viele bekommen. Gianni Agnelli verglich die Fußballkunst des „göttlichen Codino“ einst mit der Kunst des Renaissancemalers Raffael.

Die Profi-Karriere des aus Vicenza stammenden Baggio begann beim AC Florenz, 1990 wechselte er zu Juventus Turin. Doch der ganz große Durchbruch blieb aus, und Baggio wurde förmlich hinauskomplimentiert, als Alessandro Del Piero zum großen Star in Turin wurde. Weitere Stationen Baggios, der wegen anhaltender Knieprobleme und einem Kreuzbandriss beinahe zum Sportinvaliden wurde, waren der AC Milan, Inter Mailand, der AC Bologna und schließlich Brescia. Baggio hat mittlerweile 203 Erstligatore erzielt, und zum Ende seiner Laufbahn dreht der Weltfußballer des Jahres 1993 noch einmal richtig auf und überzeugt Woche für Woche mit überragenden Vorstellungen.

In der Liga gehörte Baggio immer zu den überragenden Figuren, in der Nationalmannschaft hingegen war seine Rolle eine unglückliche. Bei der WM 1990 in Italien nahm ihn Nationaltrainer Azeglio Vicini aus der Mannschaft, um Gianluca Vialli spielen zu lassen. Ohne Baggio schied die „Squadra azzurra“ im Halbfinale gegen Argentinien aus. Cesare Maldini setzte 1998 gegen Frankreich auf Del Piero und nahm Baggio aus dem Team. Italien verlor. Und auch Giovanni Trapattoni erging es bei der WM 2002 ähnlich. Trapattoni unterließ es, den bestechend aufspielenden Baggio in den WM-Kader zu berufen. Die Italiener scheiterten an Südkorea, das hätte Trapattoni beinahe seinen Posten gekostet. Im Gedächtnis bleiben wird Baggio aber wohl vor allem wegen seines verschossenen Elfmeters im WM-Finale 1994. Der notorisch abergläubische Baggio, ließ – wie immer zu wichtigen Spielen – extra seine Mutter in die USA reisen. Sie brachte ihm zunächst großes Glück – Baggio führte Italien mit fünf Toren ins Finale, in das er dann mit einer Verletzung ging, von der er niemandem erzählte. Im Elfmeterschießen jagte er dann den Ball über das Tor, Brasilien war Weltmeister und Baggio Italiens tragischer Held.

Schon vor fünf Jahren hat Baggio seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft erklärt. In 57 Länderspieleinsätzen hatte er 27 Tore erzielt. Es ist aber nicht gesagt, dass sein Abschiedsspiel auch wirklich sein letztes werden wird.

„Er glaubt an seine EM-Chance“, sagte seine Frau Andreina. Ein bisschen hofft Baggio wohl doch, dass Trapattoni ihn für die EM in Portugal nominiert. „Ich sage euch, Roby hat eingewilligt, sein Abschiedsspiel zu bestreiten, weil er hofft, dass es nicht sein endgültiges Abschiedsspiel ist“, sagt Brescia-Präsident Corioni. Offiziell will Baggio diese Spekulationen, die sich mittlerweile in den Medien verselbständigen, nicht nähren. Er beließ es bei dem lapidaren Kommentar: „Ich bin zufrieden über diese Nominierung, die mich mit Freude erfüllt.“

Vincenzo Delle Donne

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