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Sport: Der Zwang zum Sieg

Vor wenigen Jahren noch eignete sich eine Eintrittskarte zum Derby zwischen den Bayern und dem TSV 1860 als Objekt zum Angeben auf Münchner Schulhöfen oder in Kollegenkreisen. Diesmal war das anders: Der Absatzmarkt fehlte.

Vor wenigen Jahren noch eignete sich eine Eintrittskarte zum Derby zwischen den Bayern und dem TSV 1860 als Objekt zum Angeben auf Münchner Schulhöfen oder in Kollegenkreisen. Diesmal war das anders: Der Absatzmarkt fehlte. 5000 Tickets hatte der TSV 1860 zurückschicken müssen an Gastgeber FC Bayern. Das Aufeinandertreffen, einst ein Ereignis von gesellschaftlichem Rang, ist inzwischen das, was die Hauptbeteiligten schon seit Jahren behaupten, "ein Spiel wie jedes andere". Und das nicht nur, weil es die Bayern in letzter Minute mit 2:1 gewannen.

Zum Thema Bundesliga aktuell: Ergebnisse und Tabellen Bundesliga-Tippspiel: Das interaktive Fußball-Toto von meinberlin.de Seit der Stadionhochzeit im Herbst herrscht ermüdende Zweckharmonie zwischen Grünwalder und Säbener Straße, so dass sich nicht mal die lokale Boulevardpresse bemüht hatte, im Vorfeld ein großes Ballyhoo zu provozieren. Ein Remis hätte daher bestens ins Bild der blau-roten Eintracht gepasst, "aber wenn wir zu blöd sind, das 1:1 zu halten, dann haben wir es auch nicht verdient", sagte 1860-Linksaußen Daniel Bierofka. Dabei schaute er derart flehend auf das Spielfeld zurück, als wolle er die letzten Minuten zurückspulen, inklusive des Kopfballtreffers von Thorsten Fink, der das Spiel Sekunden vor Schluss entschied.

Vielleicht lag die zuvor beängstigend friedfertige Stimmung auch daran, dass die Gastgeber echte Probleme hatten. Selbst im Zeitalter rigoroser Rotation ist der FC Bayern ohne Effenberg, Scholl, Lizarazu, Kuffour, Kovac & Kovac, Salihamidzic und Thiam nicht viel mehr als Liga-Durchschnitt. "Nicht die Aufstellung ist das Wichtigste, sondern die Einstellung", hatte Trainer Ottmar Hitzfeld daher reklamiert. Immerhin reichte die Motivationstechnik im Herberger-Stil aus, um die aussichtsreiche Position im Unternehmen Meisterschaft mit nur drei Punkten Rückstand auf Leverkusen zu verteidigen. "Wir wussten, dass es bei einem 1:1 wohl aus gewesen wäre. Deshalb haben wir das Siegtor erzwungen", sagte Oliver Kahn.

Weniger erfreulich sah das Fazit der Zuschauer zur Halbzeit aus, vor allem bei jenen, die sich von einem Fußballspiel ein Ereignis mit Unterhaltungswert versprechen. Selbst ein Profi aus dem Entertainment-Gewerbe hatte seine Mühe. Komiker Michael Mittermaier wurde gebeten, beim Halbzeit-Elfmeterschießen mitzumachen, und bereitwillig erledigte er seine Aufgabe. Die Bayern-Fans freilich fühlten sich nur mäßig unterhalten, da Michael Tarnat bei der gleichen Übung kurz zuvor gescheitert war und damit die einzige Chance der Gastgeber im ersten Abschnitt zunichte gemacht hatte.

Erschreckend unüberlegt agierte auch das Mittelfeld des Meisters, so dass "Sechzig ab der 20. Minute das Diktat übernahm", wie Hitzfeld beobachtete. Erst nach einer Stunde machten die Bayern deutlich, dass sie gewillt sind, nach dem Pokal-Aus vom Mittwoch die letzte Chance auf einen nationalen Titel zu nutzen. Großchancen von Elber, Jeremies, Fink und Pizarro gingen dem Führungstor durch Sergio voraus. Der Brasilianer war nach einem Zuspiel von Hargreaves auf Torwart Jentzsch zugeeilt und schoss ihn mit derart viel Effet an, dass der Ball ins Tor kullerte.

Doch ehe sich der Jubel in der einen Stadionhälfte gelegt hatte, tobte schon die andere: Sechzig-Verteidiger Martin Stranzl hatte von der Strafraumgrenze geschossen, nachdem Ciriaco Sforza ihm den Ball mustergültig aufgelegt hatte. Der Schweizer, eigentlich schon aussortiert und nur wegen der großen Personalprobleme begnadigt, bekannte sich schuldig: "So ein Lapsus darf mir nicht passieren, aber es spricht für meine Moral, dass ich die Konzentration wieder gefunden habe." Vor allem nutzte es seiner Mannschaft: Erst seine Hereingabe ermöglichte das 2:1. "So grausam kann der Fußball sein - und so grausam ist der Fußball", sagte der deprimierte Sechzig-Trainer Peter Pacult. Eine Woche hat er Zeit, sich und seine Mannschaft zu trösten, dann kommt Schalke. Keine leichte Aufgabe. Auch nicht für die Kartenverkäufer.

Daniel Pontzen

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