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Sport: Deutlich zurückgenommen

Michael Ballack ist in der Nationalelf immer mehr in eine defensive Position gerückt, die er vor ein paar Jahren noch abgelehnt hat

Berlin - Man hat sich ja immer schon gefragt, wer oder was dieser berühmte Teamgeist eigentlich ist, der die deutschen Nationalspieler gerade über alle Maßen beflügelt. Michael Ballack hat nun ein wenig Aufklärung betrieben. Für ihn selbst ist der Teamgeist offenbar mit allerlei Zumutungen verbunden. Bei jeder Fahrt im Mannschaftsbus wird Ballack, der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, damit konfrontiert, dass er gegen den Teamgeist wenig auszurichten vermag: wenn er nämlich das von Gerald Asamoah verantwortete Musikprogramm ertragen muss. „Es wird das gehört, was die Jüngeren wollen. Wir Älteren können da gar nichts machen“, sagt Ballack, der Ende September 30 wird. „Aber wir beugen uns dem. Das ist der Teamgedanke.“

Teamgeist heißt also, die falsche Musik hören zu müssen und nicht dagegen aufbegehren zu dürfen. Oder auch, auf einer falschen Position zu spielen und das klaglos zu ertragen. Michael Ballack ist das beste Beispiel dafür. Wobei – klaglos stimmt ja nicht ganz. Nachdem er im Testspiel gegen Japan an ungewohnter Stelle, im rechten Mittelfeld, aufgeboten worden war, hat Ballack – vordergründig – eine Generaldebatte über die Ausrichtung der deutschen Mannschaft angestoßen, in der es hintergründig vor allem um seine eigene Positionierung ging.

Das Thema, wo Michael Ballack auf dem Spielfeld am besten aufgehoben ist, begleitet ihn bereits durch seine gesamte Karriere. Ist er ein offensiver Mittelfeldspieler? Oder doch defensiv wertvoller? Ist er nach der traditionellen Zahlenlehre des Fußballs ein Zehner? Ein Sechser? Zuletzt wurde Ballack darauf reduziert, dass er der kopfballstärkste Mittelfeldspieler der Welt ist; auch das zeigt nur, wie schwer sein Spiel zu deuten ist.

Bei den Bayern hat Ballack in der vorigen Saison 14 Tore geschossen, so viele wie kein anderer Mittelfeldspieler der Bundesliga; andererseits hat Ballack auch nur vier vorbereitet, was für einen Mittelfeldspieler, der hinter den Spitzen spielt, eine dürftige Bilanz ist. Im Grunde war Ballack bei den Bayern ein Stürmer, der im Mittelfeld gespielt hat. So ähnlich war seine Rolle auch in der Nationalmannschaft gedacht. „Er muss so eingesetzt werden, dass er immer wieder zum Torabschluss kommt“, sagt Bundestrainer Jürgen Klinsmann. Von dieser Idee hat sich der Trainerstab der Nationalmannschaft inzwischen schleichend verabschiedet.

Im Spiel gegen Polen war von Ballacks offensiver Ausrichtung nur noch wenig übrig geblieben. Meistens spielte er mit Torsten Frings, dem defensiven Mittelfeldspieler, auf einer Linie vor der Abwehr, um dem deutschen Spiel mehr Stabilität zu verleihen. Frings heutiger Einsatz ist ungewiss, er zog sich im Abschlusstraining gestern Abend eine leichte Wadenverletzung zu. Seine Rolle könnte Sebastian Kehl übernehmen.

Vor dem Beginn der WM hatte Ballack mehr Verantwortungsgefühl für die Defensive gefordert. Dem kommt er nun vor allem selbst nach. „Das hat super geklappt“, sagte Frings nach dem 1:0-Sieg gegen die Polen. Nicht ein einziges Mal war die deutsche Abwehr ernsthaft in Schwierigkeiten geraten. „Die letzten Spiele haben gezeigt, dass wir auf einer Linie sehr gut kombinieren“, sagt Ballack. Für den Kapitän, den Klinsmann immer wieder als „unseren Leader“ bezeichnet, bedeutet dies einen eindeutigen Machtverlust. Ballack muss sich der Richtlinienkompetenz des jeweiligen defensiven Mittelfeldspielers beugen. „Er hat die Verantwortung zu reden“, sagt Ballack. „Er muss die Defensive ordnen, auch mich.“

Es ist ein wenig paradox, dass Michael Ballack sich bei der Nationalmannschaft immer mehr mit einer Rolle identifiziert, die er im Verein vor einigen Jahren noch rundweg abgelehnt hat. Bayerns damaliger Trainer Ottmar Hitzfeld hielt ihn im defensiven Mittelfeld für stärker und fand für diese Idee auch die Unterstützung von Uli Hoeneß: „Der größte Trugschluss war zu glauben, er sei ein offensiver Mittelfeldspieler“, sagte Bayerns Manager. „Er ist ein defensiver Mittelfeldspieler, der überraschend nach vorne kommt.“ Ballack sah dies anders, murrte öffentlich und musste für seinen Beitrag zur Taktikdiskussion eine Geldstrafe an seinen Arbeitgeber entrichten, den er nun verlässt.

In der Nationalmannschaft soll sich Ballack der Theorie nach bei eigenem Ballbesitz aus dem defensiven Verbund lösen und sich am Offensivspiel beteiligen. „Ich bin Impulsgeber und muss versuchen, das Spiel anzukurbeln“, sagt Ballack. „Aber es ist sehr schwer, die Symbiose zu finden zwischen: defensiv gut stehen, das Gerüst stabilisieren und das Spiel nach vorne antreiben.“ Die praktische Ausgestaltung dieser Rolle wird vermutlich von Spiel zu Spiel, von Gegner zu Gegner unterschiedlich ausfallen.

Dass Ballack an Offensivkraft eingebüßt hat und damit weniger im Fokus der Öffentlichkeit steht, ist jedoch schon jetzt offenkundig. In der Länderspielsaison 2005/06 hat er nur drei Tore erzielt. „Es gibt auch Spieler, die fürs Team wichtige Arbeit leisten, die nicht so gewürdigt wird, aber von den Fachleuten geschätzt wird“, sagt Ballack, der in der neuen Saison für den FC Chelsea spielt. „Mir fällt es nicht schwer, mich ein bisschen zurückzunehmen. Ich habe ja schon einen neuen Vertrag unterschrieben.“

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