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Deutsche Olympioniken: Ralf Schumann: Feuern und feiern

Wie gewinnt man eigentlich eine olympische Medaille? Mit Talent, Glück – und vor allem Training. Ralf Schumann will auch mit neuer Pistole wieder Olympiasieger werden.

Wir haben einige der besten deutschen Sportler vor den Olympischen Spielen in ihrem Training besucht. Heute Folge 2: Schütze Ralf Schumann.

Es scheint, als wäre auf dem Leipziger Schützenhof die Zeit Mitte der 80er Jahre stehen geblieben. Im hinteren Teil, wo sich die Anlage für das Schnellfeuerschießen befindet, sieht alles noch so aus wie früher. Wer Hightech erwartet, der wird an DDR-Zeiten erinnert. Auch an Ralf Schumann, dem 46 Jahre alten Sachsen aus Meißen, sind die Jahre rein äußerlich offenbar vorbeigezogen.

Dabei hat sich bei ihm so viel getan in den zurückliegenden 30 Jahren, in denen er lange hier in Leipzig trainierte, bis er nach Suhl wechselte. Nur in Ausnahmefällen wie heute kommt er noch einmal zum Trainieren nach Leipzig zurück. Mit drei Olympiasiegen, vier WM-Titeln und einer Vielzahl an Weltrekorden zählt der gelernte Kfz-Schlosser und Feinmechaniker zu den erfolgreichsten deutschen Sportlern überhaupt. Bei Olympia in Peking wird er wieder der große Favorit sein. Auch wenn sich mittlerweile sein Sportgerät, die Schnellfeuerpistole, geändert hat, das Training ist nicht wesentlich anders geworden.

Es ist weiterhin im Vorkampf zunächst einmal auf einen 60-Schuss-Wettbewerb ausgerichtet, der in zwei Halbprogrammen à 30 Schuss ausgetragen wird. Diese Halbprogramme gliedern sich in sechs Fünf-Schuss-Serien auf, je zwei innerhalb von acht, sechs und vier Sekunden. Es beginnt mit der langen Zeit und endet mit den vier Sekunden. Im Finale fällt die Entscheidung schließlich in zusätzlichen vier Serien à vier Sekunden.

„Die Umstellung der Waffe ist ein großes Problem für ihn“, sagt Bundestrainer Peter Kraneis, „fast 30 Jahre hat Ralf mit etwa 100 Gramm Abzugsgewicht geschossen, jetzt sind 1000 Gramm vorgeschrieben.“ Der Widerstand, mit dem Schumann gegen den Abzug drücken muss, ist jetzt also zehnmal so groß. An den Abläufen im Training hat sich nichts geändert. So steht Schumann immer noch auf der Anlage, und 25 Meter vor ihm befinden sich fünf mit einem Abstand von 75 Zentimetern nebeneinanderstehende Scheiben. Die Vorbereitung auf eine Fünf-Schuss-Serie beginnt er jedes Mal mit einer kurzen Konzentrationsphase.

Auf einem kleinen Tisch hinter ihm liegen getrennt voneinander Pistole, Magazin und Patronen. Nachdem Schumann fünf Patronen ins Magazin gedrückt hat, gibt er auf jede einen Tropfen Öl, um damit einem Klemmen vorzubeugen. Dann stellt er sich seitlich zu den Scheiben an eine Linie – die festen Spezialschuhe mit einer flachen, breiten Sohle geben die nötige Standsicherheit –, dreht den Kopf nach rechts und führt mit der rechten Hand ohne Waffe zweimal sogenannte Trockenanschläge aus. Dabei krümmt er den Zeigefinger jedes Mal, als würde er wirklich abdrücken.

Mit einem Schwenk über die Scheiben von rechts nach links und wieder zurück beendet Schumann dieses Vorspiel, bevor er zu Waffe greift. Erst dann entsichert er die Pistole, führt sie schräg nach unten, steckt die linke Hand in die Jacken- oder Hosentasche und hört kurz darauf die Stimme von Trainer Kraneis, der die Rolle des Kampfrichters übernimmt: „Drei, zwei, eins.“ In dem Augenblick, in dem der Trainer per Kippschalter die Scheiben aufklappen lässt, darf Schumann die Pistole in die Waagerechte bringen und die fünf Schuss in acht, sechs oder vier Sekunden abfeuern.

Unmittelbar nach dem letzten Schuss drehen die fünf schwarzen Scheiben, die einen Durchmesser von 50 Zentimetern haben, wieder zur Seite. Schumann sichert die Waffe, nimmt das Magazin heraus und legt alles mit der Schießbrille auf einen kleinen, hohen Tisch. Die Auswertung kann beginnen, 50 Ringe sind das ideale Ergebnis. Kraneis lässt die Scheiben wieder aufklappen, schaut durch ein Fernglas und liest die Ringzahlen laut vor. Dann notiert er sie auf einem Zettel.

Später wird Schumann damit ein Trainingsprotokoll erstellen, eines von wohl Hunderttausenden, die er in seiner Karriere angefertigt hat. Um die 1260 Gramm schwere Waffe so lange ruhig halten zu können, ist eine Kondition nötig, die mit etwa 45 000 Schuss im Jahr aufgebaut wird.

Auch wenn das Training mal sehr gut gelaufen ist: zu verbessern gibt es immer etwas. „Doch Ralf ist mit den Jahren viel relaxter geworden, früher war er sehr verbissen“, sagt Kraneis, der ihn bereits zu DDR-Zeiten betreute. Das lässt die zwei bis drei Stunden Training an vier bis fünf Tagen in der Woche besser verkraften. Schumann ist davon immer noch fasziniert, vor allem davon, die Präzision bei hohem Tempo zu erreichen. „Entscheidend ist doch, will ich das, und wo will ich hin?“, sagt er. Er will: den Olympiasieg 2008. Und der Weg dahin besteht aus viel Selbstdisziplin. „Ich bin als Bundestrainer nicht bei jedem Training dabei“, sagt Kraneis, „aber Ralf arbeitet sehr selbstständig und probiert viel aus.“

Auf mentales Training verzichtet Schumann. Seine Stärke leitet er aus dem neu gewonnenen christlichen Glauben ab. Deutlich ist es auf seiner Schützenkappe am Hinterkopf zu lesen: „Jesus lebt“. Nur Kraneis mag daran nicht glauben. „Der liebe Gott schießt keine Weltklasseleistung“, sagt er manchmal zu seinem Schützling, wenn der plötzlich von Gottes Plänen spricht. „Das musst du schon selber machen.“ Diesen Dialog hätte es in den 80er Jahren auf dem Leipziger Schützenhof noch nicht gegeben.

Bisher erschienen: Diskuswerferin Franka Dietzsch (20.7.).

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