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© Sven Goldmann

Deutscher Gegner: Giovanni Trapattoni und Pierre Pagé: "Österreich ist zweitklassig"

Giovanni Trapattoni und Pierre Pagé arbeiteten in der vergangenen Saison bei Red Bull Salzburg. Der italienische Fußballtrainer Trapattoni (69) zählt zu den erfolgreichsten der Welt. Der kanadische Eishockeytrainer Pagé (60) arbeitete lange in der National Hockey League (NHL). In Deutschland wurde er zweimal Meister mit den Eisbären Berlin.

Herr Pagé, Herr Trapattoni, haben Sie mal von der Schmach von Cordoba gehört?

PAGÉ: Was ist das?

Eine 2:3-Niederlage der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Österreich, bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien.

TRAPATTONI: Das ist für euch Deutsche eine Schmach? Warum? Ich kann mich an eines meiner ersten Länderspiele erinnern, das war 1960 in Florenz, ein 1:2 gegen Österreich. Das war früher eine große Fußballnation.

Sie beide haben früher in Deutschland gearbeitet und sind dann nach Österreich gewechselt. Am Montag spielen die beiden Länder bei der Europameisterschaft wieder gegeneinander…

TRAPATTONI: …und Österreich ist keine große Fußball-Nation mehr. Ja, die Zeit ist hier leider stehen geblieben, Österreich hat in den letzten 30 Jahren den Anschluss an die modernen Entwicklungen verpasst. Die Leute hier waren zu lange zufrieden mit dem, was sie hatten.

PAGÉ: Ich gehe noch einen Schritt weiter: Die Österreicher haben sich damit zufrieden gegeben, zweitklassig zu sein. Im Sport, meine ich. Das ist im Fußball nicht anders als im Eishockey. Das ist ein Mentalitätsproblem. Dieses Land hat sich zu lange abgeschottet. TRAPATTONI: Bravo, bravo, genauso sehe ich das auch!

Die spanische Zeitung „El Pais“ schreibt: „Österreich ist ein hermetisches, introvertiertes und gut entwickeltes Land. Soll heißen, dass es alle Bedingungen erfüllt, um von der Landkarte des Fußballs zu verschwinden.“

TRAPATTONI: Österreich muss sich fragen lassen: Wo macht sich hier der Einfluss anderer Kulturen bemerkbar? In Italien oder Deutschland haben schon vor über 30 Jahren Südamerikaner, Skandinavier und Osteuropäer gespielt, und zwar auf höchstem Niveau. Die Österreicher sind unter sich geblieben. Wenn hier mal Ausländer hergekommen sind, dann standen sie schon am Ende ihrer Karriere oder sind woanders nicht untergekommen. Das hat im ersten Schritt zu einem Verlust des sportlichen Niveaus geführt und im zweiten dazu, dass sich die Österreicher damit abgefunden haben, eine zweitklassige Fußballnation zu sein.

PAGÉ: Und wehe, jemand kommt von außen und will etwas Neues einführen. Ich habe das am eigenen Leib zu spüren bekommen. Als ich aus Berlin nach Salzburg gewechselt bin, wollten mich einige Spieler schon vor dem ersten Training loswerden.

TRAPATTONI: Als ausländischer Trainer mit dem ehrgeizigen Anspruch, etwas zu verändern, stößt man hier schnell an seine Grenzen. In Österreich herrscht oft noch die Mentalität vor: Was soll’s, verlieren wir halt, das ist nicht so schlimm, die anderen sind eben besser. Bei vielen Österreichern vermisse ich die Bereitschaft, etwas anderes anzunehmen und zu erkennen, dass man davon auch profitieren kann.

PAGÉ: Ja, das ist eine Form von Widerstand, die ich auch spüre. Wir sind hier hergekommen, um die Profis mit einer neuen Mentalität vertraut zu machen, aber die verlangen von uns, dass wir ihre Mentalität annehmen.

TRAPATTONI: Wenn man einen ausländischen Trainer holt, weiß man, dass man sich damit gleichzeitig ein Stück neue, fremde Kultur holt. Ich habe in Deutschland, Portugal und Österreich gearbeitet, jetzt ziehe ich weiter nach Irland, und überall habe ich von den neuen Einflüssen profitiert, als Mensch und als Trainer. Das vermisse ich ein bisschen bei den Österreichern – die Bereitschaft, sich auf etwas Neues einzulassen. Ich denke Mal, das geht Pierre beim Eishockey genauso.

PAGÉ: Ja, ich sehe da Parallelen. Ich hatte am Anfang meine Probleme, aber dann hatten wir eine Sitzung mit dem Team. Ich habe den Spielern gesagt: Es geht nicht um mich, es geht um euch. Wollt Ihr das nächste Level erreichen? Wir können es schaffen, aber Ihr müsst mitziehen.

Und?

PAGÉ: Sie wollten. Wollten. Nach einem ganz schlechten Start sind wir noch Meister geworden. Das Problem ist, dass es hier über viele Jahre keinen richtigen Wettbewerb gegeben hat. Wenn wir besser werden wollen, müssen wir internationaler werden. Bessere Spieler müssen hier herkommen, und wir müssen gegen bessere Mannschaften spielen. Es gibt hier zu viele alte Spieler, die nicht mehr hart arbeiten wollen. Fortschritte machen wir nur mit ehrgeizigen, jungen Spielern. Für die alten ist es zu spät.

TRAPATTONI: Wer in vielen Ländern gut gegessen hat, hat oft keinen Appetit mehr.

PAGE: Zuletzt war es doch so: Wer als ausländischer Profi nach Österreich gekommen ist, hatte seine Karriere schon hinter sich und wollte hier noch für ein paar Jahre ein gutes Auskommen haben. Wir aber brauchen Leute, die ihre Karriere hier beginnen wollen. Die gehen zurzeit nach Schweden, Finnland oder Russland, und natürlich nach Nordeuropa in die NHL. Diese Leute müssen wir für Österreich begeistern. Wir brauchen einfach mehr Leidenschaft und neue Ideen, beides kann nur von außen kommen.

Die österreichischen Eishockeyklubs spielen immerhin schon seit ein paar Jahren multinational mit Mannschaften aus Ungarn und Slowenien in einer gemeinsamen Liga.

PAGÉ: Ja, das muss man anerkennen, sie bemühen sich, global zu denken. Und ich sage Ihnen, wir werden noch weiter gehen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir eines Tages in der deutschen Liga mitspielen werden, vielleicht sogar in der russischen. Wir dürfen nicht hier unter uns bleiben, dieses Denken hat keine Zukunft. Wir müssen global denken.

Das ist leichter gesagt als umgesetzt. Was hätte zum Beispiel ein Mann wie Luca Toni gesagt, wenn Sie versucht hätten, ihn zu einem Wechsel nach Salzburg zu überreden?

TRAPATTONI: Ich weiß schon, wen ich fragen kann, und Luca gehört ganz bestimmt nicht dazu. Aber es gibt genug andere Leute, die ich angesprochen habe und die mir gesagt haben: Tut mir leid, Giovanni, aber das ist einfach nicht mein Niveau!

Im vergangenen Jahr hatten Sie immerhin den früheren Weltstar Lothar Matthäus als Kotrainer in Salzburg. Er hat den Verein im Streit verlassen.

TRAPATTONI: Lothar hat als Trainer schon viel Erfahrung gesammelt, in Ungarn, Brasilien und auch in Österreich. Er bringt gute Qualität mit, denkt aber immer noch wie ein Spieler. Ein großer Trainer aber darf nie denken wie ein Spieler.

Er hat in Deutschland noch einmal einen Trainerlehrgang besucht.

TRAPATTONI: Das ist sehr gut, er kann noch viel lernen. Ich lerne auch jeden Tag dazu.


Das Gespräch führte Sven Goldmann.

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