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Sport: Deutschland - England: Führungskräfte gesucht

Es gibt Dienstreisen, von denen die Beteiligten wohl für immer schwärmen werden. Bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft etwa steht eine Reise vom Herbst des vergangenen Jahres hoch im Kurs.

Es gibt Dienstreisen, von denen die Beteiligten wohl für immer schwärmen werden. Bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft etwa steht eine Reise vom Herbst des vergangenen Jahres hoch im Kurs. Damals trat sie als Außenseiter zum WM-Qualifikationsspiel im Londoner Wembleystadion an und siegte 1:0. Ein paar Wochen später fuhren die Abrissbagger in Wembley auf, und die Engländer werden sich nun bis in alle Ewigkeit anhören müssen, dass sie das letzte Spiel in ihrem Nationalheiligtum verloren haben, und dann auch noch gegen die Deutschen.

Es gibt aber auch Dienstreisen, die nicht eingeplant sind und die eigentlich niemand mag. Eine solche Reise steht für die deutsche Nationalmannschaft vermutlich im Spätherbst an, nachdem sie es am Sonnabend im Münchner Olympiastadion eindrucksvoll unterlassen hatte, die Weltmeisterschaft im kommenden Sommer in Japan und Südkorea auf kürzestem Dienstweg zu erreichen. Sie hätte einfach nur gewinnen müssen gegen England, zur Not hätte auch ein Unentschieden gereicht. Aber eine 1:5-Niederlage, die hatte nun wirklich niemand eingeplant.

Wenn die Engländer ihre beiden Heimspiele gegen Albanien und Griechenland gewinnen, beenden sie die Qualifikation als Erster (siehe auch grauen Kasten). Es hängt also nicht zuletzt an Otto Rehhagel, dem neuen Nationaltrainer der Griechen, ob Deutschland es noch direkt zur WM schafft. "Wenn alles normal läuft, sind die Engländer durch", sagte Dietmar Hamann, der sein Geld in Liverpool verdient und vor einem Jahr noch das Siegestor geschossen hatte.

Damals hatte die deutsche Fußballprominenz von Franz Beckenbauer bis Uwe Seeler noch von der Geburt einer neuen Mannschaft schwadroniert. Ein knappes Jahr später ist die Angst zurückgekehrt, wie bei der unsäglichen Europameisterschaft 2000 ins niedere Mittelmaß zurückzufallen. Von der bevorstehenden Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea mag keiner offen sprechen, "für uns geht es nur noch um die Play-offs" (Hamann), eventuelle Entscheidungsspiele gegen Weißrussland oder die Ukraine. Beide Länder stehen auf der Beliebtheitsskala in Sachen Reiseziele im defensiven Mittelfeld.

"Die Situation hat sich mit dem Spiel gedreht", sagte Bundestrainer Michael Skibbe, "plötzlich sind wir in Zugzwang. Wir müssen mit aller Macht Finnland schlagen und darauf hoffen, dass England einmal patzt." Nach den Eindrücken von München ist diese Hoffnung mehr als verwegen. "Diesen Rückschlag müssen wir erst einmal verdauen", sagte Skibbe gegen Mitternacht. Dem Bundestrainer blieb die Analyse allein vorbehalten, weil Teamchef Rudi Völler zu diesem Zeitpunkt am Krankenbett seines Vaters war, der während des Spiels im Stadion einen Herzinfarkt erlitten hatte.

"Dabei sind wir so gut ins Spiel gekommen ... ", sagte Skibbe. Die Deutschen waren früh durch ein Tor Carsten Janckers in Führung gegangen. Doch es schien, als sei es für die im Vorteil liegende Mannschaft ein größerer Schock gewesen als für die Engländer. Die nutzten die kollektive Lethargie ihres Gegners, glichen bald aus und gingen kurz vor und kurz nach der Pause mit 3:1 in Führung. Die ungünstigen Zeitpunkte "haben das Spiel nachhaltig beeinflusst", sagte Skibbe. Kurz darauf waren erste Auflösungserscheinungen auf deutscher Seite auszumachen.

In dieser Phase wurde wieder einmal deutlich, dass Teamchef Völler auf dem Rasen keinen Chef hat, der sagt, was in der jeweiligen Situation zu tun und was zu lassen ist. Kapitän Oliver Kahn steht als Torwart in der denkbar ungünstigsten Position. Der als Abwehrchef ebenfalls dafür in Frage kommende Jens Nowotny wehrte ab, ohne Chef zu sein. "Die Frage ist doch, was ist heute ein Abwehrchef, und wo sind denn welche?", grantelte der Leverkusener. "Ich habe mit meiner Art gezeigt, dass ich ein Chef sein kann. Ich werde mich auch nicht ändern, sondern zeigen, dass ich auch so der Mannschaft helfen kann."

Hilfe hat diese deutsche Mannschaft bitter nötig. Doch ein einzelner Spieler, der die Mannschaft entscheidend weiterbringen könnte, ist nicht in Sicht. Sebastian Deisler, der gegen England nicht seinen besten Tag erwischt hatte, taugt dazu noch am ehesten. Doch auch der Berliner dürfte am Samstag in München erkannt haben, dass er noch nicht so weit ist. Seine Nebenleute Michael Ballack und Dietmar Hamann hingegen zeigten den Einsatzwillen von Altstars bei einem Benefizspiel.

Gut für die Versager von München, dass Michael Skibbe allen Beteiligten versicherte, "dass ich und Rudi Völler weiter zu ihnen stehen werden. Die Mannschaft hat über weite Strecken versucht, ihr Bestes zu geben." Wenn es darauf ankommt, ist das Beste des deutschen Fußballs allerdings schon seit einiger Zeit nicht mehr gut genug. Und der Versuch allein dann reicht erst recht nicht.

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