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Deutschland gegen Niederlande: Ein Sieg mit Stil

Früher blieben den Deutschen oft nur Wucht und Willen. Heute müssen sie sich nicht mehr verleugnen, um große Gegner zu schlagen - weil Bundestrainer Löw mit heiligen Traditionen gebrochen hat.

Nach einer guten Stunde unterbreitete die Masse in Orange ein erstes Angebot zur Kapitulation. Es klang erstaunlich fröhlich. In der Südwestecke des Hamburger Stadions wurde eines der international erprobten Stimmungslieder mit leicht eingängigem Text (La La La …) angestimmt, obwohl zu allgemeiner Ausgelassenheit bei den Fans aus Holland eigentlich kein Anlass bestand. 0:2 lag ihre Mannschaft gegen die deutschen Fußballer zurück, und in früheren Zeiten hätte ein solches Resultat eher eine schwere Depression ausgelöst. An diesem Abend aber schien sich nicht einmal der Anhang des Rivalen dem Zauber der Nationalmannschaft entziehen zu können. Die deutschen Fans stimmten in das Liedchen ein, und für einen Moment waren sich die Erzfeinde von einst in ihrer Freude am schönen Fußball so nahe wie vielleicht nie zuvor.

Eigentlich war es wie immer, wenn Holländer und Deutsche gegeneinander Fußball spielen – nur dass die Rollen diesmal anders verteilt waren. In der Vergangenheit kombinierten und stürmten die Holländer, während die Deutschen ihnen oft nur Wucht und Willen entgegenzusetzen hatten. Beim 3:0 in Hamburg war es umgekehrt. „Ich weiß nicht, ob man es viel besser spielen kann“, sagte Toni Kroos. Bundestrainer Joachim Löw sprach von einem Abend „voller Spielfreude“, bei seiner Mannschaft hatte er „einen sehr guten Fluss“ ausgemacht, und „wir haben mit großer Leichtigkeit kombiniert“.

Die Spielzüge zu den drei Toren wirkten wie das Werk eines alten Meisters, der den Pinsel mit schwereloser Eleganz zu führen vermag. „Man weiß gar nicht, welches Tor das schönste war“, sagte Thomas Müller. Es wirkte alles so einfach. Dazu passte auch, was Müller später enthüllte: „Wir haben die Anweisung bekommen, dass wir gut spielen sollten.“ Es war eigentlich ein Scherz, in Wirklichkeit aber ist genau das die Anweisung, die Löw seiner Mannschaft permanent erteilt: gut zu spielen.

Der Auftritt gegen Holland war ein weiterer Ausweis der Fortschritte, die die Mannschaft in dieser Hinsicht gemacht hat. Erstmals seit 15 Jahren konnte sie wieder gegen den kleinen Nachbarn gewinnen, das 3:0 war sogar der höchste Sieg seit 1959 (7:0). „Wir können jetzt einer Mannschaft, die uns immer fußballerisch beherrscht hat, Paroli bieten“, sagte Löw. „Die Holländer waren zumindest in der Defensive in einigen Phasen gegen uns überfordert.“ Das Schöne ist, dass die Deutschen dazu nicht einmal mehr ihrem Stil untreu werden müssen. Sie sind inzwischen so von ihren Fähigkeiten überzeugt, dass sie auch Duelle gegen Großmächte wie Holland oder Brasilien so angehen wie bisher nur Spiele gegen Belgien, Österreich oder Kasachstan. Bei der EM 2008 und zwei Jahre später im WM-Halbfinale gegen die übermächtigen Spanier war Löws Mannschaft noch in alte Muster zurückgefallen – weil sie innerlich nicht überzeugt war, Spanien spielerisch beikommen zu können.

Seit Jahren arbeitet Löw zielgerichtet an der fußballerischen Qualität seines Teams. „Man kann gute Mannschaften nur schlagen, wenn man spielerisch besser ist und nicht, wenn man aggressiver ist. Das ist ein Trugschluss“, sagt er. Doch genau das war bisher das Selbstverständnis des deutschen Fußballs. Der Bundestrainer vollzieht nun einen radikalen Bruch mit dessen heiligen Traditionen, die vor allem von Sportdirektor Matthias Sammer gehütet werden wie eine Reliquie in der katholischen Kirche.

Seite 2: Für Joachim Löw befinden sich die Holländer auf einem Irrweg

Man konnte Löws Satz aber auch gegen die holländische Elftal verwenden, die unter ihrem Bondscoach Bert van Marwijk eine fortschreitende Vanbommelisierung erlebt. Bevor sich Wesley Sneijder gegen die Deutschen erstmals als Feingeist hervortat, war er schon zweimal durch grobe Fouls aufgefallen. Das Spiel der Holländer ist von latenter Aggressivität geprägt, die vor allem von Mark van Bommel vorgelebt wird – und die seit dem WM-Finale 2010 als Mittel zum Erfolg verstanden wird. Die Holländer mussten sich den Spaniern am Ende zwar ebenfalls geschlagen geben; sie hatten den großen Favoriten mit ihrer Brutalo-Taktik aber weit näher an einer Niederlage als die Deutschen mit ihrem Kuschelkurs im Halbfinale.

Für Joachim Löw befinden sich die Holländer trotzdem auf einem Irrweg. Im Grunde schlug er sie mit deren eigenen traditionellen Mitteln. „Es war wichtig, das Zentrum fußballerisch zu beherrschen“, sagte Löw . Gerade in der Mitte, mit Mesut Özil, Toni Kroos und Sami Khedira, waren die Deutschen ihrem Gegner deutlich überlegen, sie versammelten dort Esprit, Witz und Ideenreichtum im Überfluss, während die Holländer sich vor allem als Zerstörer betätigten. „Sie haben viel mehr Potenzial als wir“, sagte van Marwijk über die Deutschen. „Sie haben so viele gute, so viele kreative Spieler.“

Der Bondscoach sprach von einem peinlichen Spiel, das einige Defizite seiner Mannschaft offengelegt hatte. „Es ist gut für uns, dass wir das mit Blick auf die EM jetzt wissen - und nicht erst in einem halben Jahr“, sagte van Marwijk. Die Deutschen wissen, dass sie von der Konkurrenz wieder richtig ernst genommen werden, aber sie wissen auch, dass ihnen das im Moment nur bedingt hilft. „Wir haben ein super Jahr gespielt“, sagte Toni Kroos, „aber das nächste ist noch wichtiger.“

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