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Sport: Deutschland schont sich fürs Halbfinale

Von Stefan Hermanns Ulsan. Die Gelegenheit schien ungewöhnlich günstig.

Von Stefan Hermanns

Ulsan. Die Gelegenheit schien ungewöhnlich günstig. Das Tor war leer, kein Oliver Kahn weit und breit, und Claudio Reyna hatte freie Sicht. Der US-Amerikaner schoss, doch der Ball flog knapp über die Latte. Das kann schon mal passieren, wenn die Entfernung zum gegnerischen Tor satte 45 Meter beträgt. Doch Reynas Aktion hatte schon fast eine symbolische Note: Man muss es einfach nutzen, wenn Kahn nicht in seinem Tor steht. Und vielleicht hat er in diesem Moment, in der 64. Minute des WM-Viertelfinales zwischen Deutschland und den USA, geahnt, dass seine Mannschaft dieses Spiel nicht würde gewinnen können. Wenn er schon das leere Tor nicht trifft. Denn dass die Amerikaner an diesem Abend an Oliver Kahn nicht vorbeikommen würden, das hatte sich bereits angedeutet.

1:0 hieß es am Ende für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. „Wir haben wieder zu null gespielt“, sagte Sebastian Kehl. So ist es, aber die Journalisten auf der Pressetribüne hatten allerhand Chancen für die USA in ihren Notizblöcken festgehalten. Jedesmal jedoch schrieben sie hinzu: Kahn hält.

Lewis, 13. Minute, Kahn hält. Donovan, 17. Minute, Kahn hält. Donovan, 30. Minute, Kahn hält. Lewis, 36. Minute, Kahn hält. Donovan, 55. Minute, Kahn hält, Kahn hält, Kahn hält. „Wir können froh sein, dass wir so einen Torwart haben“, sagte Michael Ballack, der mit seinem zweiten WM-Treffer die Partie entschieden hatte. „Er hat fantastisch gespielt“, sagte Brad Friedel, der amerikanische Keeper.

Durch den Sieg über die USA hat die deutsche Nationalmannschaft zum neunten Mal seit 1934 das Halbfinale einer Weltmeisterschaft erreicht, doch diesmal hat sie das allein ihrem außergewöhnlichen Torhüter zu verdanken. „Das haben wir auch schon vor der WM gewusst“, sagte Teamchef Rudi Völler. „Wenn wir hier weit kommen wollen, geht das nur mit einem überragenden Oliver Kahn.“ Niemals war eine deutsche Nationalmannschaft so sehr von ihrem Torhüter abhängig wie bei diesem Turnier. Kahn hat in fünf WM-Spielen erst einen Gegentreffer kassiert.

„Ich habe eine Mannschaft vor mir, die mir hilft“, sagte der Kapitän der Nationalelf. In Wirklichkeit ist es wohl eher so, dass die Mannschaft einen Torhüter hinter sich weiß, der im Zweifel ihre letzte Rettung darstellt. „Das ist einfach ein gutes Gefühl“, sagte Kehl, der erneut die zentrale Position in der Abwehr einnehmen durfte. Für Christoph Metzelder ist Kahn „der absolute Superstar der Mannschaft. Er hält die unhaltbaren Dinger." Als Schiedsrichter Dallas das Spiel gegen die USA um 22.20 Uhr abpfiff, sank Kahn auf den Boden, lag auf dem Rücken wie ein Sommerurlauber am Meeresstrand und streckte Arme und Beine von sich. „So ein Spiel ist extrem anstrengend, geistig und mental“, sagte Kahn. Er wusste ja selbst, welche Verantwortung auf ihm lastete, welche Konsequenzen ein Gegentor gehabt hätte: Vermutlich wäre die Mannschaft in sich zusammengefallen. Die US-Amerikaner stellten das eindeutig bessere Team, sie spielten geradliniger, schneller, beherzter, überlegter, und sie waren den Deutschen sogar in deren einstiger Paradedisziplin Zweikampfstärke überlegen. „Ich bin extrem stolz auf diese Mannschaft“, sagte Bruce Arena, der Trainer der US-Mannschaft. „Die Deutschen hatten zwei Chancen und haben eine genutzt. Das war heute der Unterschied." In der Mixed Zone des Stadions entschuldigten sich deutsche Journalisten bei amerikanischen Kollegen für den Sieg ihrer Nationalmannschaft. Franz Beckenbauer, immerhin Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes, sagte in einem Fernsehinterview, man könnte alle deutschen Spieler bis auf Kahn in einen Sack stecken, wenn man dann darauf schlage, treffe es auf jeden Fall den richtigen. Verteidiger Christoph Metzelder fand es „sehr traurig, wenn solche populistischen Sprüche aus der eigenen Familie kommen". Und Sebastian Kehl sagte: „Das muss ich ja nicht kommentieren." Die Mannschaft weiß sehr wohl, dass sie nicht besonders gut gespielt hat. „Die richtige Freude kam noch nicht auf“, sagte Metzelder. Das Ganze „war irgendwo ein bisschen unbefriedigend".

Auch Oliver Kahn berichtete: „Es ist nicht so, dass die Mannschaft gejubelt hat.“ Aber: „In zwei Tagen fragt da kein Mensch mehr nach.“ Die Deutschen stehen im Halbfinale der Fußball-Weltmeisterschaft, und dann, so sagte Kahn, „gehört man wieder zu den besten vier Mannschaften der Welt". Teamchef Rudi Völler findet das Abschneiden schon „sensationell für unsere junge Mannschaft, aber um noch weiterzukommen, müssen wir uns steigern, sonst ist im Halbfinale Schluss". Oliver Kahn hingegen sagt: „Man muss uns erst schlagen. Diese Mannschaft kann jeden Moment leistungsmäßig noch explodieren.“

Vermutlich wird das auch notwendig sein, denn Christoph Metzelder fürchtet: „Irgendwann werden auch Bälle aufs Tor kommen, die dann selbst der Oliver Kahn nicht mehr halten kann."

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