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Die Ratlosigkeit steht Joachim Löw ins Gesicht geschrieben.

© dpa

Deutschland – Schweden: Löw, von Fußballgeistern gequält

Der Bundestrainer kann das Schwedenrätsel nicht lösen. Beim bizarren 4:4 gegen Schweden gewährt Joachim Löw schmerzhafte Einblicke in seine Defizite.

So hat man Joachim Löw noch nicht gesehen. Im Fernsehstudio starrt er ins Leere, bricht Sätze ab, legt lange Sprechpausen ein. Bei der anschließenden Pressekonferenz bleiben seine Mundwinkel tief unten, Löw wirkt apathisch. Hätte man ihn am Fuß gekitzelt, er hätte es vielleicht nicht gemerkt.

Die Abwesenheit des Bundestrainers konnten alle nachempfinden, denn er hatte etwas "Schreckliches" erlebt, wie es sein mitfühlender Gegner, der schwedische Trainer Erik Hamrén, beschrieb. Löws Elf hatte einen 4:0-Vorsprung innerhalb nicht mal einer Halbzeit verspielt, in einem Heimspiel, gegen ein schwedisches Team, das bis dahin eine Klasse schlechter war. Ein solcher Spielverlauf ist einmalig in der Geschichte der deutschen Nationalmannschaft. Die Journalisten googelten vergebens nach Vergleichen, bloß solche aus dem Eishockey ließen sich ziehen.

Nicht nur dem Trainer waren auch lange nach dem Abpfiff alle Menschenfreuden entflohen. Man sah allen Teilen des deutschen Teams in den matten Gesichtern den Schock an, den sie in den dreißig Minuten, zwischen dem 1:4 und dem 4:4, erleben mussten. Diese dreißig Minuten machten nahezu vergessen, was zuvor geschehen war: das beste Spiel des DFB-Teams in diesem Jahr. Die Deutschen beherrschten das Geschehen und ließen den Ball in poetischer Weise an den Gegnern vorbeilaufen, viel besser übrigens als beim 6:1 in Irland drei Tage zuvor.

Vergessen auch, wie Miroslav Klose mit zwei frühen Toren, also seinen Treffern Nummer 66 und 67, an den Rekordinhaber Gerd Müller bis auf einen Treffer heranrückte. Beim 1:0 vollendete Klose einen Flügelangriff in bester Stürmerschule. Seinem 2:0 ging ein doppelter Doppelpass von Marco Reus mit Thomas Müller und Toni Kroos voraus.

Vergessen auch der rührende Jubellauf des sonst so kühlen Per Mertesacker, der nach sieben Jahren wieder mal ein Tor schoss. Der Bankdrücker der vorigen EM durfte überhaupt erst ran, weil sein Konkurrent Mats Hummels verletzt ist. Die ganze Mannschaft freute sich mit ihm.

Vergessen auch die vielen deutschen Kombinationen, die den überforderten Schweden wie aus der Fußballmatrix vorkommen mussten. Der Höhepunkt war ein Vierecksspiel am Anfang der zweiten Halbzeit: Kroos und Reus setzten Mesut Özil in Szene, der das Kunststück fertig brachte, vorwärts zu laufen und rückwärts zu passen. Hätte daraufhin der freie Thomas Müller getroffen, wäre die Aktion bestimmt zum Tor des Jahres gewählt worden.

Zu diesem Zeitpunkt deutete vieles auf ein Endergebnis von 5:0 oder 7:0 hin, doch mit dem ersten Gegentor durch Zlatan Ibrahimovic wurde aus Souveränität Angst, wurde aus Überlegenheit Schwäche. 

Für das Unerklärliche gibt es zwei Erklärungsversuche. Der erste wurde häufig bemüht: Der Zufall, diese wilde Laune des Fußballs, hatte zugeschlagen. Wer ihr ausgesetzt ist, fühlt sich wie eine leere Nussschale auf dem Ozean. Löw wurde gefragt, ob er sich machtlos gefühlt habe. Dankbar für diese Art der Einfühlung hat er das bejaht. "Das Spiel lief mit den ersten zwei Gegentoren aus dem Ufer, da war nichts mehr zu korrigieren", sagte der von den Fußballgeistern Gequälte.

Es gab viele Indizien für diese Theorie. Der Ball fiel am Ende im Zweifel immer einem Schweden vor die Füße. Ohnehin schossen sie nur vier Mal aufs Tor, das reicht oft nicht mal für einen Treffer. Dem ersten und dem letzten gingen zudem harte Zweikämpfe am Rande des Fouls voraus. Der sonst so starke Keeper Manuel Neuer erwischte einen schlechten Tag. Das ist Pech, einerseits.

Andererseits gibt es da noch eine zweite, weniger fatalistische Deutung. Sie betont die Schwächen des Trainers. Löw ist ein sehr guter Lehrer, aber an seinem Coaching machen sich große Zweifel fest. Als sein Gegenüber Hamrén in der Halbzeit zwei Mal wechselte und damit seine linke Angriffsseite stärkte, reagierte Löw nicht, obwohl für alle im Stadion sichtbar Sturm aufzog. Über die linke Seite leiteten die Schweden alle Tore ein.

Löw wechselte zwei Stürmer ein, aber keinen Defensiven. Auf einen dritten Wechsel verzichtete er sogar in der Nachspielzeit. Dieses Mittel, ein Spiel über die Zeit zu bringen, ist ein profanes, aber ein gutes. Vielleicht war das des Schwedenrätsels Lösung, vielleicht verursachten auch solche Gedanken bei Löw die Verwirrung nach dem Spiel.

Auch die Kritiker der Mannschaft fanden Nahrung. Seit dem Ausscheiden gegen Italien im Juni steht sie unter Beobachtung, ihr fehlen angeblich Führungsspieler. Eine Spitzenmannschaft schenkt kein 4:0 her, wie der Manager Oliver Bierhoff sagte. Dem ist schwer zu widersprechen.

Zuerst erschienen auf Zeit Online

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