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Deutschland - Türkei: Bloß ein Spiel

Deutschland gegen die Türkei. Die Partie stand im Schatten eines Feuers, das seit Sarrazin und Wulff vor sich hinlodert. Doch am Ende war nur wichtig, was auf dem Fußballplatz geschah.

Genau das hatte Baris Arpaci, 27, Sohn eines Türken und einer Deutschen, sich gewünscht. Einen Sieg der Deutschen, um des lieben Friedens willen. „Ich glaube, die Türken sind bessere Verlierer als Gewinner“, hat er gesagt, die Türken hätten bei einem Sieg die Feierei übertrieben. Das blieb nun also aus. 3:0 endete das Spiel.

Deutschland gegen die Türkei. Es war bloß ein Fußballspiel, ein Qualifikationsspiel für die Europameisterschaft, bei dem es nicht um alles ging, und doch war die Aufmerksamkeit extrem, die Versuchung groß, darin eine Kraftprobe von Orient und Okzident zu sehen.

In diesem Lokal-Derby, wie mancher witzelte, weil der Austragungsort Berlin war, Deutschlands Hauptstadt, und mit 200 000 türkischen und türkischstämmigen Bewohnern auch eine türkische Metropole. Und weil es in beiden Teams Spieler gibt, die sowohl hier als auch dort heimisch sind. Und so war bis zum Anpfiff unklar, wer den Heimvorteil hatte.

Während des Spiels dann war es vor allem Mesut Özil, der Mann aus Gelsenkirchen mit türkischen Wurzeln, der für Deutschland spielt, der vor den Türken im Stadion ausgebuht wurde, wenn er am Ball war. In der 42. Minute traf Schütze Klose, wo kam der nochmal her? Egal. Tor für Deutschland beim Heimspiel vor türkischer Fan-Übermacht in Berlin. Und, wie um diese Gemeinheit der Türken zu quittieren, schoss Özil selbst das zweite Tor. Dann noch mal Klose.

Der Rudower Alp Özbey, seine Familie und die Freunde, die extra aus Dortmund angereist waren, waren ebenfalls mit türkischen Fahnen ins Stadion eingerückt. Vor Spielbeginn hatten sie beste Laune, das Spiel sei „Integration pur“, sagte der eine und der andere: „Für uns ist das heute ein Volksfest.“ Schon die WM 2006 und die EM 2008 hätten doch gezeigt, wie Fußball zur Integration beitragen kann.

Und Integration – das war das Wort des Tages, das Wort der vergangenen Wochen schon. Denn das Spiel fand im Schatten eines Feuers statt, das seit anderthalb Monaten vor sich hinlodert, seit das knallrote Buch des Islamdesintegrierers Thilo Sarrazin auf dem Markt ist. Und seit vorigen Sonntag in seiner Einheitsfeierrede der Bundespräsident das ansprach, was in den großen deutschen Städten, allen voran Berlin, längst Realität ist: dass „der Islam inzwischen auch zu Deutschland gehört“.

Da zischte die Flamme noch höher. Am Morgen des Spieltags war es der Innenminister, laut Parteibuch Christ und Demokrat und von Amts wegen auch für Sport zuständig, der noch mal betonte, dass der Islam „auf absehbare Zeit“ nicht auf derselben Stufe stehe wie „das christlich-jüdische Religionsverständnis, Kulturverständnis, was wir haben“.

Und die Deutsche Verlagsanstalt in München zählte an diesem Spieltag in ihrem Lager 200 000 Sarrazin-Exemplare. 900 000 sind schon ausgeliefert. Die erste Auflage, vor anderthalb Monaten testweise rausgebracht, war 25 000 Bücher stark, und im Verlag hoffte man zunächst noch, nicht darauf sitzen zu bleiben. Stattdessen befeuerten sie sogar dieses Fußballländerspiel.

Die Kicker hatten also auf dem grünen Rasen quasi stellvertretend jenen „Dialog auf Augenhöhe“ auszutragen, den gebetsmühlenartig Muslimvertreter von der christlich fundierten Mehrheitsgesellschaft fordern. Dass dieser Dialog aber hinter den hohen Mauern des Olympiastadions geführt wurde, machte auch gleich klar: Nur, weil sich da drinnen zwei Teams auf Augenhöhe auseinandersetzen, und mit Stollen an den Schuhen und vollem Körpereinsatz, ändert sich für die Welt draußen noch lange nichts.

Der türkische Ministerpräsident Erdogan trug im Stadion zur Gemengelage passend einen Fanschal, der am einen Ende Deutschland pries und am anderen die Türkei, die Kanzlerin, die mit ihm das Spiel sah, trug Grün, passend zu den Polizeieinsätzen, die nach der Pause nötig wurden.

Die türkische Sportzeitung „Fanatik“ hatte in einem Vorabbericht die ausländischen Wurzeln vieler Spieler aus der deutschen Fußballnationalelf aufgelistet und gefragt: „Was ist das für ein Deutschland?“ Und dann kamen die türkischen Fans, die sich am Freitagvormittag an der Berliner Sehitlik-Moschee versammelten, mehrheitlich aus Bayern und dem Ruhrgebiet und fanden – weshalb sie später buhten –, dass Mesut Özil immer Türke bleibe.

Alles klar? Nichts ist klar. Oder wie es Yasin Yilmaz sagte: „Politik gehört nicht ins Stadion.“ Der 34-jährige Berliner mit dem türkischen Namen, der schon zweimal dabei war, als Hertha gegen Galatasaray Istanbul verlor, war auch gestern beim Spiel, war live dabei, als der Abpfiff gellte. Sein Herzenswunsch – ein Sieg der Türkei – war nicht in Erfüllung gegangen. Der Vernunft wegen war er aber ohnehin für ein Unentschieden gewesen. Damit es ruhig bleibe in der Stadt. So hatten viele gedacht. Was könnte es Besseres geben, als eine Zurückverweisung dieses Duells in die Welt, die es beladen hat mit so viel Sentiment und Ressentiment, in die Welt jenseits der Stadionmauern?

Zwei türkische Teenager-Mädchen, die unbeteiligt den Fahnenschwenkern beim Public-Viewing in Kreuzberg zusahen, wirkten aus ganz anderem Grund verloren. Sie, also Mädchen im Allgemeinen, kümmere Fußball sowieso nicht, es sei auch völlig egal, wer gewinne, die Jungs würden sich hinterher sowieso Sprüche um die Ohren hauen und sich prügeln.

Warum das? – Ach, keine Ahnung.

Es waren aber auch Deutsche da. Sowohl im Stadion als auch auf dem Oranienplatz. Leute wie Bernd und Petra Lehmann aus Spandau und mit Deutschland-Fahne. Sie hätten noch nie Probleme mit Türken gehabt, sagen sie, verstünden die ganze Sarrazin-Raserei nicht und waren sicher, dass der Abend das Gemeinsame zwischen Deutschen und Türken noch verbessern würde. Der Schöneberger dagegen, der ohne Fan-Schal und Fan-Mütze da war, sprach von „Prüfstein“ und ärgerte sich über sich selbst, weil erstens nur wenig Schwarz-Rot-Gold zu sehen war und es zweitens doch recht kalt wurde.

Das Wort „Deutschland“ aber, so scheint es, hat aller unverklemmten Fahnenschwenkerei zum Trotz, keine große Integrationskraft. Oder warum zogen sich so viele zumindest verbal ins Regionale zurück? Eine Devise für das Kreuzberger Straßenfest auf dem Oranienplatz war: Berlin sei auf jeden Fall der Gewinner, egal, welches Team nun die meisten Tore schieße. Das predigten der Regierende Bürgermeister und der Integrationsbeauftragte des Landes. Und auch in den Kneipen, in denen die Fußballinteressierten sich verbrüderten, war man zuerst mal Borusse oder Herthaner. Und den Kreuzbergern macht die Frage, wie viel Islam in ihren Kiez gehört kleinere Sorgen als drohende Mietsteigerungen.

Die Autos in Berlin waren schon fast traditionsgemäß mit Wimpeln geschmückt durch die Stadt gefahren, viele hatten zwei Fahnen montiert: die deutsche und die türkische. Cetin, 22, war sogar mit zwei T-Shirts unterwegs: unten das deutsche Trikot, oben drüber das türkische – um auf jeden Fall beim Sieger sein zu können. Fürs Wechseln war er dann nach dem 3:0 aber doch zu frustriert und zog nach Abpfiff mit seinen Freunden vom Oranienplatz in die dunkle Nacht davon.

Mitarbeit Annette Kögel, Jan Mohnhaupt

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