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Sport: DEUTSCHLAND – TÜRKEI

Halbfinale, St. Jakob-Park Basel, 20.45 Uhr, live im ZDF

Das Spiel der Türkei folgt bei diesem Turnier zwei einfachen Regeln. Erstens: Es geht immer was. Und wenn, zweitens, nichts mehr geht, trifft Semih. Semih Sentürk ist nicht der Star dieses Turniers, er ist dessen Phänomen. Er hat als Einwechselspieler zwei Tore erzielt. Nicht unbedingt etwas Außergewöhnliches. Nur waren es wahrscheinlich die beiden wichtigsten Tore in der türkischen Fußballgeschichte. Gegen die Schweiz traf er in der 57. Minute zum 1:1. In dieser einen Sekunde der Wasserschlacht von Basel hatte Semih der Türkei den Glauben gebracht, der sie nun bis ins Halbfinale getragen hat. Nach seinem zweiten Tor,dem Ausgleichtreffer in der 121. Minute gegen sich noch jubelnd im Kreis drehende Kroaten, legte er nur den Zeigefinger auf den Mund. Es war ein Schuss wie ein Dolchstoß, so absurd, dass er jedes Wort überflüssig machte. Semih wusste das. Und man konnte genau beobachten, wie die Fassungslosigkeit über diesen Streich seine Gesichtsmuskeln löste.

Es ist aber vor allem dieser Fingerzeig, der so symbolisch ist für den Spieler Semih Sentürk. Der 25-jährige Stürmer von Fenerbahce Istanbul erlegt seine Gegner schweigend und taugt auch deshalb nicht zum Star, weil er auf dem Platz die meiste Zeit eine Tarnkappe zu tragen scheint. Man sieht ihn fast nie und wenn man ihn sieht, ist es zu spät. Denn für den unscheinbaren Mann mit der hohen Stirn und dem listigen Lächeln muss die Jokerrolle erfunden worden sein. Erst wenn die anderen müde werden, beginnt sein Spiel. Semih ist der überragende Hauptdarsteller in einem Stück, das selten länger als 30 Minuten dauert. Zugaben gibt er selten. Davor und danach sitzt er wieder auf der Bank. Im Kernschatten der Stars wie Altintop oder Nihat.

Fatih Terim hatte Semih vor dem Turnier sowieso eher diese Statistenrolle zugedacht. Auch, weil er die internationale Bühne zeitverzögert betreten hat. In der Türkei galt er vor neun Jahren noch als eines der größten Sturmtalente des Landes, doch irgendwo auf dem Weg vom Jugendspieler zum Profi hatte sich Semih verlaufen: Ende 1999 unterschrieb der damals 16-Jährige einen Profivertrag in Istanbul. In 56 Spielen der Jugendmannschaft hatte er 63 Treffer erzielt. Doch in Fenerbahces erster Mannschaft machte er in den ersten drei Jahren nur drei Spiele und ein einziges Tor. Erst in der vergangenen Saison konnte er das Versprechen seiner Jugendzeit einlösen. Allerdings musste er sich dafür erst die Nische suchen, in der er nun zum türkischen Volkshelden geworden ist: Vergangene Saison wurde er mit 17 Treffern Torschützenkönig in der Türkei – obwohl er oft erst nur Ersatz war. Semih ist der wohl wichtigste 12. Mann der EM: Dreimal waren die Türken in diesem Turnier tot, dreimal brachte Terim seinen Defibrillator von der Bank. Jetzt, im Spiel gegen Deutschland wird Semih seine geliebte Rolle des späten Brandstifters ablegen müssen. Nihat fehlt den Türken verletzt, dazu ist Tuncay Sanli gesperrt. Was Terim zu einem Rollentausch zwingt: Der komplette erste Sturm der Türken wird das Spiel von draußen verfolgen. Semih hingegen wird spielen und muss nun beweisen, ob er auch von Anfang an funktionieren kann.

Schiedsrichter: Massimo Busacca (Schweiz).

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