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Auswärtssieg: Vor einem Jahr trafen Fürther und Nürnberger zuletzt aufeinander, im DFB-Pokal Achtelfinale in Nürnberg.

© dpa

Deutschlands ältestes Derby: Schranken zwischen Franken

Fürth und Nürnberg treffen am Samstag erstmals in der Bundesliga aufeinander. Die Rivalität der beiden Klubs ist aber viel älter; Rot und Grün verbindet eine Hassliebe. Ein Kontrollgang an der innerfränkischen Grenze.

Das Allerheiligste lagert im Keller, hinter einer Schranktür: grün-weiße Fanschals, Pullis, Mützen, Dutzende Trikots. Der Hüter des Schatzes heißt Helmut Ell. Vor jedem Spiel von Greuther Fürth, auch vor dem fränkischen Derby an diesem Samstag gegen Nürnberg (15:30 Uhr), geht er in den Keller und wählt die optische Unterstützung aus. Dabei hat Ell keine ungehinderte Entscheidungsfreiheit: Was er in dieser Saison bereits bei einer Niederlage im Stadion getragen hat, ist tabu. Aberglaube gehört bei ihm ebenso dazu wie grenzenlose Gefolgschaft des hiesigen Fußballvereins. Auf der Treppe nach oben, zurück in die Küche und vorbei an all den gerahmten Bildern alter Mannschaftsfotos, berichtet Ell stolz, dass seine Enkelin zwar noch nicht viel sprechen kann, „Kleeblatt“ kommt ihr aber schon über die Lippen.

Ells Haus steht in Sack, einem Stadtteil von Fürth, im Knoblauchsland, wie sich diese Gegend in Mittelfranken nennt. Keine 500 Meter weiter ist die Stadtgrenze. Dort beginnt Nürnberg. Ell sagt: „Zum Arbeiten gehe ich darüber, wenn ich muss. Aber sonst? Was soll ich da?“ Ell setzt sich auf seine Eckbank, über ihm zig Bierkrüge, er arbeitet seit zwei Jahren für die örtliche Brauerei. Ell bringt seinen Job mit nach Hause, gut ausgestattet mit Bier im Keller und im Bauch, schmale Brille, lange Stirn, 51 Jahre. Er lacht viel. Ihm gegenüber: Matthias Schreppel, der lacht auch viel und hat noch ein paar Haare weniger als Ell, ist dafür aber zehn Jahre jünger. Auf seinem T-Shirt: ein Kleeblatt. Seine Oberarme sind grün tätowiert. Schreppel führt die Fanvereinigung Sportfreunde Ronhof, die Ell einst mitgegründet hat. Sie ist die größte des Vereins. Auch Schreppel geht nur in Ausnahmefällen ins rote Nürnberg. Er sagt: „Die behandeln uns von oben herab.“ Ell sagt: „Die sind gönnerhaft. Solange wir nicht ihren Hegemonialanspruch angreifen.“

Genau das aber hat Fürth getan: mit dem Aufstieg. Die Spielvereinigung Greuther Fürth ist nun erstklassig, genau wie der 1. FC Nürnberg. Die Rivalität der Städte zeigt sich nicht nur beim Fußball, dort aber am deutlichsten. Am Samstag wird das älteste und meistgespielte Derby im deutschen Fußball erstmals in der Bundesliga ausgetragen, Nummer 255. Die Stadien sind keine 15 Kilometer voneinander entfernt, doch die Bewohner der Städte trennt weit mehr als das Autokennzeichen.

Helmut Ell nimmt einen Schluck Bier. Am Fahnenmast im Vorgarten wird vor Auswärtsfahrten das Kleeblatt gehisst, das Vereinswappen. „Immer, wenn ich auf Tour bin für meine Jungs.“ Ell blickt nach Boxdorf, drüben, hinter dem Acker. Das ist Nürnberg. „Die sind genauso Provinz wie wir“, sagt Ell. „Nur werden die Nürnberger damit nicht fertig, die wollen mehr sein. Wir können damit locker leben.“

In den Chroniken kann man weit zurückblättern und entdeckt Unterschiede, die auch heute noch erzählt werden. Fürth ist einige Jahrzehnte älter, erstmals schriftlich erwähnt 1007. Fürth galt immer als etwas freiheitlicher, liberaler, hatte nie eine Stadtmauer. Nürnberg dagegen war eine Reichsstadt, der Kaiser errichtete hier seine Residenz. Stadtmauern, Festungsbauten prägten das Bild der Stadt. Fürths Oberbürgermeister Thomas Jung sagt dazu: „Die Nürnberger haben dadurch sicherlich ein anderes Selbstbewusstsein. Bei einigen schlägt das dann auch mal in Überheblichkeit um.“ Jungs Nürnberger Kollege Ulrich Maly sieht das berufsbedingt anders. „Als großer Bruder steht man automatisch unter Imperialismusverdacht, ich glaube, es hat sich eine beidseitige Hassliebe entwickelt.“ Eine halbe Million Einwohner hat Nürnberg, Fürth nur etwa ein Viertel davon.

Die Kräfteverhältnisse wechselten in den Jahrhunderten, die Rivalität aber wuchs. 1835 fuhr die erste Eisenbahn Deutschlands zwischen Nürnberg und Fürth, die wenig später errichtete Nord-Süd-Bahn lief allerdings um Fürth herum, angeblich auch auf Druck von Nürnberger Amtsträgern.

Revierkämpfe in der U-Bahn

Der heutige Grenzverlauf sieht aus, wie von Zorro in die Landschaft gefochten, ein Zickzack-Kurs. Gäbe es die Ortsschilder nicht – niemand würde den Übertritt in die andere Stadt merken. Denn nicht nur aus der Luft betrachtet sind Nürnberg und Fürth längst verschmolzen. Auch am Boden lässt sich nicht ausmachen, welche Postleitzahl zu wählen ist. Und doch gibt es sie, die Pufferzone, neutrales Gebiet in Form einer Straßenkreuzung. Fährt man von Süden darauf zu, geht es links nach Fürth, rechts nach Nürnberg. Aus Fürther Richtung fährt man auf der Nürnberger Straße, von anderer Seite auf der Fürther Straße.

Hier ist auch der U-Bahnhof „Stadtgrenze“ – er heißt wirklich so. Ein Siebziger-Jahre-Bau aus Stahl und Milchglas. Die Linie 1 verbindet die Städte, die Namensgebung der Haltestelle war angeblich als Warnung gedacht: Achtung, Sie verlassen den Ihnen bekannten Sektor. Dimi Ntokos ist einer der Fahrer dieser U-Bahn – und damit etwas Besonderes in der Region: An Arbeitstagen passiert er 16-mal die Grenze. Ntokos sagt: „Ich mag beide Städte, habe meine ersten 18 Jahre in Fürth gewohnt, lebe nun seit 21 Jahren in Nürnberg.“ Es gebe schon kleinere, nicht ganz ernst gemeinte Nickeligkeiten in der Bahn, sagt Ntokos. Beispielsweise, wenn an besagter Station Fahrgäste nach den Reisepässen der anderen fragen. Was ihn wirklich nervt, sind die Aufkleber mit Vereinswappen. Immer wieder werden sie in der Bahn vom Rivalen überklebt, klassisches Revierverhalten.

Südlich der Stadtgrenze steht eine Brauerei. Vor zwei Jahren wurde der Neubau fertiggestellt, seither arbeitet auch Helmut Ell für Tucher Bräu. Hier wird Fürther und Nürnberger Bier gebraut, zwei Sorten für die Grünen, zwei für die Roten, schön ausgewogen. Errichtet ist das Gebäude exakt auf der Stadtgrenze, die Nürnberger Kessel auf Nürnbergs Seite, die Fürther auf Fürths. Für Ell nur logisch: „Wenn sie die Brauerei nach Nürnberg gestellt hätten, würde kein Fürther das Bier trinken. Umgekehrt genauso.“ Was man in der Brauerei nicht aufteilen konnte, war der Parkplatz, er steht auf Nürnberger Seite. Die Folge: Die Dienstwagen tragen ein N auf dem Kennzeichen. Ein echtes Problem für Ell, der sich aber zu helfen wusste. „Das Erste, was ich gemacht habe, als ich vom Parkplatz runter bin: ein Kleeblatt neben das Nummernschild geklebt. Ist ja klar.“ Matthias Schlepper nickt zustimmend.

Transitstrecke. An der Haltestelle "Stadtgrenze" wird Nürnberg zu Fürth und Fürth zu Nürnberg.
Transitstrecke. An der Haltestelle "Stadtgrenze" wird Nürnberg zu Fürth und Fürth zu Nürnberg.

© Nicolas Diekmann

Beide leben seit ihrer Kindheit den Kleeblatt-Kult, den Ursprung der fußballerischen Feindseligkeiten zu Nürnberg konnten sie trotzdem nicht miterleben. Es war in den 1920er Jahren, als sich die gewachsenen Animositäten auch im Sport zeigten. Fürth wurde in diesem Jahrzehnt zweimal Deutscher Meister, Nürnberg fünfmal. Bei einem Spiel der deutschen Nationalmannschaft 1924 gegen die Niederlande standen nur Spieler aus diesen Vereinen auf dem Platz. Die Reise nach Amsterdam aber absolvierten sie in verschiedenen Zugwaggons. Und als ein Fürther den 1:0-Siegtreffer erzielte, da jubelte kein Nürnberger.

Grenzgänger: Manchmal fragen Leute in der U-Bahn scherzhaft nach dem Ausweis ihres Sitznachbarn.
Grenzgänger: Manchmal fragen Leute in der U-Bahn scherzhaft nach dem Ausweis ihres Sitznachbarn.

© Nicolas Diekmann

In der jüngeren Vergangenheit wurde die Stimmung aggressiver, im Oktober versuchte ein Nürnberger Hooligan-Mob, das Ronhofer Vereinsheim zu stürmen. „Das gelang nicht“, erzählt Schreppel, mehr will er dazu aber nicht sagen. „Inzwischen kannst du bei einigen, vor allem jüngeren Nürnberg-Fans, keinen ironischen Spruch mehr bringen“, sagt Ell. „Dann kriegst du gleich ironisch auf die Fresse.“ Dass längst nicht alle so sind – diese Feststellung ist beiden wichtig. Stundenlang reden sie über Grünes und Rotes: Zwei Fußballfans, die ihre Stadt und ihren Verein bedingungslos verehren, die keine rote Kleidung in ihren Schränken haben. „Dass wir und die Nürnberger so unterschiedlich sind, ist kaum erklärbar“, sagt Schreppel. Und Ell ergänzt: „Wir Franken sind schon komisch.“

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