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Dagur Sigurdsson (Deutschland, Trainer) jubelt im Spiel gegen Norwegen.

© imago/Camera 4

Deutschlands Handballer bei der EM in Polen: Erfahrung? Nö, Teamgeist!

Das deutsche Handballteam geht mit jugendlichem Optimismus ins heutige EM-Endspiel gegen die routinierten Spanier. Und gerade das lässt hoffen.

Die Bestätigung trudelte kurz nach dem Frühstück im Mannschaftshotel ein, in Form einer schriftlichen Mitteilung, die auch die allerletzten Zweifel beseitigen sollte. Norwegens Handball-Verband hat am Samstagmorgen seinen Protest gegen die Wertung des Halbfinals bei der Europameisterschaft in Polen zurückgezogen, in dem die Skandinavier am Freitagabend denkbar dramatisch nach Verlängerung (33:34) gegen die deutsche Mannschaft verloren hatten. „Ich bin froh, dass dieser Unsinn ein Ende hat und dass wir uns jetzt einfach nur noch auf das Finale gegen Spanien freuen können“, sagte der Delegationsleiter des Deutschen Handball-Bundes, Bob Hanning, mit Blick auf das Endspiel am Sonntag (17.30 Uhr, ARD).

Dem Einspruch der Norweger, die – wie Videoaufnahmen bestätigten – im Chaos der letzten Sekunden einen Feldspieler mehr als erlaubt beim Gegner gezählt hatten, waren bereits direkt nach dem Halbfinale bestenfalls theoretische Chancen eingeräumt worden. Wie hätte Europas Handball-Verband EHF die Sachlage auch halbwegs fair im Interesse beider Teams klären bzw. schlichten sollen? Die Norweger nachträglich zum Sieger erklären? Noch einmal die besagten letzten Sekunden nachspielen lassen? Mit einem Wiederholungsspiel in voller Länge? Das galt angesichts des engen Terminplans bei der EM von vornherein als ausgeschlossen.

Die Deutschen habe gekämpft

Obwohl die Funktionäre offensichtlich genervt waren vom förmlichen Protest der Norweger, passte die Anekdote dann aber auch wieder zum Verlauf des bisherigen Turniers, jedenfalls aus deutscher Sicht. Nach nunmehr zweieinhalb Wochen in Polen und sieben fast ausnahmslos umkämpften Begegnungen hat sich mittlerweile der Eindruck verfestigt, dass sich die Mannschaft von Bundestrainer Dagur Sigurdsson von nichts und niemandem aufhalten lässt, dass sich Probleme zum Teil ganz von selbst lösen. Neuerdings sogar außerhalb der Handball-Halle. Sportlich ohnehin.

„Wir haben einen unglaublichen Lauf, und das mit dieser jungen Mannschaft“, sagt Torhüter Carsten Lichtlein, der die Deutschen nach den Ausfällen von Kapitän Uwe Gensheimer und Ersatzkapitän Steffen Weinhold am Sonntag in die Arena von Krakau führen wird. Aus dem verbliebenen 16er Kader ist Lichtlein der Einzige mit Final-Erfahrung bei einem großen Turnier, der 35-Jährige gehörte bereits beim letzten EM-Titel vor zwölf Jahren zum Kader. Vor dem zweiten EM-Endspiel seiner Karriere sagt er nun: „Ich bin fest überzeugt davon, dass wir auch den letzten ganz großen Schritt machen.“ Dass seinen Vorderleuten vergleichbare Erfahrungen fehlen, will Lichtlein vor dem Duell mit den Spaniern und all ihren Routiniers dabei nicht als Nachteil gelten lassen. „Das machen wir mit unserem Teamgeist wett, der hat uns bisher immer ausgezeichnet.“

Auch im Halbfinale gegen Norwegen war das so, in dem die Nachnominierten, also Julius Kühn und Kai Häfner, zehn Tore zum Sieg beisteuerten, Häfner gelang sogar der entscheidende Treffer. Die Begegnung war ein Abbild des Hauptrundenspiels gegen Dänemark, das über den Halbfinal-Einzug entschieden hatte. Sieben Minuten vor dem Ende lagen die Deutschen mit zwei Treffern hinten, für gewöhnlich keine große Sache im Handball, wenn sie sich nach einem guten Start in der ersten Halbzeit nicht so schwer getan hätten gegen die exzellente Deckung der Norweger. „Ich habe es auch so empfunden, dass wir dieses Spiel fast schon abgegeben hatten“, sagte Siegtorschütze Häfner, „aber eben nur fast.“

Ein bisschen Glück

Mit einer Auszeit stellte Sigurdsson sein Team noch mal neu ein, irgendwie reichte es dann für die Verlängerung und den Finaleinzug. „Ein bisschen Glück war natürlich dabei“, räumte der Isländer später ein. Am Sonntag könnten die Deutschen nun sogar davon profitieren, dass der Bundestrainer seinen Kader nachträglich und mitten im Turnier umbauen musste. „Bei so einer Belastung in so kurzer Zeit helfen frische Beine“, sagt Sigurdsson, „in diesen engen Spielen kommt es auf jeden Zweikampf an, auf jedes Prozent.“ Gut möglich, dass sein Team, Altersdurchschnitt: knapp unter 25 Jahre, noch ein wenig mehr Benzin im Tank hat als die Spanier.

Neben der Teilnahme für die Weltmeisterschaft 2017 in Frankreich, die das deutsche Team dank des Finaleinzugs bereits sicher hat, hätte der Titelgewinn den unschätzbaren Vorteil einer direkten Qualifikation für die Olympischen Spiele im Sommer. Vor der EM hieß es noch, der Deutsche Handball-Bund plane eine Bewerbung zur Austragung eines entsprechenden Qualifikationsturniers. Auch das könnte sich am Sonntagabend erledigt haben.

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