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DFB-Elf

© dpa

DFB-Elf: Alles außer Cordoba

Deutschland gegen Österreich – das ist mehr als nur ein Duell. Es ist Fußball als Farce, als peinliche Schlacht oder anmutiges Wunder.

Am Mittwoch spielt die deutsche Fußball- Nationalmannschaft in Wien gegen Österreich. Deshalb wird in dieser Woche wieder ein Duell beschworen, das am 21. Juni 1978 bei der WM in Argentinien als „Schmach von Cordoba“ zum Mythos wurde. Die Bundesrepublik verlor damals als amtierender Weltmeister 2:3 gegen das kleine Nachbarland und schied aus dem Turnier aus. Aber es gibt noch viel mehr Geschichten in der deutsch-österreichischen Fußballgeschichte. Eine Rückschau:

1931, Berlin – Endstand 0:6

Es gab einmal eine Zeit, da war Österreich das Maß aller Dinge. Elf perfekte Fußballspieler vom Wundertorwart Rudi Hiden bis zum Wunderstürmer Matthias Sindelar, praktischerweise nannten die Österreicher diese Mannschaft Wunderteam. Auf der Hohen Warte zu Wien schlugen sie Schottland 5:0, eine Woche später traten sie im Berliner Grunewaldstadion an. In Deutschland machte man sich ein wenig lustig über die österreichischen Kaffeehausfußballer und rechnete mit einem hohen Sieg. Doch schon nach fünf Minuten legte der schmächtige Sindelar dem Kollegen Schall zum 1:0 auf. Zur Pause stand es 3:0, und am Ende waren die Deutschen mit sechs Gegentoren gut bedient. Das ist bis heute die höchste Heimniederlage und die zweithöchste überhaupt (Schlimmer war’s nur 1909 beim 0:9 gegen England in Oxford). Die „Fußball-Woche“ widmete Sindelars Tanz mit den deutschen Abwehrspielern das folgende Lied: „Denn fürs Fußball-Leben ist Deutschland noch nicht schlau genug. Doch sein höh’res Streben ist ein schöner Zug.“ Im deutschen Tor stand Paul Gehlhaar, für den Ostpreußen in Diensten von Hertha BSC war es das zweite und letzte Länderspiel. Zur Revanche am 13. September boten die Österreicher zur Einweihung des Wiener Praterstadions eine bessere B-Mannschaft auf, aber Sindelar war dabei und schoss beim 5:0-Sieg wie selbstverständlich drei Tore.

Freundschaftsspiel am 24. Mai 1931, Tore: 0:1 Schall (6.), 0:2 Vogl (27.), 0:3 Schall (32.), 0:4 Zischek (65.), 0:5 Schall (70.), 0:6 Gschweidl (88.), Zuschauer: 40 000.

1934, Neapel – 3:2

Das Wunderteam war über seinen Zenit hinaus und hätte doch Weltmeister werden können, wenn es im Halbfinale beim 0:1 gegen WM-Gastgeber Italien nicht vom schwedischen Schiedsrichter betrogen worden wäre. Ungestraft hatten die Italiener den genialen Sindelar zusammengetreten, der folglich fehlte im Spiel um Platz drei. Reichstrainer Otto Nerz, ein strammer Nazi, schickte vor dem Spiel den Münchner Sigmund Haringer nach Hause, weil dieser gegen seine Anweisung auf dem Bahnhof eine Apfelsine gegessen hatte. Für ihn reiste der Aachener Reinhold Münzenberg an, der dafür seine Hochzeit verschob. Weil die Deutschen zu jedem Spiel mit erhobenen rechten Arm aufliefen, waren sie die unbeliebteste Mannschaft des Turniers – trotz der von Mussolini und Hitler dekretierten Völkerfreundschaft. Und doch bejubelten die Zuschauer in Neapel frenetisch den Führungstreffer des Augsburgers Ernst Lehner, allerdings versehentlich. Die weißen Trikots der Deutschen ähnelten so sehr den österreichischen, dass die Fans Orientierungsprobleme hatten. Als der Saarbrückener Edmund Conen nach einer halben Stunde das 2:0 erzielte, unterbrach der Schiedsrichter das Spiel und ließ eine Münze darüber entscheiden, wer seine Leibchen behalten durfte. Die Österreicher verloren die Wahl und mussten in den roten Trikots des neapolitanischen Lokalvereins weiterspielen.

WM-Spiel um Platz drei, 7. Juni 1934. Tore: 1:0 Lehner (1.) , 2:0 Conen (29.), 2:1 Horvath (30.), 3:1 Lehner (42.), 3:2 Sesta (55.). Zuschauer: 9000.

1938, Paris

Bei der WM 1938 in Frankreich bildeten beide Nationen unwillig eine gemeinsame Mannschaft. Reichstrainer Sepp Herberger gebot damals über eine aufstrebende Elf, die nach einem 8:0-Sieg über Dänemark am 16. Mai 1937 in Breslau als Breslau-Elf Furore machte. Die Österreicher sonnten sich noch im Glanz alter Wunderteamtage und wollten nichts wissen vom athletischen Stil der Deutschen. Zehn Wochen vor dem WM-Auftakt sollte Herberger nun auf Geheiß von DFB-Präsident Felix Linnemann aus zwei guten Mannschaften eine unschlagbare machen. „Der Führer wünscht eine Zusammenstellung 6:5 oder 5:6“, sagte Linnemann dem überraschten Herberger, der später von einer „Wiener Melange mit preußischem Einschlag“ sprach. Vergeblich protestierte der Trainer, und vergeblich versuchte er, den Wiener Sindelar für die gemeinsame Mannschaft zu gewinnen – Sindelar waren die Nazis zuwider. Im Trainingslager sprachen Österreicher und Deutsche kaum ein Wort miteinander, sodass das Projekt schon vor dem ersten Spiel gegen die Schweiz zum Scheitern verurteilt war. Und fußballerisch passte eh nicht zusammen, was politisch erzwungen war. Dazu kam die ablehnende Haltung des französischen Publikums. Hitlers aggressive Expansionspolitik und die Bomben der Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg schufen im Pariser Prinzenpark ein Klima, für das Herberger den heute noch gebräuchlichen Begriff „Hexenkessel“ kreierte. Im ersten Spiel gab es am 4. Juni 1938 ein 1:1, fünf Tage später verloren die Deutschen 2:4. Seinem berühmten Tagebuch vertraute Herberger an: „Es war eine furchtbare Schlacht, es war kein Spiel mehr.“

WM-Achtelfinale, Deutschland und Österreich gegen die Schweiz, 4. Juni 1938. Tore: 1:0 Gauchel (29.) , 1:1 Trello Abegglen (43.), Zuschauer: 40 000. Wiederholungsspiel, 9. Juni 1938. Tore: 1:0 Hahnemann (8.), 2:0 Lörtscher (15., Eigentor), 2:1 Walaschek (41.), 2:2 Bickel (64.), 2:3 Trello Abegglen (75.), 2:4 Trello Abegglen (78.). Zuschauer: 20 000.

1954, Basel – 6:2

Nach dem vierten Tor der Deutschen sagte Heribert Meisel vom Österreichischen Rundfunk das, was ein Radioreporter eigentlich nicht sagen darf: „Ich bin sprachlos.“ Zum wiederholten Mal hatten sich die Österreicher in diesem WM-Halbfinale allzu tölpelhaft angestellt. „Alles hat die Nerven verloren hinten“, berichtete Meisel. Am Ende hieß es 6:1 für die Deutschen, die damit erstmals das Endspiel einer WM erreichten. Vom „Wunder von Basel“ war anschließend die Rede, doch weil die Mannschaft um Kapitän Fritz Walter nur vier Tage später in Bern ein zweites und viel größeres Wunder folgen ließ, erfuhr der Halbfinaltriumph im kollektiven Gedächtnis des deutschen Fußballs nie die Anerkennung, die ihm gebührt hätte. „Deutsche Elf so gut wie noch nie“, titelte die „Bild“-Zeitung, und der „Kicker“ verkündete: „Deutschland ist Fußball-Weltmacht“. Besonders bemerkenswert fand es das Fachmagazin, dass Herbergers Mannen die technisch hoch veranlagten Österreicher nicht niedergekämpft sondern „niedergespielt, niedergekreiselt“ hatte. „Die Zuschauer haben gelacht und gejohlt, wie sicher, trickreich, witzig, einfallsreich die Deutschen ihren Rivalen deklassierten, spieltechnisch, nicht kämpferisch.“ So gut wie an diesem Mittwoch, dem 30. Juni 1954, ist die deutsche Nationalmannschaft vielleicht nie wieder gewesen.

WM-Halbfinale, 30. Juni 1954. Tore: 1:0 Schäfer (33.), 2:0 Morlock (47.), 2:1 Probst (52.), 3:1 Fritz Walter (57., Foulelfmeter), 4:1 Ottmar Walter (61.), 5:1 Fritz Walter (65. Foulelfmeter), 6:2 Ottmar Walter (87.). Zuschauer: 56 000.

1981, Hamburg – 2:0

Bernd Krauss aus Dortmund stürmte von außen nach innen. Den Schuss von Felix Magath erwischte er gerade noch mit dem Stollen, und als Krauss schon auf dem Rasen lag, sah er, dass sich der abgefälschte Ball genau ins Eck drehte. Was für ein Länderspieldebüt! Was für eine Geschichte! Bernd Krauss, Deutscher von Geburt, eingebürgerter Österreicher, schießt in seinem ersten Länderspiel für Österreich ein Tor für Deutschland. „Da kam ein bisschen Stimmung auf“, erinnert sich Krauss an die Reaktion der österreichischen Medien. „Der Piefke trifft gegen die Piefkes für die Piefkes.“ Krauss, Abwehrspieler von Rapid Wien, hatte die österreichische Staatsangehörigkeit angenommen, um in seiner Wahlheimat Nationalspieler zu werden. Vor allem aber wollte er sich auf diese Weise wieder ins Blickfeld der Bundesliga spielen, die er 1977 nach nur einem Einsatz für Borussia Dortmund verlassen hatte. Zwei Jahre später wechselte er tatsächlich zurück nach Deutschland, zu Borussia Mönchengladbach. Auch seiner Länderspielkarriere schadete das Eigentor vom 29. April 1981 nicht. Krauss bestritt noch 21 Spiele für Österreich, darunter drei gegen Deutschland. Es hätten sogar mehr werden können, wenn Krauss nicht 1984 auf sanften Druck seines Arbeitgebers ein zweites Mal die Nationalität gewechselt hätte. Krauss, der gebürtige Deutsche, blockierte damals einen der wertvollen Ausländerplätze.

WM-Qualifikation, 29. April 1981. Tore: 1:0 Krauss (30., Eigentor), 2:0 Fischer (36.). Zuschauer 61 000.

1982, Gijon – 1:0

Kein Spiel hat dem Ansehen des deutschen Fußballs mehr geschadet als die letzte Vorrundenbegegnung der Nationalmannschaft bei der WM 1982 gegen Österreich. Und kein Spiel war so schnell zu Ende. Nach zehn Minuten, nach Horst Hrubeschs Tor zum 1:0, stellten beide Mannschaften den Betrieb ein. Das Ergebnis reichte sowohl den Deutschen als auch den Österreichern zum Einzug in die nächste Runde. Die Welt aber sah in der Folge, wie die holländische Zeitung „De Volkskrant“ schrieb, „ein Stück Fußballporno, das in die Geschichte eingehen wird“. Der ARD-Reporter Eberhard Stanjek stellte ebenfalls die Arbeit ein: Er weigerte sich, das Hin- und Hergeschiebe weiter zu kommentieren. „Paarlaufen“ nannte der österreichische Nationalspieler Roland Hattenberger die Darbietung, die das Publikum erzürnte. Auf den Rängen wedelten algerische Fans mit Geldscheinen; ihre Mannschaft, die zum Auftakt des Turniers überraschend die Deutschen geschlagen und ihr letztes Gruppenspiel bereits ausgetragen hatte, schied als Leidtragender der Farce von Gijon aus. Zum 25. Jahrestag des Nicht-Spektakels im vergangenen Sommer nährte Walter Schachner die Theorie von sittenwidriger Kungelei. In der Pause hätten sich deutsche und österreichische Spieler, die sich aus der Bundesliga kannten, auf ein Stillhalteabkommen verständigt, nur er habe davon nichts mitbekommen: „Ich bin gelaufen wie ein Wahnsinniger und war richtig angefressen.“ Ob es eine Absprache gegeben hat, ist trotzdem fraglich. Wahrscheinlich wussten beide Teams, was fortan zu tun war – nichts. „Das hat sich so entwickelt“, sagt Bernd Krauss, der damals für Österreich spielte. Ein positives Ergebnis immerhin hatte das obszöne Stück: Die Fifa beschloss, die letzten Gruppenspiele zeitgleich anzusetzen, um Manipulationen zu verhindern.

WM-Vorrunde, 25. Juni 1982. Tor: 1:0 Hrubesch (11.). Zuschauer 40 000.

1986, Wien – 1:4

Die Bundesrepublik reiste als WM-Zweiter nach Wien, aber selbst der amtierende Kaiser Franz B. spottete in jenen Tagen oft und gern darüber, wie wenig diese mit viel Glück erreichte Platzierung der Realität entsprach. Doch auch ein Dusel-Vizeweltmeister kassiert nicht gern vier Gegentore. Am Tag danach titelte der Wiener „Kurier“: „Die Wiedergeburt der Fußballnation Österreich“. Nun ja, daraus ist nichts geworden. Aber für Beckenbauer war und blieb es die höchste Niederlage seiner sechsjährigen Amtszeit als Teamchef der Nationalmannschaft. Und die bis heute letzte, die Deutschland gegen Österreich bezog. Beckenbauer machte später den italienischen Schiedsrichter Luigi Agnolin verantwortlich. Agnolin pfiff zwei umstrittene Elfmeter gegen die Deutschen. Nach dem zweiten stellte er den ihn wüst beschimpfenden Lothar Matthäus vom Platz. Beckenbauer schimpfte nach dem Schlusspfiff weiter: „Wenn der Schiedsrichter keine Lust hat, soll er doch zu Hause bleiben.“ – „Ich hoffe, der wird so schnell wie möglich aus dem Verkehr gezogen.“ – „Der ist gemeingefährlich.“ Vor dem Spiel hatte Beckenbauer noch ganz anders geurteilt: „Luigi Agnolin ist der beste Schiedsrichter der Welt.“

Freundschaftsspiel, 29. Oktober 1986. Tore: 0:1 Polster (57. Elfmeter), 1:1 Völler, 1:2 Polster (63., Elfmeter), 1:3 Kienast (68.), 1:4 Kienast (76.). Zuschauer: 55 000.

2004, Wien – 3:1

In den letzten zehn Minuten machte Jürgen Klinsmann es sich bequem. Gemeinsam mit seinem Assistenten Joachim Löw hockte er auf der Rückenlehne der Trainerbank, ihre Füße hatten sie auf der Sitzfläche abgestellt. Klinsmanns Debüt als Bundestrainer, das war bereits klar, würde erfolgreich zu Ende gehen. Durch drei Tore des damaligen Stuttgarters Kevin Kuranyi führte die Nationalmannschaft 3:1. Zwei Monate nach der enttäuschenden Europameisterschaft in Portugal nahm der deutsche Fußball wieder Schwung auf – und das vorwiegend mit altbekanntem Material. Die Not in der Abwehr bescherte Frank Fahrenhorst sein Länderspieldebüt und Thomas Linke einen letzten Auftritt im DFB-Trikot. Fünf Minuten vor Schluss wurde als zweiter Neuling der Ära Klinsmann Robert Huth eingewechselt, ein in Deutschland weitgehend unbekannter Innenverteidiger vom FC Chelsea. Den Wunsch der Deutschen nach Veränderungen befriedigte Klinsmann in seinem ersten Länderspiel eher behutsam, doch Anzeichen für seinen revolutionären Eifer waren bereits zu erkennen. Vor dem Spiel ersetzte er den bisherigen Kapitän Oliver Kahn durch Michael Ballack, und in der Pause musste Kahn seinen Platz im Tor für Jens Lehmann räumen. Was damals niemand ahnte: Es war der Beginn einer umfassenden Torwartrotation, die das Land nun anderthalb Jahre lang in Atem halten würde.

Freundschaftsspiel, 18. August 2004. Tore: 1:0 Kuranyi (2.), 1:1 Amerhauser (10.), 2:1 Kuranyi (61.), 3:1 Kuranyi (73.). Zuschauer: 37 900.

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