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DFB: Nationalmannschaft: Neue Aufstellung

Die Verhandlungen um eine Vertragsverlängerung mit Joachim Löw sind gescheitert – vorerst. Erst nach der Fußball-WM soll es um die Zukunft des Bundestrainers gehen. Warum?

Am Tag danach lauerten zwei Fragen im Stadtwald von Frankfurt am Main, in dem die Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) liegt: Wie konnte das passieren? Und lässt sich das jemals reparieren? Der Vertrag von Bundestrainer Joachim Löw hatte am Donnerstagnachmittag zur Verhandlung angestanden, doch statt inhaltlicher und personeller Planungen vor der für den deutschen Fußball so wichtigen Weltmeisterschaft im Sommer in Südafrika gab es zu besichtigen: Eitelkeiten, Ultimaten und gegenseitige Vorwürfe. Ein neuer Vertrag für den Bundestrainer, der eigentlich laut DFB-Präsident Theo Zwanziger schon per Handschlag besiegelt und per Boulevardpresse verkündet worden war, kam bei dieser Sitzung nicht heraus. Öffentlich erkennbar wurde stattdessen, wie zerrissen der DFB innerlich ist. „Es ist alles kaputt“, sagte ein hoher Funktionär am Tag danach. Wie es jetzt weitergehen soll? Die Antwort ist Schweigen im Walde.

Beschädigt sind jetzt viele im DFB: Bundestrainer Joachim Löw fährt trotz der mit seinem Team errungenen Vize-Europameisterschaft 2008 und ungeachtet der souveränen Qualifikation für die anstehende WM nicht mit voller Rückendeckung aus Deutschland nach Südafrika. Und Theo Zwanziger, der bislang in seiner Lenkungsmacht anerkannte Präsident sowie Profiteur und Beschützer von Löw, hat es erstmals nicht vermocht, die Strömungen innerhalb des Verbandes in eine von ihm angestrebte Richtung zu lenken. Fortan werden die verschiedenen Fraktionen des Verbandes immer offener um Macht und Einfluss kämpfen – ein Mannschaftsspiel mit dem Ziel WM-Titel wird dabei kaum herauskommen können.

Auf den ersten Blick haben sich vor allem die Führung des Verbandes um Zwanziger und die sportliche Leitung der Nationalmannschaft um Löw miteinander überworfen. Beide waren eigentlich schon kurz vor dem Jahreswechsel übereingekommen, die zumindest von den sportlichen Ergebnissen her erfolgreiche Zusammenarbeit über die WM hinaus fortzusetzen. Nachdem aber diese Nachricht aus der Spitze des Verbandes in die Öffentlichkeit entlassen worden war, wähnte sich die sportliche Leitung in einer besseren Verhandlungsposition. Und spätestens an dieser Stelle kam Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff ins Spiel. Er, der 2004 Jürgen Klinsmanns Modernisierungsmantra folgend im DFB installiert worden war, um die Nationalmannschaft noch mehr vom Funktionärswesen zu entkoppeln, stellte in Löws und auch in seinem Namen neue Bedingungen: Natürlich ging es dabei um mehr Geld für den Trainer und Betreuerstab, vor allem aber um mehr Macht. Bierhoff verlangte ein Vetorecht für sich selbst bei der Suche nach dem nächsten Bundestrainer. Bisher hatte er nur das Recht, die Verhandlungen zu führen – aber bitteschön im Sinne des DFB-Präsidiums und des Präsidenten an der Spitze. Verwegen, dass Bierhoff dachte, das höchste Arbeitsgremium des DFB würde seiner eigenen Entmachtung in der Kernfrage seiner wichtigsten Mannschaft zustimmen. „Offenbar hat Bierhoff gedacht, dass er nun pokern kann“, sagt einer aus dem engsten Führungszirkel. „Da mussten ihm eben die Grenzen aufgezeigt werden.“ Das Problem daran ist nur, dass mit Bierhoff nun auch Löw gegen diese Grenze stößt. Er hat keinen Vertrag über die WM hinaus und ist damit bei den ersten sportlichen Schwächen für öffentliche Angriffe freigegeben. Löw spricht von „vielen Unwahrheiten“ und bestreitet, dass es einen Handschlag-Vertrag gegeben hat. Zwanziger wollte das nicht kommentieren. Ob die Konflikte Löw veranlassen, direkt hinzuwerfen? Er weist das von sich und auch Zwanziger scheint diese Sorge nicht umzutreiben. Gegenüber Vertrauten soll er ausgeführt haben, auch Klinsmann hätte keinen Vertrag über 2006 hinaus gehabt und trotzdem eine erfolgreiche WM im eigenen Land abgeliefert: „Der hat ja auch nicht aufgehört.“ Nach dem Ende des Sommermärchens sah es anders aus – Klinsmann verließ den von ihm in Ansätzen revolutionierten Verband, und der DFB setzte das Projekt mit dem beförderten Assistenten Löw fort. Das Dumme ist nun: Noch einen Löw im Wartestand gibt es nicht.

Die einzige interne Alternative zu Löw arbeitet beim DFB gar nicht als Trainer, sondern als Sportdirektor: Matthias Sammer, schon auf dem Fußballplatz ein akribischer Ehrgeizling, ist für die Nachwuchsarbeit des DFB zuständig. Unter seiner Ägide wurden die Nachwuchsteams U 17, U 19 und U 21 Europameister. Unter dem Eindruck dieses bislang einmaligen Erfolges lieferte sich Sammer mit Löw ein monatelanges Kompetenzgerangel um die Schnittstelle zwischen Nachwuchs und Nationalmannschaft, das U-21-Team. Der Streit, wer etwa berechtigt ist, einen Trainer auszusuchen und ihn anzuleiten (derzeit amtiert Löws Vertrauter Rainer Adrion), gehörte ebenfalls zum Gezerre um Löws Vertrag – denn Löw forderte von Zwanziger, Sammer zurückzupfeifen. Zwanziger hatte gegen den Widerstand von Klinsmann und Löw Sammer erst zum DFB geholt, um seine Funktionärsriege auch mit jüngeren Gesichtern aus dem Fußball aufzufrischen. Viele sahen aber nicht einen fleißigen Sportdirektor, sondern auch einen erstarkenden Ersatz-Bundestrainer für alle Fälle. Die daraus entstehende Reibung zwischen Nationaltrainer und Sammer nahm Zwanziger in Kauf – denn auch ihm war nicht daran gelegen, dass sich die Nationalmannschaft im DFB mehr und mehr als Staat im Staate geriert. Am Ende sollen doch die verdienten Funktionäre aus den Fußballverbänden entscheiden – und so taten sie es auch am Donnerstag.

Als das Gezerre zwischen Löw und Sammer eskalierte, pfiff Zwanziger tatsächlich Sammer zurück, doch währenddessen hatte Bierhoff schon überhöhte Forderungen gestellt, die für viele Funktionäre schon wieder nach Staat im Staate klangen – und die auch mit Sammer zu tun haben dürften. Denn Sammer und Bierhoff, 1996 gemeinsam Europameister, haben sich inzwischen eher zu Botschaftern ihrer jeweils eigenen Sache entwickelt. Beide sollen sich auch persönlich nicht gerade zugeneigt sein. Dass Bierhoff einmal mit seinem Veto einen Bundestrainer Sammer verhindern würde, konnte auch Zwanziger nicht zulassen. Sammer, der in diesem Konflikt lange wie der Verlierer aussah, geht nun halbwegs schadlos aus dem Machtkampf hervorgehen. Sollte Löw hinschmeißen, würden alle nach ihm rufen.

Was aber würde passieren, wenn Zwanziger die Eifersüchteleien über den Kopf wachsen? Diese Machtfrage hinter der Machtfrage wird im Verband lediglich hinter vorgehaltenen Händen angesprochen. Man hat nicht vergessen, dass der Abschied von Bundestrainern (Rudi Völler) schnell zu einer Führungskrise ausufern kann (Gerhard Mayer-Vorfelder). Zwanziger hat hier mit Sammer scheinbar schon vorgebaut, doch den Ehrgeiz mancher im Verband bremst das nicht. Auf den zweiten Blick rückt dabei der recht junge und auch in der Medienarbeit eloquente Generalsekretär Wolfgang Niersbach ins Bild. Dem gut vernetzten und mit Franz Beckenbauer befreundeten ehemaligen Journalisten wird in Machtkämpfen eine gewisse Chuzpe bescheinigt. Erst vor kurzem sickerte der erzwungene Abschied von DFB-Pressechef Harald Stenger in die Öffentlichkeit. Nun fällt der nicht verlängerte Vertrag mit Löw und das Zerwürfnis mit Bierhoff technisch in den Zuständigkeitsbereich des Generalsekretärs. Er hatte im Sinne Zwanzigers und des DFB-Präsidiums den von Bierhoff vorgelegten Vertrag abzulehnen und eine Alternative vorzulegen. Das hat er getan. Begleitet wurde der Poker allerdings von lancierten Veröffentlichungen der „Bild“-Zeitung über die von Bierhoff vorgelegten Forderungen. Sollte daran denn wirklich Bierhoff ein Interesse gehabt haben?, fragen nun Funktionäre verwundert. Als Antwort erhalten auch sie ein Schweigen im Walde.

Und so sieht sie aus, die Aufstellung des DFB im WM-Jahr: Zwanziger und Niersbach gegen Bierhoff und Löw gegen Sammer und vielleicht Zwanziger. Vom heutigen Samstag an noch 126 Tage bis zum Anpfiff in Südafrika am 11. Juni.

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