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© dpa

DFB-Pokal: Der weiche Titan

Mit dem ersten von drei Titeln wird Oliver Kahn am Zipfel seiner Laufbahn erstaunlich menschlich. Dass der FC Bayern überhaupt im Finale stand, verdankt der Verein allein ihm.

Berlin - Kurz vor Ablauf der 120 Minuten wurde Oliver Kahn das lange Stehen zu anstrengend. Also nahm der 38-Jährige gemütlichere Position ein. Acht, neun Meter vor seinem Tor kauerte der gebückte Kahn, die Hände auf die Oberschenkel gestützt und verfolgte, den Kopf in den Nacken gelegt, das Zeitschinden seiner Vorderleute. Als dann der Schlusspfiff ertönte, machte sich Kahn gerade wie ein entspannter Flitzebogen. Er streckte seine Arme in die Höhe und blieb stehen wie sein eigenes Denkmal. Er ahnte wohl, was passieren würde.

Plötzlich liefen sämtliche Bayern-Spieler auf ihn zu. Er nahm sie alle mit erstaunlicher Gelassenheit in Empfang. Die letzten dürften keinen Fetzen mehr von ihm berührt haben, so opulent war die Menschentraube. „Sie hatten einfach das Gefühl, dass sie Oliver danken müssen“, sagte Trainer Ottmar Hitzfeld über die wohl emotionalste Szene des 65. Finales.

Der Erste, der ihm um den Hals gefallen war, war Bastian Schweinsteiger. Der burschenhafte Nationalspieler war es auch, der anschließend von hinten ein riesiges Bierglas über Kahns Kopf entleerte. Es waren die beiden auffälligsten Szenen Schweinsteigers an diesem Abend, dann aber sagte er, was viele fühlten: „Wenn man sieht, welche Mühe der Olli sich immer gegeben hat, dann verlangt das Respekt. Schließlich hat er uns im Elfmeterschießen in Burghausen im Rennen gehalten. Sonst wären wir heute nicht hier.“

Während anschließend Spieler wie der zweifache Torschütze Luca Toni und Lucio über die Werbebanden hüpften und in die Kurve der jubelnden Bayern-Fans stürmten, schlich Oliver Kahn ganz allein in Richtung Mittelkreis, wo das Podest für die Siegerehrung gezimmert wurde. Für einige Minuten blieb Kahn allein, er entledigte sich langsam seiner Handschuhe, zupfte sein Trikot aus der Hose und pustete mehrmals kräftig aus. Nachdem er aus den Händen des Bundespräsidenten den Pokal überreicht bekommen hatte, beugte sich Kahn mit der Trophäe tief nach unten und stieß beim wuchtigen Hochstemmen einen lauten Schrei aus: „Da ist er“, rief Kahn.

Das Finale lebte von der Dramaturgie und – wieder mal – von Oliver Kahn.

Nach Ende der regulären Spielzeit war der Kapitän in der kurzen Pause zu jedem Mitspieler gegangen. Während 15 Meter entfernt der Dortmunder Trainer Thomas Doll mit der Taktiktafel in der Hand von Spieler zu Spieler rannte, redete Kahn seinen Mannen ruhig ins Gewissen. Für Kahn sind Spiele wie diese ganz besondere. „Die vielen Finals, die ich in meiner langen Karriere gespielt habe, die waren schon toll“, sagte er hinterher. Ein wenig inszeniert er seinen Abtritt, der in drei Akten geplant ist. Pokal, Meisterschaft, Europapokal. Viele Endspiele werden nicht mehr kommen. In der Meisterschaft liegen die Bayern uneinholbar vorn, bleibt das Endspiel um den Uefa-Cup. Am Donnerstag steigt gegen St. Petersburg das Halbfinal-Hinspiel.

Oliver Kahn weiß, dass er sich am Zipfel seiner aktiven Laufbahn befindet. Deswegen will er gewinnen, was es zu gewinnen gibt. Und dann wird er weich. Aus dem einstigen Titan ist ein alternder Torwart geworden – im besten Sinne. Oliver Kahn ist menschlicher geworden. So lange die Spiele so verlaufen wie jüngst in Getafe oder jetzt in Berlin, mit einem Ausgleich in letzter Spielminute, einer Verlängerung, die im Erfolg mündet, so lange lebt er sein Torwartleben aus. Solche Dramaturgie, solche emotionale Dichte liebt er. „Diese ominöse 90. Minute verfolgt mich seit 20 Jahren. Aber wenn man das so oft erlebt hat, wird man robust“, sagte Kahn und lächelte milde.

In der 100. Spielminute war er nach einem gewaltigen Schuss des Dortmunder Florian Kringe in die lange, linke Torwartecke abgetaucht. Eine Heldentat – wie hinterher alle befanden. Hitzfeld, ebenfalls auf der Schlussgeraden seiner aktiven Bayern-Zeit, fand anerkennende Worte: „Ich gratuliere ihm zu dieser Leistung. Er hat gezeigt, dass auf ihn immer Verlass ist. Das ist Weltklasse.“ Beide, der Trainer und der Torwart, bilden eine Schicksalsgemeinschaft. Zum letzten Mal hielten sie in der Nacht zum Sonntag den DFB-Pokal in den Händen. Für Kahn, der vor zehn Jahren seinen ersten Pott gewann, ist es der sechste.

Zur Gefühlsduselei ist Oliver Kahn dennoch nicht bereit. Auf dem nachmitternächtlichen Bankett erzählte er, dass es ihn „langsam nervt“, wenn er immer höre, es sei bald Schluss. Aber dieser Schluss bringt ihm auch Versöhnung mit der Fußballwelt, dem FC Bayern und sich selbst. Er fühle „ein bisschen Dankbarkeit“, sinnierte er. Und dann wollte er noch etwas über das Pokalfinale sagen, und es wirkte, als meinte er sich: „Das ist etwas Großartiges.“

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