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Eine Wellenlänge. Dass Jürgen Klopp geht, kann Stadionsprecher „Nobby“ (von hinten) bis heute nicht glauben.

© Imago

DFB-Pokalfinale in Berlin: Ein Geschenk für Jürgen Klopp

In Dortmund nennen sie ihn den „Helden von Berlin“. Weil Nobert Dickel im Finale 1989 zwei Tore schoss. Nun ist die Zeit reif für eine neue Borussen-Legende. Als letztes Geschenk für Trainer Jürgen Klopp.

Wenn das mit der Heldentat von Berlin klappt, dann fahren sie am Sonntag in den Dortmunder Norden. Zum Borsigplatz, wo sie den Rasen schon gemäht und die Platanen gestutzt haben und überall schwarz-gelbe Fahnen im Wind flattern. So oft verirrt sich die feine Gesellschaft nicht mehr hierher. „Eigentlich nur noch, wenn es was zu feiern gibt“, sagt Norbert Dickel, den in Dortmund keiner Norbert Dickel nennt, sondern jeder Nobby. Oder: Held von Berlin. Reminiszenz an ein Pokalfinale, das 26 Jahre zurückliegt.

Die Zeit ist reif für neue Helden, denn an diesem Wochenende tritt einer ab. Wenn denn die Borussia das Pokalendspiel in Berlin gegen den VfL Wolfsburg gewinnen sollte, werden sich Tränen in den Jubel mischen. Der Borsigplatz soll die letzte Station einer Abschiedstournee sein, sie währt schon sechs Wochen lang, seitdem bekannt ist, dass Jürgen Klopp hier nicht länger Trainer sein mag. Der Berliner Held von 1989 sagt, er könne das bis heute nicht glauben. Aber dann soll es zum Abschied eine Fahrt auf dem schwarz-gelben Lastwagen geben, rundherum um den Borsigplatz, „das gehört zu den lässigsten Sachen überhaupt und könnte glatt zu meinem Hobby werden“, sagt Klopp.

Wer Borussia Dortmund begreifen will, dieses Unikum zwischen Kohlenschacht und Börse, der kommt kaum vorbei an Jürgen Klopp und Norbert Dickel. Der Trainer Klopp ist mehr als der Besessene mit der schwarz-gelben Baseballkappe, der Fäuste ballt und Zähne zeigt, als wollte er den Schiedsrichter auffressen. Er ist vor allem einer, der dem Fußball ein Stück Romantik zurückgegeben hat. Den Glauben daran, dass auch in Zeiten des globalisierten Kommerzfußballs die schwerreichen Bayern zu schlagen sind, und das nachhaltig. Zweimal hat Klopp seine Mannschaft zur Deutschen Meisterschaft geführt und das Duell mit den Münchnern als eine Art Kulturkampf inszeniert. Als Duell zwischen den von der Hochfinanz protegierten Bayern und den Malochern aus Dortmund, die Fußball noch leben und arbeiten und feiern wie damals, als die Spieler unter der Woche noch in den Schacht einfuhren. Heute mögen sie ein Vermögen verdienen, aber in Dortmund wird von ihnen verlangt, dass sie ihre Gesundheit dem Wohl des Klubs opfern. Oder, wie es in der Fußballsprache heißt, die Knochen für den Verein hinhalten.

Zwei Tore machten ihn zum "Helden von Berlin"

So wie Norbert Dickel. Der einzige Stadionsprecher, der in einem Pokalfinale schon mal zwei Tore geschossen hat. Zwei Tore, die ihn zum Helden von Berlin gemacht haben. 1989 war das, 4:1 gegen Werder Bremen, sechs Wochen nach einer Knieoperation. Dickel hatte zu früh wieder angefangen, aber wer sagt schon Nein, wenn ein Finale ansteht und die Borussia ruft. Die Fans haben das nicht vergessen und ihm ein Lied gewidmet, gesungen zur Melodie von „Flipper“, es geht so: „Wir singen Norbert, Norbert, Norbert Dickel, jeder kennt ihn, den Held von Berlin!“

In ihrem früheren Leben waren der Stadionsprecher und der Trainer nicht gerade großartige Fußballspieler. Dickel wirkte immer ein wenig eckig und ungeschickt, Klopp machte seinem Namen alle Ehre. Im Rückblick sagt er über sich: „Ich schaffte es als Spieler leider nicht, auf den Platz zu bringen, was sich in meinen Gehirn abspielte.“ Heute stehen beide für das Faszinosum Fußball, für die Massenbewegung, die Woche für Woche Hunderttausende zwischen Hamburg und München mobilisiert. Männer, die Instinkte ansprechen, die auch in Zeiten von Facebook, Instagram und Netflix überlebt haben. Wenn Norbert Dickel vor die berühmte Südtribüne tritt und mit seinem Mikrofon die Massen dirigiert, hat das etwas von einer spirituellen Messe. Unten gibt einer Kommandos, oben wogt das schwarz-gelbe Meer. 25 000 Menschen auf der größten Stehplatztribüne Europas, 100 Meter breit, 52 Meter tief und 40 Meter hoch. „Diese Atmosphäre ist einmalig auf der Welt“, sagt Dickel.

Jürgen Klopp hat diese einmalige Atmosphäre in Pantomime übersetzt, in wilde Sprünge und Sprints und Grimassen, die nicht immer von dieser Welt sind. Klopp hat Borussia Dortmund gelebt wie kaum jemand vor ihm und wohl auch lange niemand mehr danach. Über sich selbst hat er mal gesagt: „Die Leute neigen dazu, mich zu überhöhen und zu sagen: Ganz toll, was der da macht, und wenn die Mannschaft nicht gewinnt, ist das nur, weil sie ein bisschen blind ist.“

Wie Klopp und Dickel sich kennenlernten

Eine Wellenlänge. Dass Jürgen Klopp geht, kann Stadionsprecher „Nobby“ (von hinten) bis heute nicht glauben.
Eine Wellenlänge. Dass Jürgen Klopp geht, kann Stadionsprecher „Nobby“ (von hinten) bis heute nicht glauben.

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In diesem Jahr nun hat ihn eine schwarz-gelbe Ergebniskrise zwischenzeitlich auf den letzten Tabellenplatz gestürzt. Kein Problem, hat sich Norbert Dickel gedacht und war sich sicher, dass „der Jürgen das in der nächsten Saison wieder hinbekommt“. Als der Jürgen dann aber gesagt hat, er werde gar nichts mehr hinbekommen, denn er sei nicht mehr der richtige Trainer für die Borussia, hat sie das alle schwer erwischt. Alle, die insgeheim gehofft hatten, Klopp würde mal der Alex Ferguson von Dortmund werden. Der Schotte hat in 27 Trainerjahren bei Manchester United 38 Titel gewonnen, darunter auch zweimal die Champions League und einmal den Europapokal der Pokalsieger. Klopp hat es in Dortmund zum dienstältesten Bundesligatrainer gebracht und hört nun doch nach sieben Jahren auf. „Ganz ehrlich, ich habe nichts davon geahnt“, sagt Dickel, und die beiden haben eigentlich einen recht engen Kontakt.

Als Dickel vor zwei Jahren in der Innenstadt eine Currywurstbude eröffnete, kam Klopp als Ehrengast und stand ein halbes Stündchen inmitten schwarz-gelber Fanscharen an der Theke, vor sich eine Pappschale mit C-Wurst-Schranke, wie sie die Currywurst mit Ketchup und Mayonnaise hier nennen. Schwer vorstellbar, dass Pep Guardiola zu Ehren des Stadionsprechers am Marienplatz eine Leberkäs-Semmel verspeist.

Die Currywurstbude liegt auf halber Strecke zwischen dem Borsigplatz und der Geschäftsstelle der Borussia am Rheinlanddamm. Norbert Dickel wartet in seinem Büro im dritten Stock. 1,86 Meter groß, Trainingsjacke und Jeans, das Haar ein bisschen grau, die Hüften ein bisschen fülliger, aber nur ein bisschen, und das wird ja wohl erlaubt sein mit 53 Jahren. An der Wand lehnt eine Pappfigur, Norbert Dickel im Trainingsanzug in Überlebensgröße. Auf dem Schreibtisch stapeln sich Hefter und Broschüren, gehört alles zur Arbeit, denn Norbert Dickel ist hier mehr als der Stadionsprecher. Er kümmert sich um Sponsoren, koordiniert das Vereinsfernsehen und kommentiert bei Auswärtsspielen live im Internet-Radio.

"Ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja"

Vor vier Wochen, als die Borussia einigermaßen sensationell das Pokalhalbfinale in München gewann, klang das so: „Ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja! Wir fahren nach Berlin! Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin! Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin! Wir haben’s geschafft! Wir haben die Bayern rausgekegelt. Das ist der geilste Tag in diesem Jahr! Wir sind in Berlin!“

Wer Jürgen Klopps wilde Sprünge, Sprints und Grimassen vertont hören will, der landet unweigerlich bei einer Radioreportage von Norbert Dickel.

Die beiden liefen sich vor bald sieben Jahren zum ersten Mal über den Weg. „Ich hab sofort gemerkt: Das ist einer, mit dem du auf einer Wellenlänge funkst“, erzählt Dickel, „fragen Sie nicht warum, so etwas merkt man einfach!“ Noch heute gehen die beiden öfter zusammen essen und plaudern, „über Gott und die Welt, der Jürgen ist eben auch ein sehr amüsanter Mensch, mit dem man gern Zeit verbringt“. Am Tisch bilden sich mit zuverlässiger Regelmäßigkeit Schlangen von Menschen, die ein Autogramm haben wollen oder ein Foto. „Das Besondere an ihm ist, mit welcher Freundlichkeit und Selbstverständlichkeit er jeden Wunsch erfüllt. Der Jürgen ist einer, der könnte wirklich von hier sein“, dabei ist er doch im Schwarzwald aufgewachsen.

Was hat diesen Mann für Borussia Dortmund so besonders gemacht? Hmm, gute Frage, also… Dickel überlegt und entscheidet sich für eine Formulierung, deren Zauber in ihrer Schlichtheit liegt: „Der Jürgen ist einfach der Jürgen.“ Dickel erinnert sich an Trainer, die da erzählt hätten: „Also heute hat das Umschaltspiel nicht so gut funktioniert“, und das nach einer 0:5-Klatsche. „Der Jürgen sagt dann: ,Wir haben scheiße gespielt!’ Einfach und ehrlich. Das ist die Sprache, die die Leute hier schätzen.“

Thomas Tuchel wird übernehmen. Ein Klopp-Klon?

Eine Wellenlänge. Dass Jürgen Klopp geht, kann Stadionsprecher „Nobby“ (von hinten) bis heute nicht glauben.
Eine Wellenlänge. Dass Jürgen Klopp geht, kann Stadionsprecher „Nobby“ (von hinten) bis heute nicht glauben.

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Tränen sind schon reichlich geflossen vergangenen Samstag, nach Klopps 238. und vorerst letztem Bundesligaspiel. Es war der gefühlte Abschied, und doch ist es ein schönes Zeichen, dass der tatsächliche Abschied in Berlin steigen wird. In der Stadt, wo Norbert Dickel 1989 zum Helden wurde. Wird er am Samstag selbst einer? „Ach, der Nobby wird immer ein Held bleiben, und Dortmund hat ja noch ein paar andere“, sagt Klopp und gern dürfe im Finale einer seiner Spieler diese Rolle übernehmen, „wer auch immer“. Um kurz nach halb acht werden sie sich im Olympiastadion auf einen letzten Gang machen, den langen Weg hinunter vom Marathontor durch die Katakomben Richtung Rasen. Dickel weiß noch, wie ihm damals die Knie schlotterten und „wie mich das umgehauen hat, als ich auf den Platz kam und fast das ganze Stadion schwarz-gelb war“.

Dieser Pokalsieg war für Dortmund so etwas wie ein zweiter Urknall, eine Neuerfindung. Der erste Titel seit 1966. Die Borussia der 70er und 80er Jahre war keine Erfolgsgeschichte, sie spielte sich vier Jahre lang in der Zweiten Liga und auch in der Erstklassigkeit kein einziges Mal über Platz vier ab. Erst 1989 in Berlin holten sich die Dortmunder das Selbstbewusstsein für den Durchmarsch nach oben, für den Champions-League-Sieg von 1997, den Pokalsieg von 2012 und die fünf Deutschen Meisterschaften, darunter zwei mit Jürgen Klopp. Aber ohne Dickels Tore wäre Klopp vielleicht gar nicht erst in Dortmund gelandet.

Am Sonntag wollen sie noch einmal zum Borsigplatz

Am Sonntag wollen die beiden noch einmal gemeinsam in den Dortmunder Norden fahren. Zum Borsigplatz, wo die Borussia 1909 gegründet wurde, benannt nach einer nahe gelegenen Brauerei. Ein Kreisverkehr mit sechs sternförmig angeordneten Zufahrtsstraßen. Die Bänke rund um den Platz sind gut besetzt mit Männern und Frauen, die vormittags um elf nicht erst ihr erstes Bier trinken. Junge Männer mit umgedrehten Baseballkappen auf dem Kopf und Mobiltelefonen am Ohr drehen schweigend ihre Runden. Alle paar Tage rückt die Polizei an. Egal, wenn es bei der Borussia etwas zu feiern gibt, dann feiert sie am Borsigplatz, im konkreten Fall schon einfach deshalb, weil Jürgen Klopp sich die Fahrt mit dem Lastwagen gewünscht hat.

Die Bundesliga wird weiter die Bundesliga sein und Dortmund weiter Dortmund. Aber anders als zu Klopps Zeiten. Wieder geht ein Stück von dem Fußball, der als der gute alte empfunden wird, auch wenn er im Falle Klopps gerade vor seinem 47. Geburtstag steht. Es ist vor allem eine Illusion, die geht, aber bezieht der Fußball seinen Reiz nicht aus einer Summe von Illusionen?

Norbert Dickel sagt, das sei nun mal nicht mehr zu ändern, „aber wir müssen auch dem Neuen eine Chance geben“, er heißt Thomas Tuchel und wird in Dortmund als eine Art Klopp-Klon verkauft. Ehrgeizig, emotional, beseelt vom Tempofußball. Dickel selbst ist schon seit ein paar Tagen im Hyatt am Potsdamer Platz. Termine, Termine, Termine – selten hat der Tag so viele Stunden, wie er sie zur Bewältigung seines Arbeitspensums bräuchte. Aber was heißt schon Arbeit: „Ich mache den Job seit 23 Jahren, aber ich habe meiner Frau noch nie gesagt: ,Schatz, ich gehe jetzt zur Arbeit.’“

Sondern?

„Na, ich gehe zur Borussia!“

Nichts anderes erhoffen sie sich auch von Jürgen Klopp. Dass er irgendwann noch mal zur Borussia geht. Und nach einer kleinen Pause vielleicht doch der Alex Ferguson von Dortmund wird.

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.

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