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DFB-Sportdirektor: Sammers Klon gesucht

Matthias Sammer hinterlässt beim DFB eine gewaltige Lücke. Der Verband hätte am liebsten einen Klon von ihm als neuen Sportdirektor - und bekommt unverhoffte Angebote.

Irgendwo in Frankfurt am Main stehen sie rum, die großen Fußabdrücke. Nur ein Matthias Sammer konnte solche Riesenstapfen hinterlassen – wenn man dem internen und öffentlichen Widerhall auf seinen Abgang als Sportdirektor beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) glauben darf. Stattdessen lebt, nach dem Transfer des Intelligenzarbeiters Sammer zum FC Bayern vor einer Woche, der titellose Rekordmeister wieder auf großem Fuß; zumindest in der Selbstwahrnehmung. Der DFB sucht derweil Sammers Nachfolger – womöglich eine Schuhgröße kleiner?

Bisher hat sich im deutschen Fußball niemand getraut, die naheliegende Frage zu stellen: Braucht der DFB überhaupt einen Sportdirektor? Schließlich ist die Nationalmannschaft wieder sympathisch und erfolgreich – allerdings wie der FC Bayern derzeit titellos; und aus den Nachwuchszentren der Bundesliga rücken und drücken neue Talente nach.

Video - Sammer: Viel Arbeit für FC Bayern

Dennoch fehlt dem deutschen Fußball gerade ein kleiner Tick zum ganz großen Ding; das Quäntchen Gier, das Sammer stets eingefordert hat: mehr Aggressivität im entscheidenden Moment, mehr Selbstvertrauen in die eigene Taktik, mehr Akribie, nicht mal einen Flüchtigkeitsfehler zu akzeptieren. Im EM-Halbfinale gegen Italien fehlte den Nationalspielern genau dieses Quantum. Vielleicht braucht der DFB genau deshalb einen Sportdirektor.

„Es geht darum, jungen Leuten das Durchwurschteln abzugewöhnen“, sagt Berti Vogts. „Das ist in Deutschland mittlerweile ein gesellschaftliches Problem.“ Aserbaidschans Nationaltrainer, der mit dem Handy gerade auf irgendeinem Flughafen steht, ist weit weg vom DFB; auch viele Fans wollten ihn nicht mehr. Heute darf man fragen: Warum eigentlich? Mit Vogts gewann Deutschland bei der EM 1996 den letzten Titel, er initiierte das DFB-Nachwuchskonzept, das später Sammer auf allen Ebenen implementierte. Vogts sagt: „Der DFB muss diesen Weg weitergehen und die jungen Spieler tatsächlich fordern.“

Matthias Sammer in Bildern: Ein Mann macht Karriere

Im Verband weiß man das nur zu gut. Glaubt man Nachwuchschef Hans-Dieter Drewitz, sucht der DFB jemanden, der genauso ist wie Sammer – also einen ehemaligen Fußballer mit öffentlichem Charisma und interner Durchsetzungskraft. Doch aus Führungszirkeln in Frankfurt am Main heißt es abwiegelnd: „Einen Klon gibt es nicht.“ Die Fußabdrücke bleiben wohl eine Weile verwaist.

Klar ist: Der Sportdirektor soll aus dem Fußball kommen

Eines zumindest ist klar: Externe Kandidaten schließen wichtige Funktionäre aus. Viele erinnern sich daran, wie Bundestrainer Jürgen Klinsmann vor sieben Jahren seinen Favoriten Bernhard Peters durchdrücken wollte. Doch der ehemalige Hockeybundestrainer war den Fußballfunktionären nicht geheuer. Sie befürchteten, jeglichen Einfluss auf die Nationalmannschaft an die Reformer um Klinsmann zu verlieren. Also entschieden sie sich für Sammer, der so gar nicht nach dem Geschmack des Bundestrainers war. Klinsmann und Sammer verband schon als Spieler wenig, Reibereien waren vorgezeichnet und durchaus gewollt. Sammer sollte das Gegengewicht zu Klinsmanns Gruppe mit Joachim Löw, Oliver Bierhoff und Andreas Köpke bilden, ihr Regulativ sein. Außerdem war Sammer als ehemaliger Bundesligatrainer in der Lage, das Nationalteam im Falle des Misserfolgs sofort zu übernehmen. Trainerfindungskommissionen, wie sie DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder noch das Amt kosteten, sollte es nicht mehr geben. Der Verband hatte mit Sammer sowohl öffentlich als auch intern eine Drohkulisse gegenüber der immer eigenständigeren Nationalmannschaft in petto. Welcher Nachfolger könnte diese Drohung nun gegenüber Joachim Löw aufrecht erhalten?

Raubeine gibt es einige: Stefan Effenberg etwa stromert noch durch die Weiten der Fußballwelt. Doch ihm fehlt strategische Weitsicht, ebenso dem soften und als Fernsehexperten durchaus beliebten Mehmet Scholl. So ist der nach wie vor kernige und doch in sich ruhende Oliver Kahn im Gespräch. Er bewarb sich unverhofft mit dem öffentlichen Satz: „Interessanten Aufgaben gegenüber bin ich aufgeschlossen.“

Die Kandidaten für den Posten des Sportdirektors im Überblick:

Eine andere Strategie wäre ein Stratege. Der langjährige Bundesliga-Vordenker Ralf Rangnick aber hat bereits bei Red Bull angeheuert. U-21-Trainer Rainer Adrion ist ebenfalls Fachspezialist, gilt jedoch als enger Vertrauter von Löw – der Bundestrainer hatte ihn gegen Sammers Willen installiert. Mit seiner Berufung würde man Gefahr laufen, alle sportlichen Geschicke in die Hände einer Gruppe zu legen. Und ob Löw nach der WM 2014 Bundestrainer bleibt, darf bezweifelt werden. Egal, ob das deutsche Team den Titel holt oder scheitert.

Natürlich könnte der DFB einfach auf interne Lösungen zurückgreifen. U-20-Trainer Frank Wormuth ist ausgewiesener Kenner der Jugendarbeit und leitet zudem die Trainerausbildung des DFB. Auch die früheren Nationalspieler Steffen Freund und Christian Ziege sind im Verband als Nachwuchstrainer aktiv. Öffentliches und verbandsinternes Charisma müssten sich alle drei erst erarbeiten. Dieses aber brauchen sie, um die Spielidee und die Bedürfnisse der Nationalmannschaft auch in die Nachwuchszentren der Bundesligisten einzupflanzen. „Spieler nachhaltig zu fordern und zu fördern, ist wichtiger als das Gewinnen einer Meisterschaft“, sagt Vogts. „Wir müssen von den Spielern wieder mehr verlangen.“ Auch vom Bundestrainer?

Mit Löw war auch Sammer oft uneinig, ihre Differenzen trugen sie zuweilen an der Grenze des Legitimen aus. Am Ende konnten sowohl Sammer als auch Löw Erfolge verbuchen. Die gegenseitige Reibung hat beiden nicht geschadet, vielleicht sogar geholfen. Bei Hannover 96 gelten Trainer Mirko Slomka und Manager Jörg Schmadtke auch nicht als ziemlich beste Freunde, die letzten zwei Jahre aber waren die erfolgreichsten in der jüngeren Geschichte des Vereins. Auch Bayerns Präsident Uli Hoeneß ist ein Anhänger des kultivierten Streitens. Deswegen hat er den braven Sportdirektor Christian Nerlinger durch Charakterkopf Sammer ersetzt. Um auf Augenhöhe Argumente auszutauschen, bedarf es zweier starker Persönlichkeiten. Unter diesem Aspekt dürfte die Suche nach einem neuen Sportdirektor beim DFB schwer werden. Von der Reputation her ist niemand verfügbar, der Sammers Stapfen ganz ausfüllt. Oliver Kahn vielleicht noch am ehesten, aber mancher Funktionär bezweifelt, ob er das nötige strategische Geschick besitzt.

Und wie wäre es mit Ihnen, Herr Vogts? Der frühere Bundes-Berti lacht in sein Handy: „Das ist aber lieb von Ihnen.“ Dann überlegt er einen Moment und sagt, ganz ernst: „Der DFB hat ja meine Telefonnummer.“ Danach legt er auf.

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