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© ddp

DFB: Theo Zwanziger in der Abseitsfalle

Neuerdings brüllt er schon mal ins Telefon. Das hätte es bis vor kurzem nicht gegeben. Da galt DFB-Präsident Theo Zwanziger als Hoffnungsträger: offen, jovial, voller Mitgefühl und stark in der Krise. Alle zollten ihm Respekt. Ist ihm die Anerkennung zu Kopf gestiegen? In der Schiedsrichter-Affäre jedenfalls agiert er so unsensibel wie herrisch

Er sitzt in der Sperrzone und lacht. Israels Ministerpräsident besucht gerade die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, Berlins Mitte ist abgeriegelt, aber im Zentrum dieses leeren Zentrums hockt Theo Zwanziger und rührt zufrieden im Cappuccino. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) hat sich in einem Café direkt am Brandenburger Tor verabredet mit einer Frau, die eine Ausstellung über Homosexualität im Fußball organisieren will. Seine Dienstlimousine hatte den Sicherheitscordon aus gepanzerten Polizeifahrzeugen passieren dürfen, sie musste über Röntgengeräte fahren, aber sie durfte hinein. Nun sitzt er in der Sperrzone und lacht, als wäre alles andere doch gelacht.

Das war vor wenigen Wochen. Theo Zwanziger wirkte angekommen bei sich. Der Vorsitzende von 6,3 Millionen registrierten Fußballspielern hatte seinen Verband in der Mitte der Gesellschaft positioniert, mit sich als allseits geachtetem Mittelpunkt. Nun ist dem 64-Jährigen das Lachen vergangen – es hagelt Kritik an seinem Führungsstil, seiner zu starken Selbstverliebtheit, seiner zu schwachen Sensibilität. Die Vertragsverlängerung mit dem erfolgreichen Bundestrainer Joachim Löw, von Zwanziger schon vor der Unterschrift verkündet, ist gescheitert. Und die Affäre um mögliche sexuelle Belästigungen eines Schiedsrichter-Funktionärs ufert mit intimen Details und Beleidigungen in aller Öffentlichkeit aus. Dabei hat Zwanziger sie schon für beendet erklärt.

Was gilt sein Wort noch, fragen die ihm Nachgeordneten hinter vorgehaltener Hand. Nun hat er, der der Bedeutung von Worten so viel Wert beimisst, sich selbst zum Schweigen verdammt. Zwanziger hat sich vor der heutigen Präsidiumssitzung des DFB eine Woche lang zum Nachdenken zurückgezogen. Über sein Amt und seine Person.

Beides ist durcheinandergeraten. Darüber wird heute zu reden sein.

Im Stadtwald von Frankfurt am Main liegen noch Schneereste, auch wenn erste Vögel vom Frühling singen. Vor der DFB-Zentrale, gelegen an der nach einem Revierförster benannten Otto-Fleck- Schneise, ist der Parkplatz gleich am Eingang belegt. Vor dem Schild mit der Aufschrift „Präsident“ steht ein silbriger Mercedes. Die anderen Limousinen sind schwarz. Theo Zwanziger war schon immer anders als die anderen.

Er ist aufgewachsen in einem Frauenhaushalt am Fuße des Westerwalds. Sein Vater war im Krieg geblieben in der Schlacht um Berlin, von ihm kennt er nur Bilder, Geschichten und die Frontbriefe. „Er hat wie viele andere den Wert des Regimes anders eingeschätzt, als wir das heute tun würden“, sagt Zwanziger rückblickend. Ihn, den gelernten Juristen, hat das Folgendes gelehrt: „Ich möchte mich nicht zum Richter machen über die Vergangenheit.“ In der Männerwelt der Fußball-Funktionäre war Zwanziger dieses Credo nützlich. Erst wissen, dann meinen, danach still Mehrheiten sammeln, schließlich rausgehen und den Anpacker geben.

Bei seinem Vorgänger lief es meist andersrum. Gerhard Mayer-Vorfelder – ein harthölzerner CDU-Politiker, der mit Rotweinglas in der Hand seine nationalen Ansichten unter die Leute brachte – hatte sich bei Alleingängen verrannt und fand nach dem Abgang von Rudi Völler 2004 keinen Nachfolger als Bundestrainer. Ein Machtvakuum entstand. DFB-Schatzmeister Zwanziger – ein weichhölzerner CDU-Politiker, den Mayer-Vorfelders Vorgänger Egidius Braun beim Jagen im Wald kennengelernt und wegen dessen sozialer Ansichten zum DFB geholt hatte, – stieß in diese Lücke. Der selbst beim Brilleputzen bis an die Grenze des Peniblen präzise Funktionär wurde plötzlich zweiter Präsident. Da kam der Schiedsrichterskandal. Der Berliner Referee Robert Hoyzer hatte Spiele verkauft – und Zwanziger, Hoyzers Geständnis im Rücken, machte ohne Kompromisse den Aufklärer. Aus dem Reformer, der für seinen achtklassigen Heimatverein aus Altendiez schwärmte und deshalb in den feinen Logen der Bundesliga-Stadien als Boss der Amateure verspottet wurde, erwuchs ein Präsident für alle. Ist ihm diese Anerkennung zu Kopf gestiegen, jetzt, da er ohne Geständnis im Rücken den Anpacker gibt?

„Was stellen Sie mir solche Fragen?“, brüllt er ins Telefon. „Für wen halten Sie mich?“ So kann er neuerdings reagieren. Fragen, die ihn aufregen, drehen sich um seine Person. Fragen wie: Warum hat der DFB vier Wochen gebraucht, um sich mit der Anzeige des 27-jährigen Schiedsrichters Michael Kempter zu beschäftigen? Der hatte vor Weihnachten schwere Vorwürfe gegen den 63-jährigen Schiedsrichter-Beobachter Manfred Amerell erhoben. Dass er sich seinem Untergebenen Kempter gegen dessen Willen sexuell genähert habe. Zwanziger will nach seinem Weihnachtsurlaub am 15. Januar 2010 von den Vorwürfen erfahren haben. Noch einmal zwei Wochen vergehen, bis er Amerell zur Befragung bestellt. Der bestreitet alles. Das Präsidium tagt, Amerell zieht sich „aus gesundheitlichen Gründen“ zurück. Als die Vorwürfe doch öffentlich werden, bricht im DFB Hektik aus. Zwanzigers Verband spricht von „sexueller Belästigung“ und „sexuellen Kontakten“ und macht damit auch Privates über Kempter öffentlich. Weshalb? Und: Warum sichert Zwanziger drei anderen Schiedsrichtern, die sich anonym an den DFB gewandt haben und die Vorwürfe an Eides statt bestätigen, Anonymität zu, gewährt aber dann in einem Vergleich Amerell, die Akten und damit die Namen zu sehen? Warum also mangelt es an der Verbandsspitze so offenkundig an Empathie für mögliche Opfer?

Warum? Warum? Warum? Das fragen sie sich in der DFB-Zentrale. 19 Personen stark ist das oberste Führungsgremium, es reicht von Franz Beckerbauer bis zu weithin unbekannten Landesfürsten. Sie treffen sich heute am Stadtwald, um Zwanzigers Antworten zu hören und zu erfahren, was er jetzt machen will. Zwanziger könnte die Vertrauensfrage stellen. Er könnte auch gleich zurücktreten. Aber alle, die nun sein Schweigen zu deuten versuchen, könnten sich täuschen. In ihm. Und im DFB. Am Donnerstag sitzt er schon wieder im Büro und telefoniert. Es gehe ihm gut, lässt er ausrichten.

Theo Zwanziger hat das alles nicht verdient. So sieht es Theo Zwanziger. Er hat den DFB mittels öffentlicher Initiativen modernisiert. Er hat die Rolle des DFB im Nationalsozialismus aufarbeiten lassen. Er hat homosexuelle Fanprojekte besucht, 1000 Bolzplätze für Kinder bauen lassen, den Frauenfußball fast exzessiv gefördert und sich gegen „Neger“-Rufe in Fankurven gewandt. Er hat den Fußball der Gesellschaft geöffnet und dafür vom Zentralrat der Juden den Leo-Baeck-Preis für Toleranz erhalten – nach Angela Merkel.

„Ein Stück mehr Menschlichkeit, ein Stück mehr Zivilcourage, ein Stück mehr Bekenntnis zur Würde des Menschen, des Nächsten, des anderen.“ Das forderte er im trauernden Stadion von Hannover. Vor sich den Sarg des Nationaltorhüters Robert Enke, der an seinen Depressionen und an Tabus der Leistungsgesellschaft zerbrochen war. Vor sich die Erwartungen eines Volkes auf Trost. Theo Zwanziger nutzt sein Amt, um Wärme zu verbreiten.

Warum nur wirkt er jetzt so kalt?

Etwas ist gekippt. So berichten es Spitzenfunktionäre, die sich nur zu vertraulichen Gesprächen an Hotelbars oder in Flughafenlounges bereit erklären, die sich umschauen, wenn sie offen reden sollen. „Ich weiß nicht, was der Kurs des Präsidenten ist“, sagt ein langjähriger Wegbegleiter. „Wenn er immer wieder mit Rücktritt droht, wird man hellhörig“, sagt ein anderer. Sie zweifeln alle nicht daran, dass Zwanziger weiterhin DFB- Präsident bleiben sollte. Aber im Flüsterton zweifeln sie an ihm als Präsidenten.

Das Emotionale geht schon mal mit ihm durch, dann treibt er es zu weit, wird herrisch. Einen Journalisten, der ihm im Internet einen „unglaublichen Demagog“ genannt hatte, ließ er von DFB-Juristen venor mehrere Gerichtsinstanzen zerren, nur um seine persönliche Ehre zu retten. Seinen auch in der Nationalmannschaft anerkannten Pressechef ließ er holterdiepolter fallen. Und Joachim Löw fügte er im von Indiskretionen begleiteten Vertragspoker bleibenden Schaden zu. Auf die Kritik, er verwechsle seine Person mit seinem Posten, reagiert Zwanziger beleidigt. „Das hohe Amt prägt ihn“, sagt ein ihm Nahestehender mit mitleidiger Stimme. Es ist kein Kompliment.

Öffentlich schlägt nur einer um sich, um Zwanziger direkt zu treffen: Manfred Amerell, der des Machtmissbrauchs Beschuldigte im Schiedsrichter-Sex-und-Lügen-Skandal. Erst hat er seinen früheren sehr engen Freund Michael Kempter mit Hilfe intimer Textnachrichten öffentlich als Schiedsrichter und Privatperson desavouiert. Zweieinhalb Jahre bewahrte er die Liebesgrüße auf. Als Nächstes will er die anderen Belastungszeugen, die eigentlich anonym bleiben wollten, vor Gericht und damit an die Öffentlichkeit zerren. Aber vor allem will er Zwanziger stürzen sehen, indem er ihm vorwirft, „über Leichen“ zu gehen. Sein jüngster Vorwurf: Zwanziger habe einen Schiedsrichter aus seinem Heimatort Altendiez protegiert. Auch wenn das am Schiedsrichterausschuss vorbei gar nicht möglich ist – der Präsident ist in eine Situation geraten, in der er sich ständig rechtfertigen muss. Theo gegen den Rest der Welt.

Doch der Rest der Welt täuscht sich über den DFB. Niemand Namhaftes hat sich bislang als Alternative angeboten. Der Chef des mächtigen bayerischen Landesverbandes, Rainer Koch, auch er ein Jurist, lauert zwar auffallend zurückhaltend in der Reserve, hat aber nur bei den Amateurverbänden ein Profil. In seiner Umgebung soll er gesagt haben, er sei DFB-Vizepräsident, andere Ambitionen hege er nicht. Der Generalsekretär Wolfgang Niersbach, dem mancher Beobachter heimliche Intrigen unterstellt, hängt von Amtswegen selbst in der Aufklärung der Amerell-Geschichte fest. In seiner Umgebung soll er gesagt haben, er sei Generalsekretär, etwas anderes strebe er nicht an. Und Franz Beckenbauer, der ins Spiel gebracht wurde, weil er ja eh alles kann, will sich nicht binden, schon gar nicht an einen Verband. Einer, der ihn gut kennt, lacht schallend durchs Telefon, schließlich hätte Beckenbauer Uefa- oder Fifa-Präsident werden können, aber schon darauf keine Lust gehabt. Für das Amt des DFB-Präsidenten sei er zehn Jahre zu jung, ließ Beckenbauer wissen. Komisch, dass diesen Scherz niemand als Absage begriffen hat. Schließlich ist Beckenbauer 64 – wie Zwanziger.

Der Rest der Welt, er täuscht sich wohl auch in Theo Zwanziger. Denn der ist penibel auch in der eigenen Machtsicherung. Sein Schweigen kann einfach Taktik sein. „Wenn die Lawine kommt, tritt einen Schritt zur Seite. Lass die Lawine ins Tal donnern. Dann stelle dich wieder auf den alten Platz zurück.“ So hat Gerhard Mayer-Vorfelder sein Krisenmanagement einmal vor Vertrauten beschrieben. Zwanziger hat vor sechs Jahren das Machtvakuum erkannt und ist einfach auf Mayer-Vorfelders Platz getreten. Nun macht er selbst zum ersten Mal einen Schritt zur Seite. Wie es aussieht, tritt niemand an seine Stelle. Aber die Lücke hat jeder gesehen.

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