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Dieses Jahr findet die 100. Tour de France statt. Immer wieder war Doping der dunkle Begleiter des Sportevents.

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Die 100. Tour de France - Teil 3: Doping: Der dunkle Begleiter

Es gibt nur wenige Sportveranstaltungen, die so viele Menschen über so viele Jahre fasziniert haben wie die Tour. Doch so hoch die Radfahrer die Berge auch geklettert sind, so tief waren immer wieder die Abstürze – vor allem durch Doping. Im letzten Teil der Serie blicken wir auf die großen Skandale zurück.

In den 1960er Jahren sollte LSD das Bewusstsein erweitern. Doping, als Mittel zur Überschreitung physischer Grenzen, wurde auch erst in dieser Zeit als Begriff geprägt. Die Doping-Praxis ist jedoch weit älter. Bei der Tour der France reicht sie mindestens bis in die 1920er Jahre zurück. Zu jener Zeit fuhren die Teilnehmer schon auf „Dynamit“. Das jedenfalls erfuhr im Sommer 1924 der französische Journalist Alfred Londres. Er spürte den Titelverteidiger Henri Pelissier, der gerade voller Zorn wegen einer kleinlichen Regelauslegung von Tourgründer Henri Desgrange das Rennen verlassen hatte, in einem Bahnhofscafé auf.

Bei einer Tasse Schokolade kam das Gespräch schnell auf die mörderischen Anstrengungen einer solchen Tour. Um sie zu überstehen, bräuchte man kleine Helfer, argumentierte Pelissier und breitete vor dem verdutzten Journalisten die gesamte Palette aus: Kokain für die Augen, Chloroform für das Zahnfleisch, Creme für die Knie und diverse Pillen. Später behauptete er, er hätte den Reporter nur veralbert.

Dabei waren seine Aussagen durchaus plausibel, denn erste Hinweise auf Doping im Radsport gibt es bereits aus dem 19. Jahrhundert. Der Waliser Arthur Linton starb 1896 im Alter von nur 24 Jahren wenige Wochen nach einem zweiten Platz beim Rennen Bordeaux - Paris an Fieber und Erschöpfung. Er war Zögling eines gewissen Choppy Warburton. Der Engländer stand in dem Ruf, der Oberdoper seiner Zeit zu sein. 1930 sah sich die Tourorganisation schließlich genötigt, darauf hinzuweisen, dass Drogen nicht von den Veranstaltern gestellt würden.

In der Folgezeit wurde munter weitergedopt, aber nicht so offen darüber gesprochen. Erst 1949 gab der italienische Radheld Fausto Coppi den Gebrauch von „la bomba“ zu – schränkte aber ein, auf dieses Aufputschmittel nur zurückzugreifen, wenn es „unbedingt notwendig“ sei. 1960 wurde der spätere Sieger Gastone Nencini vom Tourarzt Pierre Dumas mit Blutbeuteln und Schläuchen an den Armen bei einer Transfusion erwischt. Zu Sanktionen führte dies nicht. Eigenbluttransfusionen sollten vier Jahrzehnte später eine Renaissance erfahren.

Offiziell strafbar wurde Doping am 1. Juni 1965. Ab diesem Zeitpunkt gab es Kontrollen. Doch sie konnten nicht verhindern, dass zwei Jahre später der Brite Tom Simpson an einem Cocktail aus Amphetaminen und Alkohol beim Anstieg zum Mont Ventoux starb. Die Reaktion der Profis bestand danach aber nicht etwa darin, Doping einzustellen. Sie bemühten sich vielmehr, die Kontrollen zu umgehen – was teilweise bizarre Formen annahm. Der Belgier Michel Pollentier, Girosieger von 1977, wurde bei der Tour des Folgejahrs in L’Alpe d’Huez mit einem Fläschchen Fremdurin erwischt, das er anstelle des eigenen der Dopingkontrolle zuführte. Doppeltes Pech: Die fremde Probe war positiv, die eigene negativ. Übertroffen wurde er sogar noch von einem unbekannten Berufskollegen aus der gleichen Dekade, dem die Kontrolleure zwar einen negativen Test bescheinigten, ihn aber gleichzeitig zur Schwangerschaft beglückwünschten. Er hatte wohl den Urin seiner Frau abgegeben.

Tour de France: 1987 wurde die Epo-Ära eingeleitet und 18 europäische Radprofis starben in nur wenigen Jahren

1987 wurde die Epo-Ära eingeleitet. Dies zog erstaunliche Leistungsteigerungen und mysteriöse Todesfälle nach sich. Ehemals solide Pedalarbeiter verwandelten sich plötzlich in Kletterkünstler. Und 18 europäische Radprofis starben in nur wenigen Jahren – vermutlich als Folge dicken Bluts durch übermäßige Epo-Zufuhr. Eine Leistungsberechnung der Toursieger ab 1982, die der frühere Festina-Betreuer Antoine Vayer vor kurzem in der Broschüre „Not Normal“ vorlegte, spricht für Epo-Konsum bei den Spitzenkräften ab 1994. Bis dahin hatten die Dr. Mabuses des Radsportzirkus die Dosierung offenbar so weit in den Griff bekommen, dass die Fahrer sich nicht mehr in tödliche Gefahr begaben. Miguel Indurain jedenfalls steigerte bei der Tour 1994 seine durchschnittliche Leistung von 407 Watt (1993) über 435 Watt ein Jahr später und 455 Watt bei seinem fünften Toursieg 1995. Bjarne Riis, Jan Ullrich und Marco Pantani bewegten sich in den Folgejahren auf ähnlichem Niveau, bevor mit Lance Armstrong ein leichter Abschwung einsetzte. Vayer erklärt dies damit, dass der durch eine Razzia bei seinem damaligen Team Festina ausgelöste gleichnamige Skandal die Profis vorsichtiger agieren ließ. Ganz auf Doping verzichten wollten aber nur die wenigsten.

Und mit welcher Chuzpe sie das taten, wird daran deutlich, dass etwa Lance Armstrong keine zwei Monate nach dem Festina-Skandal das Epo-Doping von Team US Postal bei der Spanienrundfahrt 1998 organisierte und dass die verbliebenen Mitglieder des Teams T-Mobile bei der Tour 2006 nur einen Tag nach dem Ausschluss ihres Kapitäns Jan Ullrich wegen seiner Verbindung mit dem Dopingarzt Eufemiano Fuentes in die Freiburger Universitätsklinik fuhren und sich dort bereits gelagerte Blutbeutel zurücktransfundieren ließen.

Doping ist demnach nichts anderes als ein Produkt aus der prinzipiellen Bereitschaft zu dopen, den jeweils zur Verfügung stehenden Mitteln und Methoden und dem Risiko, bei deren Gebrauch erwischt und sanktioniert zu werden. Diese Formel hält den Zeitläufen bisher stand.

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