zum Hauptinhalt

Sport: Die Affären sind Schnee von gestern

Er spricht jetzt seine Sätze gern zu Ende. Das ist zunächst das Verblüffendste, wenn man Andreas Goldberger wiedertrifft.

Er spricht jetzt seine Sätze gern zu Ende. Das ist zunächst das Verblüffendste, wenn man Andreas Goldberger wiedertrifft. Die verbalen, oberösterreichisch gefärbten Brocken und Halbsätze, die Journalisten früher bei Interviews an den Kopf geworfen bekamen, sind Vergangenheit. 27 Jahre ist der einstige "Lieblings-Adler" der Österreicher geworden, und er ist nicht nur biologisch älter, sondern erwachsen. "Ich konnte am Tag nach dem ersten Weltcup-Wochenende in Kuopio meinen Geburtstag wieder richtig feiern" - da schwingt Erleichterung mit, wenn er sich an den 29. November erinnert. Zweiter war er im ersten Springen der Saison hinter Martin Schmitt gewesen, so wie jetzt beim Auftakt der Vierschanzentournee in Oberstdorf, und für einen wie ihn ist das inzwischen mehr als nur ein Topresultat in einer Ergebnisliste.

Das hat auch was mit wiederentdeckter Lebensqualität zu tun. Beim Sommer-Grand-Prix auf den Mattenschanzen zwischen Hinterzarten und Sapporo hatte er als Gesamt-Zweiter hinter Sven Hannawald bereits gezeigt, dass er sein tiefes Loch wieder verlassen hat, in das er gestürzt war. Der letzte Sieg steht unter dem Datum 9. März 1996 in der Agenda, seit jenem Erfolg auf der Flugschanze von Planica kam zunehmend Gegenwind auf. Der Kokain-Affäre, die im Sommer 1997 zur Sperre durch den Verband führte, folgte die Überlegung, aus Anhänglichkeit zu Privattrainer Heinz Koch nach Serbien zu wechseln; erst kurz vor Weihnachten jenes Unglücksjahres kehrte er in Engelberg in der Schweiz als Sechster wieder auf die Schanze zurück. Der Skiflug-Weltmeister von 1996 hatte zwar immer an sich geglaubt, aber nicht viele waren davon überzeugt, das er wiederkommen würde.

"Das hat schon wahnsinnig weh getan", sagt er jetzt, "denn ich habe immer getan und geholfen, aber nie was zurückbekommen." Der Mannschaft gilt diese Kritik, die sich unter dem damaligen Trainer Mika Kojonkoski, der inzwischen wieder zu seinen Landsleuten nach Finnland zurück gekehrt ist, von ihm distanziert hatte. Goldberger wurde zum Einzelgänger gemacht und ist es bis heute geblieben. Bei Olympia 1998 in Nagano durfte er noch einmal starten (22. auf der Normalschanze), danach war Schluss, auch die WM im Februar in der heimatlichen Ramsau durchlitt er als Zuschauer. "Das war meine bitterste Enttäuschung." Im Frühjahr kam die Wende und mit Alois Lipburger ein neuer Coach, dem er vertraut. "Das ist die Grundvoraussetzung, denn er muss dem Athleten einbrennen, wie es richtig ist, und der muss genau das akzeptieren." Goldberger, das hat er selbst an sich beobachtet, trägt den Kopf wieder oben, er hat etwas gelernt: "Wenn du ein Problem überwindest, stärkt das wahnsinnig." Lange war Edie Federer Manager wie auch einziger Freund, der viel Druck von ihm genommen hat, "denn der sagt geraderaus, was er denkt. Das ist wichtig, wenn man in dieser Scheinwelt lebt, die lange nicht so schön ist, wie ich als Junge geglaubt habe".

Jetzt liest er wieder Bücher und hat einen Computer-Kurs gemacht, sitzt zwischen den Weltcups in seinem Anwesen mit den drei Garagen am Mondsee, wo er wäscht und kocht, und glaubt tatsächlich: "Momentan bin ich sicher wieder der allerliebste Schwiegersohn." Auch diese Erinnerung an frühere Charakterisierungen, der stets der "pausbäckige Rauschgoldengel" folgte (der er mit 55 kg bei 1,72 m Größe wahrlich nicht mehr ist), spricht für wiedergewonnenes Selbstvertrauen. Wenn auch im Hinterkopf immer noch ein bisschen zurückgeblieben ist aus den schlechten Zeiten des Andreas Goldberger, "der Rucksack ist weg".

Er formuliert seine Lebenserfahrungen also präzise, der Skispringer Goldberger. Nur wenn es um sein Image geht, macht er sympathisch lange Pausen und druckst herum wie eh und je. Aber eins ist klar: Ein Andreas Widhölzl beispielsweise, Dritter in Oberstdorf, der wie seine Kumpel deutlich Abstand hält zum einstigen Vorflieger, könnte noch so oft Weltmeister werden oder anderes, ein Andreas Goldberger II würde er nie sein. Dazu gehört mehr, als nur Skispringen zu können. Dazu muss man ein Typ sein. Eben ein Goldberger. Der hat dreimal den Gesamt-Weltcup und zweimal die Vierschanzentournee gewonnen, bevor er die ganz harte Tour "so kann das Leben auch sein" mitmachen musste. Deshalb relativiert er inzwischen Erfolge wie Nackenschläge, mit dem Ziel, "wenigstens noch einmal ein Springen zu gewinnen", hat er in Oberstdorf seine neue Bescheidenheit präzisiert. Allerdings, "wenn der Martin, der in einer unglaublichen Form ist, mal schwächelt, dann sind wir da und werden die Gunst der Stunde nutzen".

Lutz Rauschnick

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false