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Sport: Die alte Hertha

Für Jürgen Röber und Marko Rehmer ist vieles neu: Der eine arbeitet jetzt beim VfL Wolfsburg, der andere sitzt in Berlin nur auf der Bank

Wolfsburg. Mit der Bahn ist es am schönsten, sagt Jürgen Röber. „Ich steige um 19 Uhr in den Zug, setze mich in den Speisewagen, hole mir Tee und Croissants, schaue in die Zeitung, und um 20 Uhr bin ich wieder in Berlin.“ Das Ticket kostet 30 Euro, Röber besitzt die Bahncard. „Ist doch wunderbar, oder?“

Nun ist es nicht so, dass Röber, der Fußballtrainer des VfL Wolfsburg, jeden Tag nach Berlin fährt, „sondern nur ein-, zweimal die Woche“. In Berlin hat Röber sechs Jahre gearbeitet. Hertha BSC führte er erst in die Bundesliga, dann in die Champions League, und er etablierte den Klub schließlich in der Spitze der Liga. Den Sprung nach ganz oben hat man ihm bei Hertha nicht zugetraut, vor einem guten Jahr wurde er entlassen. Am Samstagnachmittag holt ihn seine Vergangenheit ein. Dann empfängt der VfL in der Volkswagenarena Hertha BSC.

Seit acht Wochen steht Röber in Wolfsburg unter Vertrag, und „bis jetzt hatte ich keine Zeit, eine Wohnung zu suchen“. Mit seinem Assistenten Bernd Storck hat er in einem Hotel in einem Wolfsburger Vorort ein Zimmer bezogen. „Ich habe mich gut eingelebt, man kann spazieren gehen, und ein, zwei gute Restaurants gibt es auch“, sagt Röber. „Aber mit Berlin ist das nicht zu vergleichen. Berlin ist einfach großartig.“

Für Röber kann es ein überaus entspannter Nachmittag werden. Sein ehemaliger Arbeitgeber ist nach zwei Niederlagen in Serie spürbar verunsichert, der Uefa-Cup-Platz in Gefahr. Röber und Storck verspüren keine Schadenfreude, das wäre der falsche Ausdruck, es tut ihnen nicht mehr weh. „Ich bin Profi genug, in diesen 90 Minuten meine Vergangenheit zu vergessen“, sagt Röber. Der VfL ist derzeit Neunter der Liga, die Mannschaft kann nicht mehr absteigen, aber auch keinen Uefa-Cup-Platz erreichen. „Für uns geht’s um den UI-Cup-Platz“, sagt Röber. „Da kannst du nicht einfach sagen: Hey, Hertha, nimm du die Punkte. Wir stehen in Wolfsburg unter Druck.“ Die Situation ist mit der in Berlin zu vergleichen. Als Röbers Vorgänger Wolfgang Wolf nicht mehr zugetraut wurde, die Mannschaft in den Uefa-Cup zu führen, wurde er gegen Röber ausgetauscht. Bis 2007 soll es in Wolfsburg die Champions League sein. Ein Jahr vorher läuft Röbers Vertrag beim VfL aus.

Herthas Manager Dieter Hoeneß sagt, dass „ich zu Jürgen ein gutes persönliches Verhältnis habe, wir treffen uns oft in Berlin“. Wenn Röber nicht mit der Bahn anreist, dann mit seinem neuen Dienstwagen. „Ein VW-Phaeton, 400 PS, unglaublich!“ Mit der Bahn ist Röber trotzdem schneller in Berlin.

Von Stefan Hermanns

Berlin. Huub Stevens hat auch in schwerer Zeit gelegentlich Grund zur Freude. Zum Beispiel, wenn er in den Tagen nach Herthas 3:6 gegen Bayern München am vergangenen Wochenende in den Zeitungen liest, dass Verteidiger Marko Rehmer die Niederlage zu großen Teilen zu verantworten habe. „Dann lach’ ich“, sagt Herthas Trainer. „Marko hat nicht Schuld. Das haben wir alle getan.“

Marko Rehmer wird solche öffentliche Unterstützung als sehr wohltuend empfinden. Zuletzt nämlich hatte er das Gefühl, für unerfreuliche Entwicklungen besonders stark in die Pflicht genommen zu werden. Dass Rehmer gegen die Bayern fünf Minuten vor der Pause aus dem Spiel genommen wurde, hat er als Bestrafung empfunden, auch wenn Stevens das anders sieht, und schon vor einem Monat, beim 1:4 in Leverkusen, wurde er als Hauptschuldiger an der Niederlage ausgemacht. „Er hat auch gute Spiele gemacht, viele gute Spiele“, sagt Stevens. „Wir haben nicht umsonst seinen Vertrag verlängert.“ Im Gegenteil, Manager Dieter Hoeneß sagt, dass Hertha das „aus voller Überzeugung“ getan habe. Für ihn ist Rehmer „einer der besten Abwehrspieler der Liga, nach wie vor“.

Das grausame Jahr

Aber hinter dem Nationalverteidiger liegt ein grausames Jahr. Angefangen hat das Leiden am 2. März des vergangen Jahres in Köln. Eine Viertelstunde ist gespielt, als Christian Springer Rehmer an der Seitenlinie brutal in die Beine springt. Am rechten Knöchel reißt die Kapsel und das Außenband, ein anderes Band ist angerissen. Marko Rehmer zittert um seine Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea. Er wird dann doch von Teamchef Rudi Völler ins Aufgebot berufen, obwohl Rehmer bis zum Ende der Saison kein Bundesligaspiel mehr bestreitet.

Am 15. Juni kommt Rehmer bei der WM zu seinem ersten Einsatz für die deutsche Nationalmannschaft – es wird sein einziger bleiben. Im Achtelfinale gegen Paraguay steht der Berliner in der Anfangself. Rehmer hat Spritzen bekommen und schmerzstillende Tabletten geschluckt. Nach 45 Minuten muss er in der Kabine bleiben. Der Knöchel schmerzt wieder, und weil sich die Beschwerden als hartnäckig erweisen, verpasst Rehmer fast die komplette Saisonvorbereitung mit Hertha BSC.

Am 1. September steht Rehmer zum ersten Mal wieder in der ersten Mannschaft. Im DFB-Pokal spielt Hertha beim Regionalligisten Holstein Kiel. Kurz vor der Pause will Rehmer nach einer Ecke zum Kopfball hochsteigen. Sein Gegenspieler Matthias Rose rammt ihm den Ellenbogen ins Gesicht. Rehmer kann nicht hochspringen – Rose köpft zum 1:0 ein. Zur Pause muss Rehmer ausgewechselt werden. Zwei Platzwunden hat er am Kopf, sein Auge ist geschwollen.

Am 17. September tritt Hertha im Uefa- Cup in Aberdeen an. Marko Rehmer fehlt. Er hat sich am Spieltag mit Fieber abgemeldet.

Am 11. Oktober zieht sich Rehmer im Freundschaftsspiel der Nationalmannschaft gegen Bosnien eine Muskelverspannung im Oberschenkel zu. Beim Qualifikationsspiel gegen die Färöer vier Tage später fehlt er.

Am 3. November verpasst Rehmer Herthas Spiel in Bochum – wegen Migräne.

Am 16. November muss sich Rehmer vor dem Spiel bei Hannover 96 im Mannschaftsbus übergeben. Er steht trotzdem in der Anfangself, ist sogar Kapitän und hält 65 Minuten durch.

Am 23. November zieht sich Rehmer im Spiel gegen Werder Bremen eine Zerrung im Oberschenkel zu. In der 51. Minute wird er ausgewechselt.

Am 15. Dezember stößt Rehmer bei einem Kopfballduell mit dem Kaiserslauterer Harry Koch zusammen und zieht sich dabei eine Platzwunde zu. Als Rehmer ein Verband angelegt wird, geht Kaiserslautern 1:0 in Führung. Der Verteidiger hält trotzdem bis zum Schluss durch, Hertha verliert 1:2.

Am 8. Februar zieht sich Rehmer im Heimspiel gegen Schalke 04 einen Muskelfaserriss im Oberschenkel zu; nach 25 Minuten muss er ausgewechselt werden.

Am 5. April , bei der 1:4-Niederlage in Leverkusen, fällt Rehmer auf den Ball. Die Folge: eine Schultereckgelenksprengung, ein Einriss im Trizeps und eine Zerrung im rechten Arm. Der Verteidiger verursacht den Elfmeter zum 0:1 und verschuldet einen Treffer. Zur Halbzeit wird er ausgewechselt.

Am 3. Mai gegen Bremen soll Rehmer nach vier Wochen Pause wieder zum Einsatz kommen. Wegen eines Migräneanfalls muss er auf seinem Hotelzimmer bleiben.

Nur in zwei Spielen hat Rehmer nach der Winterpause 90 Minuten auf dem Platz gestanden, und trotzdem sagt Manager Hoeneß, dass der Verteidiger hundertprozentig fit sei. Im Training, so berichtet Stevens, „war Marko super drauf“. Hoeneß glaubt, dass die derzeitige Formschwäche „reine Kopfsache“ ist. Zuletzt musste Rehmer mit der ungewohnten Situation umgehen, gesund zu sein und trotzdem nur auf der Bank zu sitzen, „das kannte ich bisher nicht“. Am Samstag in Wolfsburg droht ihm dies wieder. Nicht weil Rehmer gegen die Bayern zu schlecht war, sondern weil Dick van Burik wieder fit ist.

André Görke

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