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Sport: Die Angst vorm Gewinnen verloren

Mit neuem Selbstvertrauen dominiert der Bulgare Wesselin Topalow bei der Schach-Weltmeisterschaft

Weshalb Wesselin Topalow neuerdings so stark spielt, ist für ihn selbst etwas rätselhaft. „Eigentlich hatte ich schon früher bessere Ergebnisse erwartet als heute mit 30“, sagt er. Der Bulgare liegt bei der Schach-WM im argentinischen San Luis aber keineswegs zufällig in Führung. In diesem Jahr hat er schon alle Großen besiegt: Kasparow, Anand, Kramnik, Leko. Und in San Luis macht Topalow einfach weiter. Drei Siege, ein Remis. Wenn er seine Chancen gegen Viswanathan Anand genutzt hätte, könnten nun sogar vier Siege für ihn zu Buche stehen. Er sei trotzdem glücklich über den Start. „Ich weiß aber, das Leben ist nicht leicht, ich erwarte noch Probleme in den nächsten zwei Wochen.“

Andere mögen begabter sein als Topalow, aber niemand tritt derzeit mit so viel Energie und Siegeswillen ans Brett wie er. Wenn mancher Großmeisterkollege nach einem Kurzremis schon in der Hotelsauna sitzt, beugt er sich noch übers Schachbrett, mitunter sieben Stunden lang. Immer auf der Suche nach verborgenen Gewinnmöglichkeiten, ein Remis anzubieten, scheint ihm ein Gräuel. Topalow sagt, er habe noch nie Angst vorm Verlieren gehabt. Im Gegenteil. „In der Vergangenheit schien es manchmal, als hätte ich Angst vorm Gewinnen“, sagt er und muss darüber lächeln. Den inneren Konflikt, immer unbedingt siegen zu wollen, und sich zuweilen genau davor zu fürchten, hat er inzwischen auch mithilfe psychologischer Beratung überwunden. „Nun bin ich selbstbewusster und psychisch stärker als früher.“ Heute lasse er nicht mehr so viele Chancen aus, sondern rede sich während der Partien gut zu: „Jetzt ist der Moment, jetzt muss du es zeigen.“

Im Alter von acht Jahren lernte Topalow die Schachregeln vom Vater. Mit 14 wurde er Jugendweltmeister, mit 17 Großmeister. Der Durchbruch in die Weltspitze gelang ihm 1996, als er eine Reihe bedeutender Turniere gewann. Topalow lebt seit vielen Jahren im spanischen Salamanca, wo er wie ein Hochleistungssportler trainiert. Während der WM gehe er aber nicht einmal joggen. „Hier geht es darum, alle Energien zu speichern.“ An den Eröffnungen feilt er jedoch auch in San Luis, gemeinsam mit seinem erst 18-jährigen Landsmann Ivan Tscheparinow, dem er schon bei den vergangenen Turnieren einige brillante Ideen verdankte. „Wir arbeiten unentwegt. Mit jedem neuen Turnier gibt es neue Probleme. Einige Dinge sind vorher entschieden, andere müssen wir hier vor Ort ändern.“

Möglicherweise wird Topalow am Ende des doppelrundigen Turniers von allen acht Spielern die meisten Siege aufweisen, offen bleibt hingegen die Frage, ob es auch reicht, um Weltmeister zu werden. Denn Topalow gilt, etwa im Vergleich zu Anand, als anfälliger. Hin und wieder resultieren seine Niederlagen aus übertriebenem Ehrgeiz, mitunter offenbart er auch kleine schachliche Schwächen. „Es stehen noch zehn Runden bevor“, weiß Topalow. „Am Ende häufen sich meistens die Fehler, die Nerven spielen eine große Rolle. Ich will einfach Ruhe bewahren.“

Nervös sei er in der Auftaktrunde gegen Peter Leko gewesen. Auch Garry Kasparow – vor einem halben Jahr vom Schach zurückgetreten, um sich fortan gegen Russlands Präsident Putin zu engagieren – verfolgte via Internet, wie Topalow zunächst in großen Schwierigkeiten steckte. Überzeugender sahen dessen anschließende Siege gegen die formschwachen Alexander Morosewitsch und Michael Adams aus. Letzterer habe, sagt Topalow, in einer komplizierten Partie „einfach schlecht gespielt und überhaupt keinen Widerstand geleistet“.

Dass in San Luis im Prinzip jeder jeden besiegen kann, erfuhr der Inder Anand in der vierten Runde, bei seiner überraschenden Niederlage gegen Rustam Kasimdschnanow. „Hier gibt es keine langweiligen Eröffnungen, alle suchen den offenen Kampf“, erklärt Topalow die hohe Zahl entschiedener Partien. Es stehe schließlich viel auf dem Spiel. „Fast alle Topspieler sind hier, es ist diesmal eine richtige Weltmeisterschaft, mit perfekten Bedingungen.“ Wenn auch das Ergebnis für ihn perfekt ist, würde aus dem ehemaligen Selbstzweifler ein neuer Schachkönig.

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