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Jelena Issinbajewa, 30, ist die einzige Frau, die die fünf Meter übersprang.Foto: Reuters

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Sport: Die Diva ist zurück

WETTKAMPF DES TAGES Jelena Issinbajewa hatte schon abgeschlossen mit dem Stabhochspringen. So ist die Konkurrenz stärker geworden – auch Silke Spiegelburg.

Jelena Issinbajewa stolziert wieder an ihren Konkurrentinnen vorbei, den Kopf hoch, der Blick starr geradeaus, ganz die Diva. „Man bekommt kaum ein ,Hallo’ aus ihr heraus“, sagt Silke Spiegelburg aus Leverkusen. Jelena Issinbajewa ist also wieder ganz die Alte, sie hat ihr Burn-out überwunden. Das signalisiert diese Haltung, die auch hochmütige Schauspielerinnen gegenüber Mimen aus der Provinz zeigen.

Die Stabhochspringerin Jelena Issinbajewa aus Wolgograd gibt es öffentlich in zwei Versionen. Es gibt die überragende Athletin, die Olympiasiegerin von 2004 und 2008, die Weltmeisterin von 2005 und 2007, die Serienweltrekordlerin, die auch die aktuellen Bestmarken von 5,06 Meter im Freien und 5,01 Meter in der Halle hält, die Frau, die auf der Laufbahn auftritt wie ein Topmodel und ihren Stab mit rot lackierten Fingern umklammert. Das ist die Jelena Issinbajewa, die ihre Gegnerinnen kaum beachtet.

Und dann gibt es die Frau, die im März 2010 bei der Hallenweltmeisterschaft in Doha vor Journalisten aus aller Welt erklärte: „Ich ziehe mich aus dem Sport zurück. Ich spüre einen Riesendruck, immer die Beste sein zu müssen. Alle erwarten das von mir: die Russen, die Fans, ich selbst.“ Da saß ein gebrochener Mensch, erdrückt von der Rolle, in der er sich selbst jahrelang inszenierte. Jelena Issinbajewa hatte einfach genug. Sie wollte nicht mehr. In Doha war sie nur Vierte geworden.

Ein gutes Jahr setzte Issinbajewa aus, sie genoss das Leben, ging shoppen, besuchte Partys, flanierte durch Monaco, wo sie ihren Zweitwohnsitz hatte, aber es fehlte etwas: der Sport. „Das Leben einer normalen Frau ist langweilig“, sagte sie. Also kehrte Issinbajewa wieder zurück. Aber die Welt, die sie einst beherrscht hatte, hatte sich geändert. „Das Fehlen von Jelena hat vielen einen Pusch gegeben“, sagt Silke Spiegelburg. „Es gab einen Leistungsschub.“ Spiegelburg, die WM-Vierte von 2009, liegt mit 4,82 Metern auf Rang zwei der Jahresweltrangliste. Heute trifft die Deutsche, mit Medaillenchancen, im Stabhochsprungfinale auf die Russin. Zu Issinbajewa hat sie ein professionelles, nüchternes Verhältnis.

Jelena Issinbajewa wurde bei der WM 2011 nur Vierte, das war wieder ein kleiner Schock. Aber die Russin ist nicht bereit, sich vom Sockel stoßen zu lassen. Nicht von Gegnerinnen, über die sie sagte: „Die anderen werden erst Rivalinnen, wenn sie fünf Meter springen.“ Im Frühjahr gewann die Russin die Hallenweltmeisterschaft, danach verkündete sie: „Ich bin immer noch unschlagbar. Niemand außer mir kann fünf Meter springen.“ Das war der Moment, in dem Spiegelburg feststellte, dass die Weltrekordlerin wieder in ihre Rolle als Diva schlüpfte.

London, alles konzentriert sich bei der 30 Jahre alten Issinbajewa auf die Olympischen Spiele. London ist einerseits eine Zwischenstation für sie. Die Weltrekordlerin hätte natürlich die Olympischen Spiele als schöne Bühne für ihren Abschied nehmen können. Aber die WM 2013 findet in Moskau statt, dort wird sie starten, sie soll die Titelkämpfe durch ihre Prominenz aufwerten. Präsident Wladimir Putin persönlich hatte um sie geworben, außerdem hat sie einen millionenschweren Werbevertrag mit einem chinesischen Sportartikelhersteller, der bis 2013 läuft.

Aber vor allem ist London für Issinbajewa die Bühne, auf der sie zeigen kann, dass sie wieder die Alte ist. Dass eine Pause, dass die großen Erwartungen, dass die Häme von Konkurrentinnen sie nicht sportlich zerbrechen können. Jelena Issinbajewa ist technisch den meisten ihrer Gegnerinnen immer noch überlegen, sie hat unverändert das Potenzial, den olympischen Wettkampf zu gewinnen.

Aber es gibt auch noch die Psyche. Und die große Frage ist: Ist Jelena Issinbajewa auch nervlich stark genug, diesem Druck standzuhalten? Beim letzten Test vor den Olympischen Spielen, in Monaco, scheiterte die Russin dreimal an der Anfangshöhe von 4,70 Metern. Es war erst ihr zweiter Freiluftwettkampf in dieser Saison. Bei ihrem ersten Auftritt überquerte sie 4,75 Meter.

Monaco, das muss bei Jelena Issinbajewa Erinnerungen ausgelöst haben. Erinnerungen an früher, Erinnerungen an ein anderes, viel größeres Scheitern. Bei der WM 2009 in Berlin hatte sie auch schon dreimal die Anfangshöhe gerissen. Danach stand sie da wie weggetreten. Starr, der Blick ging ins Leere. „In Berlin war nur mein Körper anwesend, nicht mein Geist“, sagte sie. Da zeigten sich schon die ersten Anzeichen der nervlichen Erschöpfung.

In Berlin stand Jelena Issinbajewa wie unter Schock neben der heulenden Silke Spiegelburg. Die Deutsche hatte Bronze verloren, sie war durch einen dummen technischen Fehler nur Vierte geworden. In diesem Moment waren sie sich geistig so nahe wie noch nie, zwei Gescheiterte vereint im Schmerz. In diesem Moment sah Spiegelburg nicht die Diva, sondern die Verliererin. „Ich hatte selber mal dreimal die Anfangshöhe gerissen“, sagt sie. „Ich konnte sie so gut verstehen.“

Jetzt, in London, ist die sechsmalige Deutsche Meisterin aus Leverkusen sogar sportlich auf Augenhöhe mit der Weltrekordlerin. Mindestens das. Denn in Monaco, als Jelena Issinbajewa so glanzlos, so unerwartet an der Anfangshöhe scheiterte, da sprang auch Silke Spiegelburg. Sie überquerte 4,82 Meter, deutscher Rekord. Jelena Issinbajewa, die Weltrekordlerin, die liegt jetzt in der Jahresweltrangliste drei Plätze hinter Spiegelburg.

Das Leben als ganz normale Frau wurde ihr schnell zu langweilig, der Sport fehlte

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