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Sport: Die Drei von der Rodelbahn

Journalisten, die bei Olympischen Spielen in einer anderen Zeitzone praktisch rund um die Uhr im Einsatz sind, haben es nicht gern, wenn ihnen ein Funktionär Tempo und Thema diktieren will. Aber irgendwie hatten sie auch Verständnis, als Klaus Kotter, der Präsident des Bob- und Schlittenverbandes für Deutschland, den im Zielraum des Damen-Rodelwettberbs versammelten Medien zurief: "Arbeiten, arbeiten, arbeiten".

Journalisten, die bei Olympischen Spielen in einer anderen Zeitzone praktisch rund um die Uhr im Einsatz sind, haben es nicht gern, wenn ihnen ein Funktionär Tempo und Thema diktieren will. Aber irgendwie hatten sie auch Verständnis, als Klaus Kotter, der Präsident des Bob- und Schlittenverbandes für Deutschland, den im Zielraum des Damen-Rodelwettberbs versammelten Medien zurief: "Arbeiten, arbeiten, arbeiten". Und das nur ein paar Sekunden, nachdem das stolzeste Resultat seines Verbands feststand. Siegerehrung mit Sylke Otto (Gold), Barbara Niedernhuber (Silber) und Silke Kraushaar (Bronze), nebenbei mit der hundertsten deutschen Goldmedaille bei Olympischen Winterspielen noch ein kleines Betriebsjubiläum.

Mehr zum Thema Fotostrecke: Bilder aus Salt Lake City Tagesspiegel: Alle Berichte von den Olympischen Winterspielen Newsticker: Aktuelle Nachrichten von den XIX. Winterspielen sowie weitere Sportmeldungen Deshalb sollten die Journalisten möglichst schnell an ihre Laptops. Nicht nur den dreifachen Triumph der Landsfrauen den Lesern in der Heimat grandios verkaufen. Insbesondere sollten die auch von der wahnsinnigen Atmosphäre erzählen: 13 249 Zuschauer bei einem Schlittenrennen von Frauen, und das auch noch nachts, ausverkaufte Arena, so etwas hat es noch nie gegeben.

Wenn man sich in der IOC-Historie ein bisschen auskennt, dann hätten sich am Mittwochabend drei Landsfrauen bei ihm bedanken müssen für ihre olympischen Medaillen. Denn Klaus Kotter aus Prien im Chiemgau hat vor fast einem Vierteljahrhundert verhindert, dass die Bob- und Schlittenfahrer aus der olympischen Familie ausgeschlossen wurden. Kotter kämpfte wie ein Löwe um seine Sportart, baute sie aus. Als Chef der Kufensportler rekrutierte er selbst in der Karibik seine Jünger(innen). Weshalb die wunderbare Hollywood-Story vom Jamaika-Bob ebenso auf die Mission Kotters zurückzuführen ist wie der spektakuläre Unfall der 108 Kilo schweren Venezolanerin Iginia Boccalandro, die schon im ersten Lauf am Dienstag vom Schlitten gerutscht war, weil sie Steuerprobleme hatte. Der Bauch hatte ihr die Sicht versperrt.

"Otti", "Babsi" und "Krausi", so die Spitznamen der Siegerinnen, haben selbstverständlich andere Figuren. Doch wer von den dreien nun ganz oben stehen durfte, war dem Verbandschef egal. Man kann sich an Erfolge ja gewöhnen. Und so hat sich ein Reporter in der Pressekonferenz der Siegerinnen den Spaß gemacht, sie zu fragen, wie oft sie gewonnen und wann sie zum letzten Mal ein Rennen verloren hatten. Die drei brauchten die Hilfe der Fachjournalisten, bis die Daten komplett waren: 56 Siege in Serie, zuletzt sind sie in der Weltcup-Saison 1997 einmal von der Österreicherin Tagwerker geschlagen worden; und was Olympia betrifft, muss man zurückdrehen bis nach Lake Placid 1980 und zu dem russischen Namen Vera Sasulja.

Diese Hier-wird-deutsch-gesprochen-Domäne trägt natürlich wenig zur Attraktivität bei; und so fühlen sich die erfolgreichen Athletinnen auch unter Wert präsentiert. "Wir werden noch immer als Randsportart betrachtet", sagt Sylke Otto, "aber was können wir tun: Sollen wir etwa bremsen, damit die anderen gewinnen?" Gute Frage. Andererseits haben die Damen Otto, Niedernhuber und Kraushaar nur deshalb eine gewisse Popularität erreicht, weil sie alle vier Jahre zuverlässig wie Zigarettenautomaten Medaillen ausspucken. Und trotz der großen und auch deutlich sichtbaren Freude bleibt das Dilemma der Gold-Frau Otto: "Traurig, dass unsere Siege so selbstverständlich sind, schade, dass Rodeln in Deutschland nicht so akzeptiert wird wie hier."

Es kommen auch wieder nachdenklichere Stunden. Silke Kraushaar etwa, die Olympiasiegerin von Nagano, hat nicht hundertprozentig eingestimmt in den Beifall um ihre Nachfolgerin. Obwohl sie seit drei Jahren das halbe Jahr über Doppelbett und Zimmer teilen und die eine die andere ihre Freundin nennt, hat Silke Kraushaar gesagt, Sylke Otto bekomme das bessere Material. Nur so erkläre sich, dass die am Ende die Nase vorne habe. Die Stallregie spielt offenbar auch hier eine Rolle. Und Barbara Niedernhuber hat zugegeben, dass ihre zweite Silbermedaille zu einem großen Teil auch Georg Hackl gehört: "Hätte der mir nicht seinen Schlitten geliehen, wäre es anders ausgegangen."

Martin Hägele

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