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Sport: Die gefühlte Gefahr

Von Stefan Hermanns Sapporo. Oliver Kahn ist eigentlich ein sehr nüchterner Mensch, einer, der zuerst an logische Zusammenhänge glaubt und nicht an Hokuspokus.

Von Stefan Hermanns

Sapporo. Oliver Kahn ist eigentlich ein sehr nüchterner Mensch, einer, der zuerst an logische Zusammenhänge glaubt und nicht an Hokuspokus. Aber in den jüngsten Tagen hat Kahn sich sehr stark von seinen Empfindungen leiten lassen. Jedenfalls hat der Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft immer wieder von seinem Gefühl berichtet, dass die deutsche Mannschaft bei der Weltmeisterschaft eine unerwartet gute Rolle spielen kann. Das hat viele ein wenig überrascht, aber jemand wie Kahn möchte sich nur ungern nachweisen lassen, dass er Unrecht hatte.

Am späten Samstagabend hinterließ der Torhüter der deutschen Nationalmannschaft deshalb einen vergleichsweise entspannten Eindruck. 8:0 hatte seine Mannschaft gegen Saudi-Arabien gewonnen, und „egal wie der Gegner hieß, das bleibt einfach im Kopf hängen“, sagte Kahn. Es bleibt zum einen in den eigenen Hirnen haften, die bis dato selbst nicht so recht einzuschätzen wussten, wozu die Klasse von 2002 fähig ist. Solche Grübeleien sind nun zunächst einmal hinfällig: „Wir glauben jetzt noch mehr an uns“, verkündete Kahn. „Wir haben was fürs Selbstvertrauen getan“, sagte Dietmar Hamann. Aber für viel wichtiger hält Kahn die immense Außenwirkung des glamourösen Sieges von Sapporo. Er erinnerte schon mal freudig an die künftigen und potenziellen Gegner, „die jetzt wieder sehr, sehr großen Respekt vor den Deutschen haben werden".

Es ist ja in der Tat eine schöne Vorstellung für alle Anhänger der deutschen Nationalmannschaft, wie die Menschen in Lyon, Birmingham, Valencia und Mailand am Samstagmittag von ihren Einkäufen nach Hause kommen, den Fernseher anstellen, um ein bisschen Fußball zu gucken – und dann springt sie dieses schreckliche Ergebnis an: Deutschland acht, Saudi-Arabien null. Um Himmels willen, haben da bestimmt alle Engländer, Franzosen, Spanier und Italiener gedacht, das Monster lebt doch noch! Jetzt bibbern sie schon wieder und verfluchen Gary Lineker, den Propheten der Finsternis. Für Dietmar Hamann jedenfalls war der deutliche Auftaktsieg „mal wieder ein Zeichen, dass doch noch mit uns zu rechnen ist". Ein Zeichen vor allem für den Rest der Welt.

Den Deutschen käme ein wenig Ehrfurcht der anderen natürlich sehr gelegen. Für sie wäre es gewissermaßen die Wiederherstellung des ehemaligen Normalzustandes. Denn dass ihre Nationalelf lange Zeit zu den erfolgreichsten der Welt gehört hat, lag schließlich nicht zuletzt am übergroßen Respekt ihrer Gegner. Zur echten Gefahr, die von den deutschen Mannschaften kraft ihrer spielerischen Potenz ausging, kam immer auch die gefühlte Gefahr auf Seiten ihrer Widersacher. Und die war meist größer als die reale Bedrohung.

Zwei bescheidene Weltmeisterschaften (1994, 1998) und eine desaströse Europameisterschaft (2000) haben die Deutschen benötigt, um die Legende von der ewigen Unbesiegbarkeit als Lüge zu entlarven. Dietmar Hamann, der beim FC Liverpool spielt, hat zum Beispiel in England festgestellt, „dass man die Angst vor den Deutschen verloren hat". Dass die nun wieder geweckt ist, nur weil die Nationalmannschaft Saudi-Arabien 8:0 besiegt hat, ist zumindest zweifelhaft. Für Teamchef Rudi Völler war dieser Gegner eine Mannschaft, „die bei diesem Turnier wahrscheinlich keinen Punkt holen wird". Man freue sich ja schon über ein solches Ergebnis, sagt Hamann, „aber es gibt keinen Anlass, irgendwie verrückt zu spielen".

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