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Sport: Die Gewissensfrage

Die Radteams streiten sich, ob des Dopings verdächtigte Fahrer wie Ivan Basso in dieser Saison starten dürfen

Rolf Aldag ist sich völlig darüber im Klaren, worum es eigentlich geht, wenn sich am heutigen Donnerstag in Brüssel die Vertreter der Berufsradsport-Mannschaften zusammensetzen und über die Zukunft ihres Sports diskutieren: „Wir müssen Handlungsfähigkeit beweisen“, sagt der neue Sportdirektor des Teams T-Mobile, der sich bis vor zwei Jahren noch als Edelhelfer von Erik Zabel und Jan Ullrich selbst im Magentatrikot abgestrampelt hat. Die Sitzung wird ein weiterer Versuch des von der Dauerkrise geschüttelten Sports sein, sich selbst zu retten. Leicht wird es für die Interessenvertretung der Profi-Teams IPCT allerdings nicht, zumindest für die kommende Saison eine Linie zu finden. Die Strukturen im Radsport geraten zusehends aus den Fugen. Gerade zwei Tage vor dem Meeting in Belgien sind die etablierteren Institutionen des Radsports – die Veranstalter der großen Rundfahrten Tour de France, Giro d’Italia und Vuelta einerseits und der Weltverband UCI andererseits – im Rechtsstreit gegeneinander vor die EU-Kommission gezogen und haben somit ihre Unfähigkeit dokumentiert, eine gemeinsame Vision für die Zukunft des Radsports zu entwickeln. Die Sportart ist für alle sichtbar gespalten: Veranstalter und Verbände verklagen sich.

Für die Profiteams gilt es jetzt, sich zwischen den zerstrittenen Fraktionen zu positionieren und auszuloten, ob sie vielleicht diejenigen sein können, die den unumgänglichen Reformprozess des Radsports aktiv gestalten. Beim Zank zwischen dem Radsportweltverband UCI und den Ausrichtern der Rundfahrten geht es um nicht weniger als um die Hoheit über den gesamten Sport. Die Rennveranstalter hatten im Dezember angekündigt, sich aus der von der UCI betriebenen Rennserie „Pro Tour“ auszuklinken. Die Tour umfasst alle wichtigen Rennen im Profisport; die 20 Mannschaften, die das Recht haben, an der Serie teilzunehmen, sind so etwas wie die erste Liga des Radsports. Gestört hatten sich die Rennveranstalter an der Kontrolle, die die UCI mittels der Pro-Tour über ihre Veranstaltungen ausüben kann. Dazu gehörten Vermarktungsfragen, vor allem aber auch das Recht zu bestimmen, wer an den Rennen teilnehmen darf.

Die Organisatoren möchten sich vorbehalten, Mannschaften und einzelne Sportler einzuladen oder auszuladen – ein Recht, das nach der vergangenen Tour de France besonders wichtig geworden ist. Im Kern wollen sich Tour, Giro und Vuelta die Möglichkeit vorbehalten, sich Fahrer wie Ivan Basso und Jan Ullrich vom Hals zu halten, die zwar unter starkem Dopingverdacht stehen, nach dem Reglement des Radsport-Weltverbandes jedoch nicht gesperrt werden können, weil es keinen positiven Dopingtest gibt. So bleibt der Radsport in der Frage zerrissen, wie er mit legal nicht antastbaren Verdächtigen zu verfahren hat.

Genau das ist die Frage, in der sich die Profiteams einig werden müssen. Denn auf der Tagesordnung der IPCT-Sitzung steht der mögliche Ausschluss der früheren Mannschaft von Lance Armstrong, des US-Teams Discovery Channel, aus der Zunft-Vereinigung. Discovery hatte im Dezember den Italiener Ivan Basso angeheuert, der wie Jan Ullrich unter starkem Verdacht steht, in die Affäre um den spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes verstrickt zu sein. Nachdem Italiens Verband das Verfahren gegen Basso eingestellt hatte, sagte Discovery-Sportdirektor Johan Bruyneel: „Ich weiß nicht, wer mich daran hindern soll, den besten Rennfahrer der Welt zu verpflichten. Ich denke, der Radsport geht zu weit in seiner Suche nach Glaubwürdigkeit.“

Bruyneel nimmt für Basso das Recht auf Unschuldsvermutung in Anspruch. Die Direktoren der deutschen Teams Gerolsteiner und T-Mobile haben sich eindeutig dagegen ausgesprochen. Dass sie sich damit im Einklang mit dem Rest der Branche befinden, können sie allerdings nur hoffen. „Wir brauchen dringend ein klares Zeichen“, sagt Gerolsteiner-Chef Hans-Michael Holczer. „Ein Ergebnis, das nicht eindeutig ist, nützt uns nichts“, pflichtet ihm Rolf Aldag bei.

Auch eine klare Ächtung von Discovery Channel durch die IPCT würde nicht automatisch bedeuten, dass Ivan Basso nicht im kommenden Jahr die Tour de France bestreitet und gewinnt. Das hängt vom Ausgang des Rechtsstreits zwischen der UCI und den Radsportveranstaltern ab. Hat die UCI bei der EU Erfolg, kann sie theoretisch der Tour und dem Giro das PR-Desaster aufbürden, einen der Hauptverdächtigen des Sommerskandals 2006 als Sieger zu ehren. Das wollen die Rennveranstalter freilich mit allen Mitteln verhindern. Ein vom Verband losgelöster Radsport unter der alleinigen Obhut kommerzieller Organisationen würde andererseits eine ganze Reihe neuer schwieriger Fragen aufwerfen.

Der Saisonstart im Profi-Radsportzirkus ist mit der „Tour Down Under“ durch Australien nur noch weniger als eine Woche entfernt. Die Show geht also weiter, auch wenn schon lange nicht mehr klar ist, wer eigentlich die Regie führt und wer die Regeln macht.

Sebastian Moll[New York]

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