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Sport: „Die Grenze ist überschritten“

Wilfried Kindermann über die Belastbarkeit der Fußball-Profis und die Doping-Gefahr

Herr Kindermann, was ist gesünder: Urlaub oder eine gute Vorbereitung?

Beides ist wichtig. Die deutschen WM-Spieler hatten drei Wochen reinen Urlaub. Das ist das Minimum. Das größere Problem liegt im richtig dosierten Aufbautraining. Es gilt, den richtigen zeitlichen Einstieg zu finden. Wenn man den Eindruck hat, dass ein Nationalspieler nicht richtig fit ist, muss der Trainer den Mut haben, diesen Spieler draußen zu lassen. Mein Eindruck ist der, dass die meisten Spieler sehr behutsam in den Trainingsprozess eingeführt worden sind.

Das hört sich besser an als es ist: Fast 50 Spieler der Ersten Fußball-Bundesliga sind verletzt, einige zum Teil schwer. Ist das ein Zufall?

Zumindest ist es keine so ganz neue Situation. Wenn ich allerdings höre, dass der eine oder andere einen Muskelfaserriss hat, dann drängt sich bei mir der Verdacht auf, dass zu hart trainiert worden ist, oder dass man zu viel wollte. Andere Verletzungen, wie die der Bänder, sind meist Zweikampfverletzungen, die kaum zu vermeiden sind im Fußball.

Verletzungen in Testspielen sind besonders ärgerlich, weil es um nichts geht.

Das sehe ich anders. Testspiele sind sogar enorm wichtig. Man kann eine Wettkampfsituation durch kein Training ersetzen. Das ist wie bei einem Auto. Nach einer Ruhephase muss der Motor erst einmal richtig durchgepustet werden. Durch die besondere Atmosphäre eines Wettkampfes merkt man die Belastung nicht so und geht über seine Grenzen. Man kommt in Bereiche, die sie im Training nicht nachstellen, nicht simulieren können. Das ist schon hormonell bestimmt. Man fühlt sich kaputt und denkt, überhaupt noch nicht trainiert zu haben.

. . . und verletzt sich. Sollte ein Spieler im Urlaub nicht lieber ein paar Kilos in Kauf nehmen, dafür aber mental erfrischen?

Jeder Spieler sollte im Urlaub völlig abschalten und lediglich lustbetont Sport treiben. Das mentale Regenerieren hat absoluten Vorrang. Dann schon lieber einen Abfall der Leistungsfähigkeit in Kauf nehmen. Ich würde einem Spieler niemals Aufgaben erteilen. Ich würde sagen: Schalte du vom Kopf her völlig ab. Dann kommt er nämlich mental frisch zum Training und kann problemlos seine physische und psychische Spannung wieder aufbauen.

Wieviel Spiele kann ein Spieler unbeschadet überstehen?

Die magische Zahl ist 60. Das ist das, was man gerade noch aushalten kann. Das variiert natürlich von Spieler zu Spieler. Wenn ich beispielsweise den Salihamidzic von Bayern München nehme, der kann sicherlich 60 Spiele überstehen, weil er sehr robust ist und über eine hervorragende körperliche Fitness verfügt. Da gibt es aber auch andere, die sind schon nach 40, 50 Spielen kaputt.

Bei der WM waren viele internationale Stars müde oder aber wirkten platt.

Vielleicht war das mal nötig. Ich weise seit Jahren darauf hin, dass man Wettbewerbe reduzieren muss. Ich bin jahrelang gegen Wände gerannt.

Wo sollte reduziert werden?

Am ehesten taugt die Champions League dazu, und hier die Zwischenrunde, die niemand wollte; nicht die Trainer, nicht die Spieler und nicht die Fans. Aber sie hat eben Geld gebracht. Sie ist meines Erachtens nur ein Tanz ums goldene Kalb.

Ist die Grenze der Belastbarkeit erreicht?

Sie ist längst überschritten. Das haben jetzt sogar die Fußballweisen erkannt, die nun versuchen, das Rad zurückzudrehen. Die WM hat allen gezeigt, dass es so nicht weitergeht, dass viele Spieler überbeansprucht waren und daher ihre Leistungen nicht abrufen konnten. Das ging zwangsweise zu Lasten der Qualität.

Dann blieb eben nichts anderes übrig, als bestimmte Spieler fitzuspritzen oder, wie im Fall Michael Ballack, sie unter Schmerzmitteln spielen zu lassen...

Vorsicht! Mit dem Ausdruck des Fitspritzens wird zu inflationär umgegangen. Man muss differenzieren. Nehmen wir Ballack: Bei diesem Spieler war es so, dass er eine Prellung hatte. Die kann sehr wehtun. Da kann man es sich durchaus mal leisten, ein Schmerzmittel zu nehmen, weil das niemandem schadet. Aber wenn man beispielsweise oft in die Nähe der Achillessehne spritzt, weil dort eine Entzündung sitzt, dann kann tatsächlich etwas kaputtgehen. Bis hin zum Riss. Und dann ist noch die Frage, wann mache ich so etwas. Bei einer WM muss es schon mal erlaubt sein, so etwas zu machen.

In anderen Sportarten führen die höher werdenden Anforderungen zum Gebrauch von Doping. Ist die Bundesliga ein dopingfreier Raum?

Es gibt keinen dopingfreien Raum. Es ist eine Illusion, Doping ausrotten zu können. Die Kommerzialisierung im Sport führt zu einer Wettkampf-Inflation und die führt zu einer erhöhten Dopingbereitschaft. Es kann nur darum gehen, Doping so gering wie möglich zu halten. Wenn aber in der einen Sportart mehr und in der anderen weniger gedopt wird, dann hängt das mit der Sportart selbst zusammen. Denken Sie nur an die klassischen Ausdauersportarten. Ich will jetzt nicht behaupten, im Fußball brächte Doping nichts. Fußball bietet weniger Chancen, die Leistung zu manipulieren wie im Skilanglauf oder Radsport beispielsweise.

Warum?

Es gibt heute keinen Zweifel daran, dass man mit Epo die Leistung so steigern kann, dass unter gleichstarken Sportlern derjenige, der nicht gedopt hat, überhaupt keine Chance hat. Das ist im Fußball nicht der Fall. Würde sich ein Spieler mit Epo dopen, würde er das Spielfeld wie eine Nähmaschine hoch und runter rasen. Wenn er aber nicht das technische und taktische Rüstzeug hat, bleibt er trotzdem chancenlos.

Wird im deutschen Fußball gedopt?

Doping ist ein generelles Problem. Es gibt auch keine Gesellschaft, die frei von Kriminalität ist, obwohl jede Gefängnisse hat. Man muss das Risiko hochhalten, erwischt zu werden. Aber noch einmal: In den zehn Jahren, in denen ich die deutsche Fußballnationalmannschaft betreut habe, hatten die Spieler eine unglaubliche Angst, dass sie irgendetwas nehmen oder bekommen, was möglicherweise verboten ist. Ich bin überzeugt davon, dass es immer mal wieder einen geben wird, der gedopt hat. Wenn sich ein Spieler überlastet fühlt, dann greift er zu jedem Strohhalm. Dann kann es auch passieren, dass er zum Doping-Strohhalm greift. Aber ein systematisches Doping schließe ich aus.

Ein anderes Gift für die Gesundheit der Fußballer könnte die Kirch-Krise sein. Haben Sie schon ein Gegenmittel?

Ich bin mir nicht sicher, ob wir das brauchen. Vielleicht wirkt die Krise positiv auf das Bewusstsein eines jeden Spielers, der sich jetzt sagt: Ich muss meine Leistung bringen, jeden Tag, ich kann mich nicht auf Kosten der anderen hängen lassen. Von der Seite her können wir vielleicht sogar bald bessere Spiele sehen. Ich will aber nicht ausschließen, dass nicht jeder Spieler von der Psyche gleich gut mit diesem Problem klarkommt.

Das Gespräch führte Michael Rosentritt

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