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Sport: Die Grenzen des Selbstbewusstseins

Hannah Stockbauer gilt als Hoffnungsträgerin bei der WM – und mag diese Rolle nicht

Barcelona. Hannah Stockbauer hatte am Montagvormittag Bauchweh. Es war nicht weiter schlimm, sie ist das gewöhnt. Der Magen drückt immer bei einem 1500-m-Freistil-Rennen. So ab 1000 m ungefähr beginnt es, das Bauchweh. Hannah Stockbauer hat sich trotzdem qualifiziert für den Endlauf bei den Schwimm-Weltmeisterschaften in Barcelona. Die 1500-m- Distanz ist ja eine ihrer Hauptstrecken, sie verteidigt den WM-Titel auf der längsten Wettkampfstrecke im Becken. Aber im Finale, am Dienstagabend, sagt sie, „da muss man unter 16 Minuten schwimmen, um eine Medaille zu holen“. Ihre Bestzeit liegt bei 16:01,02 Minuten. „Es wird ein ganz hartes Rennen“, sagt sie.

Sie kann die 16-Minuten-Marke unterbieten. Sie sagt das nicht triumphierend, eher so, als würde sie mitteilen, dass sie ihr Auto ohne Schrammen in die Garage fahren kann. „Ich habe in diesem Jahr 3000 Kilometer trainiert, deshalb bin ich sicher, dass ich das kann.“ Für sie ist das Ganze eine einfache Gleichung: gute Vorbereitung gleich gute Leistung. Deshalb wusste sie auch über 400 m Freistil am Sonntag, dass sie nach ihrer sehr schnellen Durchgangszeit bei 100 m nicht einbrechen würde. Dass sie am Ende aber Weltmeisterin werden würde, das ahnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. „Ich war tierisch überrascht“, sagt sie. Die 400 m sind für Langstreckenschwimmer im Becken eigentlich so etwas wie eine Distanz zum Warmmachen für die lange Strecke. Für Stockbauer wurden die 400 m zur Demonstration.

Man kann Hannah Stockbauer aus Erlangen, 21, Geographiestudentin und im Herzen überaus bodenständig, als Getriebene bezeichnen. Seit einem Jahr hat sie das Gefühl, dass sie etwas gut zu machen hat. Gegenüber sich, gegenüber ihrem Trainer Roland Böller und vor allem gegenüber einer Öffentlichkeit, die plötzlich mit einem seltsam schillernden Schwimmsternchen Stockbauer konfrontiert worden war. Stockbauer, fast nackt im weichen Sand, Stockbauer mit verführerischem Blick, Stockbauer in Hochglanzmagazinen. Ihre überraschenden WM-Titel von 2001 (800 und 1500 m Freistil) haben sie in die Schlagzeilen gehievt. Sie wehrte sich nicht dagegen, dass sie zu einer neuen Franziska van Almsick gepusht wurde, und brach dann, überfordert vom Rummel um Fotos und Sponsorenterminen und von Schulstress geplagt, 2002 ein. Ausgerechnet bei der Europameisterschaft in Berlin, wo der wahre Star der Szene, Fransiska van Almsick, mit ihrem 200-m-Freistil-Weltrekord den spektakulärsten Auftritt ihrer Karriere hatte. Stockbauer wurde Dritte über 800 m Freistil und Siebente über 400 m Freistil, sie verschwand völlig im Schatten der anderen. Ein Sponsor sprang ab, der genervte Trainer Böller stand kurz vor einem Wechsel zum hessischen Verband, und Stockbauer wusste, dass sie jetzt etwas ändern musste. Also nahm sie sechs Kilogramm ab, lehnte fast alle PR- und Presseanfragen ab, steigerte das Trainingspensum erheblich und feiert nun die zehnjährige Zusammenarbeit mit Böller.

Sie gilt nun als Hoffnungsträgerin. Es musste ja so kommen: Sie ist die Frau, die nun alles richten soll bei dieser WM. Den ersten Titel hat sie gewonnen und soll nun weitere Medaillen holen. „Aber ich sehe mich nicht als Hoffnungsträgerin“, sagt sie. Ihr Selbstbewusstsein stößt ganz offensichtlich an Grenzen, sobald sie eine Rolle spielen soll, die ihr zu groß erscheint. Sie hat ihr Ziel erreicht, sie hat eine Leistungsdemonstration geliefert, ihr reicht das wohl erst mal. Die Mama – „meine beste Freundin“ – hat ihr persönlich gratuliert nach dem WM-Sieg, weil die Mama in Barcelona ist. Der Papa hat mit ihr telefoniert, 20 SMS sind eingelaufen, Hannah Stockbauer will jetzt erst alles ein bisschen einsortieren. Aber die Zeitungen wird sie wieder intensiver lesen, „im vergangenen Jahr habe ich das ja nicht so gemacht“.

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