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Sport: Die große Revanche

Der Australier Ian Thorpe gewinnt das Schwimmrennen der Superstars über 200 Meter Freistil

Der Schrei, der gestern um 19.47 Uhr Ortszeit aus dem olympischen Schwimmstadion in den tiefblauen Himmel über Athen drang, wird via Fernsehen auch gut hörbar bis hinunter nach Australien gedrungen sein. Früh am Morgen war es in diesem Moment am anderen Ende der Erdkugel, dort wo seine Landsleute statt zu schlafen lieber live ihren Schwimmheroen beim Medaillensammeln im fernen Europa zusahen.

Beim ersten warmen Kaffee konnten die Australier die Metamorphose des Ian Thorpe verfolgen, ihres Schwimmhelden. Nach dem Erfolg über 400 m Freistil am Samstag hätte der 21-Jährige vor Rührung fast noch das Atmen vergessen. Aber alles, was Thorpe da noch an Gefühlen zurückgehalten hatte, ließ er jetzt, nach seinem Triumph über 200 m Freistil, aus sich heraus. Und gleichzeitig mit dem lauten Schrei entschwand auch die Erinnerung an die schmerzvolle Niederlage bei seinen Heimspielen in Sydney vor vier Jahren. Der dürre Kollege Pieter van den Hoogenband aus den Niederlanden hatte ihm damals besiegt. Aber jetzt gelang ihm beim Gigantentreffen bei den olympischen Schwimmwettbewerben die große Revanche – mit einem großen Finish gewann er seine zweite Goldmedaille.

Das Starterfeld hätte prominenter nicht besetzt sein können: Thorpe, van den Hoogenband, der US-Amerikaner Michael Phelps. Und als dann alle losgeschossen waren, führte immer nur einer: Pieter van den Hoogenband. Nach 50 Metern, nach 100 Metern, nach 150 Metern. Aber nicht ganz am Schluss. Da schrie Thorpe, während van den Hoogenband rechts neben ihm erst mit einem gequälten Grinsen an der Trennleine hing, den Kollegen dann entschlossen in die Arme nahm und ihm ein paar Worte ins Ohr flüsterte.

Fast hätte US-Jungstar Phelps van den Hoogenband sogar noch die Silbermedaille entrissen, blieb letztlich aber neun Hundertstelsekunden zurück und wurde erneut nur Dritter. Nach Rang drei mit der 4x100-m-Staffel der USA am Abend zuvor war dies der nächste verpasste Olympiasieg für den längst gescheiterten Jäger von Rekordschwimmer Mark Spitz, den siebenmaligen Olympiasieger von München. Diese Marke kann Phelps nicht mehr einstellen.

Im Gegensatz zu dem Amerikaner macht Ian Thorpe in den olympischen Einzelrennen deutlich: Sein Vorsatz „Ich will sie alle schlagen“ war kein leeres Geschwätz. Der Mann ist in Athen fit wie noch nie. Ihm zu Ehren stimmten die versammelten Teamkollegen nach dem Rennen auf der Tribüne denn auch die inoffizielle australische Nationalhymne „Waltzing Mathilda“ an.

Ian Thorpe hat jetzt alle Möglichkeiten, der Held der Olympischen Spiele in Athen zu werden. In Sydney gewann er ein Einzelrennen, jetzt bereits deren zwei. Als er am Montagabend irgendwann bei den entrückten australischen Journalisten in der Pressebox angekommen war, überraschte Thorpe die akkreditierte Öffentlichkeit mit der Mitteilung, er habe sich an diesem Abend gar nicht gut gefühlt. „Es war hart, ich bin irgendwie in das Rennen gestolpert.“ Die Konkurrenten dürften solche Sätze wohl als Frechheit auslegen. Vor allem Pieter van den Hoogenband, der das Rennen lange dominiert hatte.

Thorpe war längst verschwunden, als der Niederländer an der australischen Journaille vorbeischleichen wollte. So leicht ließ ihn die an diesem Abend allerdings nicht entwischen. „Was hast du Ian ins Ohr geflüstert?“ schrieen sie ihm zu. Pieter van den Hoogenband überlegte kurz, ob er antworten sollte. Dann gab er sein Geheimnis preis: „Ich habe ihm gesagt: Jetzt sind wir quitt.“

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