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Sport: Die kleine Depression

Gabor Kiraly gibt psychische Probleme zu und geht

Berlin - Am Heiligen Abend, kurz vor der Bescherung, hat Gabor Kiraly eine wichtige Entscheidung getroffen. Die Weihnachtstage mit ihrer stillen Beschaulichkeit sind für viele Menschen ein guter Anlass, über das Leben als solches nachzudenken. Bei Kiraly, dem ungarischen Torhüter von Hertha BSC, war das vor einem halben Jahr genauso. Eine Woche zuvor hatte er mit seinem Verein 0:3 beim 1. FC Köln verloren, Kiraly hatte das letzte Gegentor verschuldet, und die Niederlage, so hat der Ungar gestern zugegeben, hat ihn stärker mitgenommen, als er es bis dahin gewohnt war. „Ich hatte eine kleine Depression“, sagt Kiraly. Am Heiligen Abend beschloss er dann, Hertha nach dieser Saison, seiner siebten in Berlin, zu verlassen.

Wo der ungarische Nationaltorhüter ab Juli spielen wird, ist noch offen. Fest steht nur, dass er nach England geht. In dieser Woche hat der 28-Jährige ein Probetraining beim FC Liverpool bestritten, es gibt auch noch vier andere englische Klubs, mit denen er in Kontakt steht. Anfragen hat er auch aus Spanien und von einem Traditionsverein aus der Bundesliga bekommen.

„Das ist keine Flucht. Ich muss nicht weglaufen“, sagt Kiraly. „Es war sensationell in Berlin.“ Nach Herthas Aufstieg hatte Trainer Jürgen Röber ihn – zunächst als zweiten Torhüter – aus Ungarn zur Hertha geholt. Seitdem hat Kiraly 197 Bundesligaspiele bestritten, das letzte beim 1. FC Köln. In der Rückrunde, unter dem neuen Trainer Hans Meyer, saß der Ungar nur noch auf der Bank. Seitdem hat sich Kiraly nicht zu seiner Situation geäußert, hat keine Interviews gegeben und zu Journalisten nicht viel mehr gesagt als „Guten Tag“. Aus Enttäuschung über den Verlust seines Stammplatzes, hatte man bisher vermutet. Doch Kiraly sagt: „Hans Meyer hat die richtige Entscheidung getroffen. Er war sehr korrekt zu mir.“

Kiraly selbst war in den Weihnachtsferien zu der Erkenntnis gelangt, dass er eine Auszeit brauche. „Dieter Hoeneß wusste das“, sagt er. Das Training bei Hertha diente ihm nur dazu, sich körperlich fit zu halten. In erster Linie ging es für Kiraly darum, „ dass ich meinen Kopf frei kriege“. Psychologische Hilfe habe er nicht in Anspruch genommen. „Ich musste das selbst schaffen“, sagt er. Seine Familie habe ihm geholfen, „meine Tochter war Weltklasse“.

Kiraly ist bereits der dritte Fußballer, der sich in dieser Saison öffentlich zu psychischen Problemen bekannt hat. Der Tscheche Jan Simak (Hannover 96) hat deswegen seit dem Herbst nicht mehr gespielt. Sebastian Deisler, Kiralys früherer Kollege bei Hertha BSC, kam am vergangenen Wochenende nach siebenmonatiger Pause zum ersten Mal wieder für den FC Bayern München zum Einsatz. Acht Wochen lang war Deisler wegen seiner Depressionen in einer Spezialklinik behandelt worden.

Geholfen hat Kiraly vor allem die Begegnung mit seinem Landsmann Gyula Grosics. Der stand Anfang der Fünfzigerjahre im Tor der ungarischen Wundermannschaft, die in vier Jahren nur ein einziges Spiel verlor – das WM-Finale 1954 gegen Deutschland. „Er kennt die Situation“, sagt Kiraly. Grosics hat mal über das Finale gesagt: „Das Spiel ist 50 Jahre her, aber wenn jemand mich morgen früh aufweckt und mich daran erinnert, könnte ich in Tränen ausbrechen.“

Zu seinem Nachfolger Kiraly sagte Grosics: „Du musst das allein schaffen, oder du kommst nie zurück.“ Ein Torwart könne sich nicht hinter einem anderen verstecken. Dreimal hat Kiraly Grosics in den vergangenen Monaten getroffen. Beim dritten Mal fragte der: „Gabor, hast du es verstanden?“ Ja, sagte Kiraly. „Dann hat er in meine Augen geguckt: Nein, du hast es nicht verstanden.“

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