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Sport: „Die Kriminalität ist in den Hirnen“

Dopingexperte Werner Franke über Manipulation bei Olympia in Athen, lange Fingernägel und die Jagd der Kontrolleure

Herr Franke, noch nie wurden bei Olympischen Spielen so viele Sportler des Dopings überführt wie in Athen. Gibt das Anlass zur Hoffnung?

Die Dopingbekämpfung wird jetzt geradezu gefeiert. Das ist lächerlich. Jeder weiß doch, dass vor allem in der Trainingsphase, der Muskelaufbauphase, gedopt wird, bis spätestens drei Wochen vor einer Veranstaltung. Dann wird Doping abgesetzt und ist nicht mehr nachweisbar. Jetzt wurden nur noch dumme Leute erwischt oder frivole, die glauben, dass sie durchkommen, weil sie immer durchgekommen sind.

Wie oft haben Sie vor dem Fernseher gesessen und sich über Leistungen gewundert?

Manchmal habe ich nur noch gelacht. Über die griechische 400-Meter-Hürdenläuferin Fani Halkia zum Beispiel. Das riecht einfach nach Epo…

… dem Blutdopingmittel Erythropoetin, das die Ausdauerleistung steigert…

… und beim Diskus-Olympiasieger Robert Fazekas. Da weiß man schon seit zwei Jahren, dass er dopt. Aber glauben Sie denn, dass im Diskuswerfen und im Hammerwerfen nur die Sieger gedopt waren und die anderen nicht? Bei diesen Olympischen Spielen sind doch nur einzelne Fälle aufgedeckt worden, Überbleibsel und noch dazu bei Sportverbänden, von denen man keine Gegenwehr erwarten kann. Das war schon 1988 so.

Sie meinen bei Ben Johnson, dem Olympiasieger von Seoul?

Ja, er ist als Einziger im Sprint erwischt worden, und er ist Kanadier. Bei den amerikanischen Basketballspielern gab es aber auch einen positiven Dopingfall. Nur fiel der unter den Tisch, weil die Einschaltquoten des amerikanischen Fernsehens nicht gefährdet werden sollten.

Immerhin haben die griechischen Sprinter Kenteris und Thanou diesmal nicht mehr folgenlos vor den Dopingfahndern flüchten können, und immerhin hat das Internationale Olympische Komitee (IOC) diesmal drei Olympiasiegern die Goldmedaille aberkannt.

Ja, aber warum haben sie denn den Hammerwurf-Olympiasieger Adrian Annus erst nachher gekriegt? Weil er Urinproben unterschiedlicher Herkunft abgegeben hatte und sie vorher nicht richtig geguckt haben. Es gibt eben Möglichkeiten zur Manipulation bei der Urinprobe. Zum Beispiel durch Katheter oder durch Vaginalsäckchen bei Frauen. Den Frauen wird ein Blumenstrauß überreicht, in dem die Säckchen mit Fremdurin versteckt sind. Bei der Probe wird das Säckchen in der Vagina mit dem Fingernagel angeritzt. Deshalb haben die Sprinterinnen so lange Fingernägel.

Würden vermehrte Blutkontrollen das Problem lösen?

Nicht unbedingt, denn anabole Steroide sind im Urin einfach besser nachweisbar. Man müsste zum Urin noch eine Haarprobe nehmen, dann kann man überprüfen, ob die DNA übereinstimmt.

Kann die Welt-Anti-Dopingagentur etwas ausrichten gegen den Sportbetrug?

Sie ist nicht unabhängig. In die Wada werden nach wie vor Leute von den Sportverbänden gewählt, und ihre Mitarbeiter werden von den Sportverbänden bezahlt. Es reicht auch nicht, dass IOC-Präsident Jacques Rogge da ist, es gibt doch noch all die alten. Die Kriminalität ist in den Hirnen.

Müsste es eine Art Anti-Dopingpass geben, der ausweist, wann Sportler mit welchem Ergebnis getestet worden sind?

Auf jeden Fall. Aber insgesamt finden weltweit viel weniger Kontrollen statt, das ist entscheidend, vor allem in den wichtigen Trainingslagern. Welcher Kontrolleur fährt denn schon nach Portugal, Südafrika oder Kalifornien? In ukrainischen Sportschulen kommt doch niemand vorbei, in Kasachstan auch nicht. Die Kenianer trainieren irgendwo im Atlasgebirge. Wenn ein Kontrolleur des Internationalen Leichtathletik-Verbandes am nächstgelegenen Flughafen landet, bekommen die sofort einen Anruf und können abhauen.

Gerade deshalb beschweren sich auch viele Deutsche, dass sie einen Wettbewerbsnachteil haben.

Die sollen die Schnauze halten. Keine Nation hat so viel zur Perfektionierung des Dopingsystems beigetragen wie Deutschland, Ost und West. Außerdem fahren auch viele deutsche Sportler weit weg in Trainingslager, wo sie nur schwer zu erreichen sind.

Hat es denn keinen Fortschritt gegeben durch diese Spiele?

Ich erwarte eher, dass sich durch den Prozess gegen das kalifornische Chemielabor Balco etwas bewegt. Danach werden viele Sportler in anderem Licht erscheinen, Marion Jones zum Beispiel. Es gibt schließlich Aussagen ihres früheren Ehemanns C.J. Hunter und ihres Lebensgefährten Tim Montgomery. Und trotzdem wird die Dame immer noch vorteilhaft dargestellt. Aus den Unterlagen geht auch hervor, dass die amerikanischen Leichtathleten einen Informanten im kalifornischen Doping-Kontrolllabor hatten.

Wie konnte es sein, dass Marion Jones nie positiv getestet wurde?

Es gab regelmäßig Kontrollen vor Wettkämpfen durch die Firma Quest Diagnostics und Victor Uralets. Er war Chemiker des russischen Doping-Kontrolllabors. Die Kontrollen liefen bei Jones so wie die früher in der DDR und in der Sowjetunion. Wer über den Werten lag, durfte nicht mit. Die investieren jährlich bis zu 350 000 Dollar, um diese Absicherungsmessungen vorzunehmen. Das ist das, was Professor Helmut Digel, der Vizepräsident des Internationalen Leichtathletik-Verbandes, „Herandopen“ nennt. Man nähert sich immer mehr der Grenze des Erlaubten, und hat doch nie eine positive Probe.

Was müssen wir für die Olympischen Spiele 2008 in Peking befürchten? Zurzeit sind die Chinesen zwar nicht im Brennpunkt der Dopingdiskussion, aber in den Neunzigerjahren fielen sie durch zum Teil riesige Leistungssprünge auf.

Es sind auch viele erwischt worden. 1994 in Rom bei der Schwimm-Weltmeisterschaft haben die Chinesen zwölf Titel gewonnen. Wenige Wochen später bei den Asienspielen in Hiroshima haben japanische Dopingkontrolleure die Chinesen gleich am Flughafen abgepasst. Es gab sieben positive Fälle. Das hat die Chinesen beeindruckt. Aber es ist schwer, die Chinesen zu testen, allein schon, weil die Kontrolleure ein Visum brauchen. Und wenn ein Kontrolleur die Chinesen im Gebirge testen will, muss er erst vom Flughafen 1000 Kilometer fahren. Es ist ein einziges Versteckspiel.

In diesem Versteckspiel scheinen die Kontrolleure immer zu verlieren.

Weil sie nicht entsprechend vorgehen. Die Kontrolleure müssten einreisen wie Touristen, nicht als Offizielle. Warum hat denn der deutsche Dopingfahnder Klaus Wengoborski so viele erwischt, Katrin Krabbe etwa? Warum hat er die Kenianer so kontrollieren können? Weil er nicht am Flughafen ankam, sondern mit dem Auto über Algerien eingereist war. Man muss kriminalistisch vorgehen. Wengoborski war vorher Kriminalinspektor. Aber die meisten Kontrolleure kommen aus den Kumpelkreisen des Sports.

Das Gespräch führte Friedhard Teuffel

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