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Sport: Die Kunst der Selbstbeeinflussung

Bundestrainer Jürgen Klinsmann redet seine Mannschaft vor dem Spiel in Frankreich stark

Manchmal ist das menschliche Gedächtnis mit all seinen Schwächen ein großer Segen. Michael Ballack zum Beispiel hat gestern freudig auf die Lücken in seinem Gedächtnis verweisen können. Er war zum vorerst letzten Länderspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Frankreich befragt worden. „Die Erinnerung ist nicht mehr ganz so groß“, antwortete er. Dass ihn gnädiges Vergessen ereilt hat, ist vermutlich kein Zufall, denn die deutsche Mannschaft wurde damals, im Februar 2001, böse vorgeführt von den Franzosen. Die Kritik richtete sich nach dem 0:1 vor allem gegen Ballack, dem, zum wiederholten Male, sein nonchalantes Auftreten vorgehalten wurde. Heute, da die Nationalmannschaft in der Werbekampagne ihres Ausrüsters nur noch als „Ballack plus zehn“ firmiert, mag man sich das gar nicht mehr vorstellen; jedenfalls sind alle heilfroh, dass Ballack am Samstag im Stade de France (21 Uhr, live im ZDF) nach seiner Verletzungspause wieder für Deutschland zum Einsatz kommt.

An Ballacks Stellung innerhalb der Nationalmannschaft ist abzulesen, dass in den vergangenen viereinhalb Jahren eine Menge passiert ist; nur eines hat sich nicht geändert: Seit Februar 2001 haben die Deutschen gegen die so genannten Großen aus dem Weltfußball nur noch verloren. Das 0:1 in Paris war der Beginn einer Serie von jetzt 15 sieglosen Spielen, die langsam die Form einer Psychose annimmt. Das Thema verfolgt Bundestrainer Jürgen Klinsmann inzwischen ebenso hartnäckig wie seinen Vorgänger Rudi Völler, trotzdem sagt er: „Wir wollen was reißen und sind sehr zuversichtlich.“

Es ist nicht neu, dass Jürgen Klinsmann seinen Optimismus offensiv zur Schau trägt. Trotzdem wurde er gestern darauf angesprochen, dass er einen sehr optimistischen Eindruck mache. Der Eindruck täuschte. „Wir sind optimistisch“, sagte Klinsmann. Nach den jüngsten Länderspielen mit ebenso dürftigen Auftritten wie Ergebnissen kann das eigentlich gar nicht sein und auch die letzten Vergleiche mit Frankreich geben wenig Anlass zur Zuversicht. Seit 1996 haben die Deutschen dreimal hintereinander nicht einmal ein Tor gegen die Franzosen erzielt. Zudem muss Klinsmann am Samstag auf den am Rücken verletzten Christoph Metzelder verzichten, der mit Per Mertesacker die Innenverteidigung bilden sollte.

Klinsmanns Optimismus drückt in diesen Tagen eine gewisse Autosuggestion aus: Die Aufgeregtheit rund um die Nationalmannschaft ist durch den Krisengipfel mit der Bundesliga vorerst befriedet worden. „Wenn die Dinge gut laufen, wird es weniger Nebengeräusche geben“, sagt Klinsmann. Was allerdings passiert, wenn die Dinge nicht gut laufen, kann man sich ungefähr ausmalen. Anders als nach den Rückschlägen in der Slowakei und der Türkei hätte die Mannschaft diesmal nicht die Gelegenheit, postwendend zu reagieren. Stattdessen müsste sie fast vier Monate auf die Chance zur Rehabilitation warten, und zwar wieder in einem Auswärtsspiel und wieder gegen einen großen Gegner (Italien).

„Es wäre sehr wichtig, mit einer sehr guten Leistung in diese längere Pause zu gehen“, sagt Klinsmann. „Damit man die Dinge positiv im Hinterkopf behält.“ Von der erfreulichen Stimmung des Confed-Cups sind nur noch Reste vorhanden, doch der Bundestrainer hat nun die Trendwende ausgerufen. Bei den Spielern sei jetzt „Schritt für Schritt mehr Frische“ zu beobachten, „sie sind engagierter in ihren Klubs“, und überhaupt habe er eine gute Mannschaft mit viel Potenzial zur Verfügung. Schade eigentlich, dass das Länderspieljahr mit dem Sieg gegen Frankreich schon zu Ende ist.

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