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Sport: Die Last des Vorteils

Deutschlands Biathleten sehen sich bei der WM in Oberhof unter besonderem Druck

Berlin. Norweger müsste man sein. Und Biathlet. Wenn man dann noch Erfolg hat, „darf man sich vor den König stellen“, sagt Frank Ullrich. Der Bundestrainer der deutschen Biathleten erzählt es lachend, aber ein bisschen Neid schwingt wohl auch mit. Wo der König einen Biathleten empfängt, da genießt dieser Winter-Zweikampf enorm hohes Ansehen, höheres als in Deutschland, obwohl Biathlon hierzulande boomt. Aber es ist eben kein Vergleich zu Norwegen. „Skilanglauf ist dort Volkssport Nummer eins wie bei uns Fußball“, sagt Ullrich, „fast das ganze Volk macht Langlauf.“ Auch deswegen, so Ullrichs Theorie, sind Ole Einar Björndalen, Halvard Hanevold und ihre Landsleute den Deutschen – und nicht nur ihnen – läuferisch überlegen. Und es ist zu befürchten, dass sich daran auch bei der Weltmeisterschaft in Oberhof, die heute Abend eröffnet wird, nichts ändert. „Der Druck ist sehr groß. Eine Einzel- und eine Staffelmedaille wären optimal“, sagt Ullrich. „Es kann auch sein, dass wir gar keine Medaille gewinnen.“

Dann dürfte er allerdings Ärger mit Thomas Pfüller bekommen, dem Sportdirektor des Deutschen Skiverbands. Der nämlich ist anspruchsvoller als Ullrich und als Damen-Trainer Uwe Müßiggang, der ebenfalls eine Einzel- und eine Staffelmedaille aus fünf Rennen als Ziel ausgibt. Die Trainer versuchen, den Druck von den Sportlern zu nehmen und reden vorsorglich die Konkurrenz stark. Doch darauf lässt Pfüller sich nicht ein. Er erwartet von Frauen wie Männern je drei Medaillen. Vier Medaillen in zehn Rennen, „das kann nicht unser Anspruchsniveau sein“, sagt er zu den Vorgaben der Trainer. Schließlich waren die Deutschen mit sieben Medaillen, darunter drei goldenen, bei der WM 2003 in Chanty Mansijsk in Sibirien die erfolgreichste Nation. Damals hing allerdings sehr viel an einem Mann: an Weltmeister Ricco Groß, der vier Medaillen gewann, drei im Einzel und eine mit der Staffel. Die weiteren Medaillen steuerten Sven Fischer, Martina Glagow und die Damen-Staffel bei.

Auch Pfüller sieht die Überlegenheit des norwegischen Herrenteams in der Loipe, „es ist immer schwer, wenn man darauf warten muss, dass die Norweger mehr Fehlschüsse haben als man selbst“. Und dass tun sie in dieser Saison bislang selten. Groß und Fischer könnten am ehesten mit den Skandinaviern mithalten, „ich glaube, beide gewinnen eine Medaille“. Fischer feierte in Antholz, beim letzten Wettkampf vor der WM, den ersten Weltcupsieg der deutschen Männer in diesem Winter, Groß wurde in Antholz dreimal Dritter. „Da ist für Oberhof nach vorne noch etwas Luft“, scherzte er.

Bei den Männern hängt fast alles von Groß und Fischer ab, bei den Frauen hingegen „sollte jede, die an den Start geht, in der Lage sein, um eine Medaille zu kämpfen“, sagt Müßiggang. Uschi Disl und Martina Glagow, die Gewinnerin des Gesamtweltcups, liefen in dieser Saison beide einmal auf Rang eins. 13-mal erkämpften sich die deutschen Frauen in einem Einzelrennen einen Platz unter den ersten drei – siebenmal davon stand Uschi Disl auf dem Podest. Allerdings zeigte sie mehrfach am Schießstand Nerven. Tausende lärmende Zuschauer könnten sie zusätzlich verunsichern, „der Heimvorteil ist eher eine Heimlast“, befürchtet sie.

Beim ersten Rennen, dem Sprint über 7,5 Kilometer am Sonnabend, sollen Disl, Glagow, Olympiasiegerin Kati Wilhelm und Katrin Apel zum Einsatz kommen. Der formschwachen Olympiasiegerin Andrea Henkel bleibt zunächst nur die Zuschauerrolle, wie auch dem zehnmaligen Weltmeister Frank Luck. Er belegte in den letzten Monaten nur noch hintere Plätze. Es ist durchaus denkbar, dass beide bei der WM gar keinen Wettkampf bestreiten dürfen. Henkels wie Lucks Hoffnungen ruhen auf dem Einzelrennen über 15 und 20 Kilometer. Dafür sind die Startplätze noch nicht vergeben. In diesen Rennen gibt es bei Fehlschüssen keine Strafrunden, sondern Strafminuten. Die Leistung am Schießstand ist wichtiger als die in der Loipe – und der Vorteil liegt ausnahmsweise einmal nicht bei den Norwegern. In dieser Disziplin liefen zuletzt in Antholz fünf Deutsche unter die ersten zehn.

Einen König, der zum Empfang bittet, wird es auch für einen mit Gold behängten Deutschen nicht geben. Aber immerhin hat sich Bundeskanzler Gerhard Schröder angesagt für die Eröffnungsfeier in Oberhof heute Abend.

Helen Ruwald

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