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Sport: „Die Liga ist kaputt“

Der Skandal von 1971 und die Folgen für den Fußball

Berlin - Am 5. Juni 1971 erlebt die Fußball-Bundesliga eines der spannendsten Saisonfinale ihrer Geschichte. Vor dem letzten Spieltag liegt Bayern München mit einem einzigen Tor Vorsprung vor Borussia Mönchengladbach an der Spitze der Tabelle. Doch dann verlieren die Münchner überraschend 0:2 in Duisburg, Gladbach siegt zeitgleich 4:1 bei Eintracht Frankfurt und kann damit als erster Bundesligaklub seinen Meistertitel erfolgreich verteidigen. Einen Tag später ist von dieser sportlichen Entscheidung kaum noch die Rede. Was die Nation bewegt, hat sich wenige Stunden nach dem Saisonfinale nicht weit vom Frankfurter Waldstadion entfernt zugetragen.

Am 6. Juni 1971 feiert Horst-Gregorio Canellas, der Präsident des Bundesligisten Kickers Offenbach, im großen Stil seinen 50. Geburtstag. Die versammelte Fußball-Prominenz, darunter Bundestrainer Helmut Schön, hat sich in Canellas’ Haus in Offenbach eingefunden. Dass die Kickers tags zuvor aus der Bundesliga abgestiegen sind, trübt die Stimmung ein wenig. Doch niemand ahnt, dass es an diesem Tag noch schlimmer kommen wird. Um zwölf Uhr mittags bittet Canellas seine Gäste auf die Terrasse. Er zündet sich eine Zigarette an, setzt sich an den Gartentisch und lässt ein Tonband vorspielen.

Auf dem Band ist ein Telefonat zwischen Canellas und Bernd Patzke, dem Spieler von Hertha BSC, zu hören. Es geht um eine Spielabsprache, und es geht um Geld. Im Grunde bietet Canellas den Berlinern eine Siegprämie von 140000 Mark – für einen Erfolg gegen Arminia Bielefeld, den schärfsten Konkurrenten im Abstiegsfall. Patzke zeigt sich interessiert, sagt allerdings, dass Bielefeld mehr, nämlich 250000 Mark, geboten habe. Das Geschäft platzt. Danach ist Manfred Manglitz zu hören, der Torhüter des 1. FC Köln. Er verlangt 25000 Mark von Canellas, andernfalls werde er sich im Spiel gegen Rot-Weiss Essen, ebenfalls ein Konkurrent der Offenbacher, nicht besonders anstrengen. Bundestrainer Schön verlässt umgehend das Fest.

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und sein Chefankläger Hans Kindermann leiten Ermittlungen ein, in denen das ganze Ausmaß des Betrugs zutage tritt. Kindermann erhält später für seine unnachgiebige Aufklärungsarbeit die Goldene Ehrennadel des DFB. Seine Ermittlungen ergeben: Im Abstiegskampf sind mehrere Spiele manipuliert worden. Schalke und Hertha BSC haben absichtlich gegen Arminia Bielefeld verloren. Die Berliner Spieler bestreiten das bis heute. 53 Spieler, zwei Trainer und sechs Vereinsfunktionäre, darunter auch Canellas, werden vom Sportgericht bestraft, Bielefeld und Offenbach verlieren vorübergehend die Lizenz, die Arminia wird im Jahr darauf zum Abstieg verurteilt. Für die Schalker Spieler hat der Skandal auch noch ein Nachspiel vor einem ordentlichen Gericht. Weil sie die Manipulation unter Eid abgestritten haben, werden sie im Dezember 1975 wegen Meineids verurteilt.

Der Skandal erschüttert den deutschen Fußball und seine Glaubwürdigkeit. „Die Bundesliga ist kaputt“, sagt Horst-Gregorio Canellas, dessen Sperre auf Lebenszeit im Dezember 1976 klammheimlich wieder aufgehoben wird. In den Fußball kehrt er trotzdem nicht zurück. Nur noch einmal tritt Canellas öffentlich in Erscheinung. Am 13. Oktober 1977 sitzt er mit seiner Tochter in der Lufthansa-Maschine Landshut, die von palästinensischen Terroristen entführt und in Mogadischu von der Anti-Terror-Einheit GSG 9 gestürmt wird.

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