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Sport: Die Magie der Masse

Für die deutsche Nationalmannschaft hat das Dortmunder Stadion eine fast mythische Bedeutung

Sicher, es gibt schönere Orte. Und es gibt auch Gegenden in diesem Land, in denen derzeit schönerer Fußball geboten wird. Aber es gibt auch das andere Dortmund – dieses Dortmund! Dort, wo sie auf der Südtribüne stehen wie eine Wand. Wo sie den sprichwörtlichen zwölften Mann bilden, von jeher. Wo sie der großen Sache die große Emotion mit auf den Weg geben. Jenes Dortmund eben, wo eigentlich nie etwas schief gegangen ist für Deutschland. Statistisch gesehen. 32 Jahre lang hat das gestimmt. Bis zu dieser verflixten 119. Minute in dieser schwülen Nacht des WM-Sommers 2006, bis Grosso aus Palermo kam, ein Außenverteidiger. Es war der 4. Juli 2006, 23 Uhr 26, bis dahin war Deutschland in Dortmund unschlagbar.

Nun also wieder Dortmund, eine herrliche Arena. Die steilen Ränge, die gigantische Akustik. Groß an Lautstärke und groß an Gefühlen. Genau der richtige Ort für das WM-Qualifikationsspiel gegen Russland (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe beendet). „Wir haben Dortmund bewusst gewählt, da es für uns immer ein gutes Pflaster war und wieder sein soll“, sagte Oliver Bierhof, der Teammanager der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. „Wir brauchen die Stimmung in diesem tollen Stadion, die wir schon bei der WM 2006 gegen Polen oder im WM-Play-off 2001 gegen die Ukraine hatten. Das wollen wir nutzen, um in der WM-Qualifikation unsere Ziele zu erreichen.“ Dortmund ist wahrlich nicht irgendein Ort für den deutschen Fußball. Dortmund bietet zum 16. Mal die Bühne für ein Länderspiel. Die beiden ersten Auftritte einer deutschen Fußball-Nationalmannschaft fanden 1935 und 1967 noch im Stadion „Rote Erde“ statt, anschließend in der zur Weltmeisterschaft 1974 erbauten Arena.

Zwar gibt es Stadien, in denen die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) häufiger spielte, etwa in Berlin (41 Mal), Hamburg (32) oder München (21), aber für die jüngere Geschichte hat Dortmund mythische Bedeutung. In regulärer Spielzeit hat die deutsche Nationalmannschaft dort nie verloren. Diese Einschränkung muss seit der Weltmeisterschaft vor zwei Jahren gemacht werden. Die Mannschaft des früheren Bundestrainers Jürgen Klinsmann verlor das Halbfinale gegen Italien, allerdings erst in der Verlängerung, als Fabio Grosso und Alessandro Del Piero zwischen der 119. und 121. Spielminute für die Italiener trafen. Bis dahin verließ eine DFB-Auswahl in 14 Duellen 13 Mal als Sieger den Rasen, einmal spielte sie unentschieden.

Zwei Wochen vor dem besagten WM-Halbfinale hatte die deutsche Elf das wichtige Spiel gegen den vermeintlich stärksten Vorrundengegner Polen in allerletzter Sekunde gewonnen. Der späte Triumph galt als Initialzündung für den weiteren Turnierverlauf.

Nirgendwo sonst zeigt sich die Magie der Masse. Kommt der Angriff ins Stocken, schallen die Anhänger ermutigend: „Steht auf, wenn ihr Deutsche seid“ und erheben sich bis zum letzten Platz. Und wohl keine Fangemeinde harrt nach dem Abpfiff länger in der Arena aus, um seine Sieger zu feiern. Zweieinhalb Ehrenrunden drehte die deutsche Mannschaft nach dem Sieg gegen Polen, weil das frenetische Publikum ihre Helden mit endlosem Applaus und „Wir fahren nach Berlin“-Sprechchören bedachte.

Die Niederlage in der Verlängerung gegen Italien ist nicht mehr als ein Schönheitsfehler, der dem „Mythos Dortmund“ nicht wirklich etwas anhaben konnte. Allerdings denkt nicht jeder so pragmatisch wie Andreas Köpke. „Das Italien-Spiel haben wir vergessen“, sagt der Bundestorwarttrainer. Außerdem gebe es ja in der WM-Qualifikation keine Verlängerung. „Einen besseren Rückhalt kann man als Heimmannschaft nicht haben“, sagt Köpke. „Es gibt kein zweites Stadion in Deutschland, in dem der Heimvorteil so hörbar wird.“

Davon profitierten die deutsche Elf und ihre jeweiligen Trainer mehrfach. Das Spiel im März 2006 gegen die USA war langfristig ohne Hintergedanken geplant gewesen, ein normales Testländerspiel halt. Doch die kurz zuvor erlittene 1:4-Niederlage in Florenz gegen Italien machte aus dem Kick gegen die Amerikaner ein Schicksalsspiel für Jürgen Klinsmann. Die WM-Tauglichkeit des Gastgebers stand plötzlich in Frage, und mithin die Frage, ob Klinsmann überhaupt noch der Richtige sei. Das Spiel gegen die USA endete mit einem beachtlichen 4:1-Erfolg. Klinsmann konnte seine Arbeit so kurz vor der WM fortführen.

Auch Michael Ballack war im Vorfeld des Spiels gegen Russland in den hymnischen Gesang auf das Dortmunder Stadion samt seinem Publikum eingegangen. Es sei immer „etwas Besonderes“ in Dortmund zu spielen, hatte der Kapitän vor seinem 88. Länderspiel gesagt. „Es ist von der Atmosphäre her eines der besten Stadien in Deutschland.“ Dort habe „uns das Publikum schon mehrmals geholfen hat, wenn es mal nicht gleich so lief, oder etwas ganz Wichtiges anstand“.

Er selbst war vor ziemlich genau sieben Jahren dabei, als Deutschland in der Relegation zur WM 2002 gegen die Ukraine spielte. Das Hinspiel in Kiew endete 1:1, nur vier Tage später wurde das Rückspiel in Dortmund 4:1 gewonnen und ebnete den Weg, der für die Mannschaft des damaligen Teamchefs Rudi Völler erst im Finale von Yokohama mit dem 0:2 gegen Brasilien endete. Zu den Ausscheidungsspielen gegen die Ukraine kam es, weil Deutschland in der regulären WM-Qualifikation nur Platz zwei hinter England belegte. Wie auch diesmal qualifizierte sich nur der Gruppensieger direkt für die WM-Endrunde.

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