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Sport: Die Mühen der Ebene

Die deutsche Nationalelf kann nicht mehr auf die WM-Euphorie bauen – aber auf ein eingespieltes Team

Am Freitagvormittag hat Joachim Löw seine Mannschaft zu einem Museumsbesuch gebeten. Man könnte diesen Abstecher der deutschen Nationalspieler als die logische Fortsetzung der Klinsmann’schen Philosophie mit anderen Mitteln verstehen. Löws Vorgänger als Bundestrainer hatte viel Wert auf die Horizonterweiterung der Spieler gelegt. Sie sollten auch außerhalb des Fußballplatzes wachsen. Löw aber dürfte mit dem Bildungs-Spaziergang einen anderen Zweck verfolgt haben. Errungenschaften und Erfolge sind schön und bestaunenswert, gehören aber ins Museum. Wenn die deutsche Mannschaft heute Abend im Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadion auf Irland trifft (20.45, live in der ARD), geht es in der EM-Qualifikation bei Null los.

Vor acht Wochen hatte sich an diesem Ort die deutsche Mannschaft mit einem umjubelten 3:1 über Portugal den dritten WM-Platz gesichert. „Der zählt ab sofort nichts mehr. Die WM ist endgültig vorbei“, sagt Löw. Mit dem Spiel gegen Irland startet das „Projekt 2008“, das in zwei Jahren beim Turnier in Österreich und der Schweiz im Titelgewinn zu münden hat. „Das ist das höchste Ziel, das wir uns setzen können, aber dafür müssen wir jetzt die Qualifikation durchlaufen und bestehen“, sagt der Bundestrainer. „Dafür brauchen wir alle Konzentration und Kraft.“ Ein erfolgreicher Start ist Pflicht, denn im Anschluss folgen vier Auswärtsspiele in San Marino (6. September), der Slowakei (11. Oktober), Zypern (15. November) und Tschechien (24. März 2007). Vom WM-Flair dürfte dabei nichts mehr zu spüren sein. Das ist mühevoller Qualifikationsalltag – Neuland für fünf Spieler der jungen deutschen Mannschaft. Per Mertesacker, Manuel Friedrich, Lukas Podolski, Bastian Schweinsteiger und Marcell Jansen kennen Qualifikationsspiele nur aus dem Fernsehen.

„Wir müssen jetzt nach vorne schauen“, sagt Joachim Löw. Der Bundestrainer kennt die Gefahren, die nach einem rauschhaften Turnier lauern. „Wir müssen eine neue Motivation schaffen und jedem einzelnen Spieler muss es gelingen, dass er in sich eine neue Euphorie entfacht.“ Die Stimmung auf den Rängen im wiederum mit 53 000 Zuschauern ausverkauften Daimler-Stadion dürfte heute noch einmal WM-Form erreichen, aber spätesten kommenden Mittwoch in San Marino wird dieses verführerische wie tragende Element wegfallen. „Ich würde gern noch auf der WM-Euphorie weiter- schwimmen“, sagt Jens Lehmann. Die habe die Mannschaft schließlich weit gebracht, aber dafür muss erst einmal die Leistung auf dem Rasen stimmen. Der Torwart vom FC Arsenal weiß aber auch, dass das nicht so leicht werden dürfte. „Wenn einer damit rechnet, dass es ein leichtes Spiel wird, vertut er sich.“

In der Vergangenheit folgte nach großen Turnieren meist eine personelle Zäsur. Zehn EM-Teilnehmer von 2004 gehörten nicht mehr zum WM-Kader 2006. Klinsmann hatte in seinen zwei Amtsjahren Spieler wie Bobic, Jeremies, Ziege, Baumann, Brdaric, Wörns, Hamann und kurz vor dem Turnier auch noch Kuranyi, Ernst und Hinkel aussortiert. Nach der WM 2002 verließen neun Vize-Weltmeister freiwillig oder gezwungenermaßen das Nationalteam. Das waren Linke, Ramelow, Bode, Jancker, Rehmer, Butt, Böhme, Ricken und Bierhoff.

Die bisher letzte Qualifikation, die eine deutsche Nationalmannschaft bestritt, war jene für die Europameisterschaft in Portugal, im Anschluss an die WM 2002, die den Deutschen einen überraschenden zweiten Platz beschert hatte. Es war ein zäher Wettbewerb, der mit einem mühevollen 2:0-Sieg im September 2002 in Kaunas gegen Litauen begann. Es folgten die Rumpelauftritte gegen die Färöer und Island, die in der berühmten Käse-Mist- Scheißdreck-Rede des damaligen Teamchefs Rudi Völler ihren Tiefpunkt fanden.

Solche Ausfälle sind in der anstehenden Qualifikation eher unwahrscheinlich. „Die Mannschaft ist reifer geworden“, sagt Löw und verweist darauf, dass die jetzige Spielergeneration mit dem Druck und der Erwartungshaltung bis hin zur WM zurecht gekommen sei. „Deshalb werden wir gegen Irland ohne Nervosität, aber mit der nötigen Einstellung in das Spiel gehen.“

Tatsächlich könnte sich als Vorteil erweisen, dass im Unterschied der bisherigen Praxis kein personeller Umbruch nach der WM 2006 nötig war. Bis auf Oliver Kahn hat niemand seine Karriere in der Nationalmannschaft beendet. Selbst die wenigen Spieler jenseits der 30 wie Bernd Schneider, Jens Lehmann oder Oliver Neuville steuern mit Elan auf das nächste Turnier hin.

„Wieso aufhören?“, fragte unlängst der 32-jährige Schneider. Er fühle sich in der Form seines Lebens. „Ich glaube, dass ich dem Team helfen kann“, sagte Schneider. Ins Museum gehört so einer noch lange nicht.

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