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Sport: Die neidischen Nachbarn

EM-Sieg und Olympia in Athen machen die Türken sehr nachdenklich

Die roten Fahnen mit Halbmond und Stern und die weiß-blauen Flaggen mit dem Kreuz wehten in trauter Eintracht nebeneinander. Nach dem Triumph der griechischen Fußball-Nationalmannschaft bei der EM in Portugal feierten mehrere hundert griechische und türkische Fans gemeinsam auf dem Taksim-Platz im Herzen von Istanbul. Auch die türkische Presse freute sich: „Der Pokal steht jetzt auf der anderen Seite der Ägäis“, lautete eine Schlagzeile. Doch in die Freude mischt sich ein deutlicher Beigeschmack von Neid. „Ich würde lügen, wenn ich sagte, ich sei nicht neidisch gewesen“, bekannte einer der prominentesten Journalisten der Türkei, Mehmet Ali Birand, nach dem EM-Finale.

Griechenland, das mit seinen knapp elf Millionen Einwohnern weniger Einwohner hat als die türkische Metropole Istanbul, hat erreicht, wovon 70 Millionen Türken seit Jahren träumen: einen international bedeutenden Titel, der das Image des Landes im Westen mit einem Schlag verändert. Der dritte Platz der Türkei bei der WM 2002 war zwar ein Achtungserfolg, aber für die EM konnten sich die Türken nicht qualifizieren.

Der Fleiß der griechischen Fußballer bei der Vorbereitung der EM nötigt dem türkischen Team viel Respekt ab, die Trainerleistung Otto Rehhagels machte auch in der Türkei Schlagzeilen. Das hat nicht nur mit selbstloser Freude über einen erfolgreichen Nachbarn zu tun: Bei der bald beginnenden Qualifikationsrunde für die WM 2006 in Deutschland sind die beiden Nachbarn in einer Gruppe – am 8. September werden die Türken bei der ersten Begegnung in Griechenland zu Gast sein. Ein nettes Freundschaftsspiel wird das sicher nicht.

Nicht nur der Erfolg der Griechen beim Fußball lässt die Türken nachdenklich werden. Die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele ist ebenfalls ein Ereignis, das den Fernsehmoderator Birand von einem „guten Jahr für die Griechen“ schwärmen lässt. Als jetzt die olympische Flamme auf dem Weg nach Athen unter großem Jubel der Bevölkerung durch Istanbul getragen wurde, fragten sich viele Türken, warum es ihrem Land eigentlich nicht gelingt, selbst einmal die Olympischen Spiele auszurichten. „Statt Olympia kam die Flamme“, titelte eine Zeitung.

Der Chef des Nationalen Olympischen Komitees der Türkei, Togay Bayatli, musste sich im Fernsehen die Frage gefallen lassen, wann die seit mehr als zehn Jahren erfolglosen Bewerbungen Istanbuls um die Sommerspiele einmal den Durchbruch erleben würden. Grund für das chronische Scheitern seien die „Vorurteile der Europäer“, maulte Bayatli – dabei hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) eher auf Finanz- und Verkehrsprobleme hingewiesen. Angesichts der Verzögerungen bei den Bauprojekten in Athen sei das IOC aber auch im Fall Griechenlands ziemlich nervös geworden, fügte Bayatli in einem Seitenhieb auf den Nachbarn hinzu.

Dass die türkisch-griechische Harmonie ihre Grenzen hat, zeigte sich auch auf der geteilten Mittelmeerinsel Zypern. Nach diplomatischem Hin und Her entschied das griechische Olympische Komitee, die Flamme nicht in den türkischen Teil tragen zu lassen. Auch die EM führte auf Zypern zu Krach zwischen den Volksgruppen. Während in Istanbul gemeinsam gefeiert wurde, sollen in einem der wenigen von Griechen und Türken bewohnten Dörfer auf Zypern siegestrunkene Griechen auf das türkische Bürgermeisteramt geschossen haben.

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