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Sport: Die Nummer eins in Madrid

Im Schatten Reals hat Bernd Schuster den Vorstadtklub FC Getafe an die Spitze der spanischen Liga geführt

Getafe, das war bis vor kurzem nur einer von vielen Vororten der Metropole Madrid. 200 000 Menschen leben dort im Schatten der spanischen Hauptstadt. Der FC Getafe muss seine Heimspiele in der kleinsten Arena aller Vereine der Primera División austragen. Nicht einmal 20 000 Zuschauer passen ins Estadio Coliseum Alfonso Pérez. Wenige Kilometer entfernt steht das Bernabeu-Stadion, mit seinen 75 000 Sitzplätzen eine andere Fußballwelt. Dort feierte Bernd Schuster als Spieler mit Real zwei Meisterschaften. Heute, 15 Jahre später, ist der gebürtige Augsburger als Trainer in Madrid angekommen, wenn auch nur beim kleinen, bislang wenig beachteten FC Getafe.

Doch seitdem Bernd Schuster als Trainer in Getafe arbeitet, erfährt der Verein ungewohnte Wertschätzung. Nach dem 2:1-Sieg am sechsten Spieltag gegen den FC Valencia führt der Abstiegskandidat die Tabelle an. „Getafe Mönchengladbach“ titelte die Sportzeitung „As“ und fühlt sich an den Power-Fußball von Borussia Mönchengladbach in den Siebzigerjahren erinnert. Schuster nimmt das wohlwollend zur Kenntnis, weiß aber, dass die Stimmung in der Medienstadt Madrid schnell wieder umschlagen kann. „Diese Euphorie muss man ausnutzen, das beflügelt alle im Verein“, sagt der 45-Jährige am Telefon. „Irgendwann werden wir wieder im grauen Liga-Alltag ankommen.“

So war es in der vergangenen Saison. Schuster lag mit dem Aufsteiger Levante UD lange Zeit auf einem Champions-League-Platz. Auch damals wurde er zunächst gefeiert. Doch dann kam der Einbruch. Als Levante nach unten durchgereicht wurde, machte der Klub-Präsident Pedro Villarroel allein den deutschen Trainer dafür verantwortlich. „Ich war an allem schuld“, erinnert sich Schuster, „sogar wenn es geregnet hat.“ Es entwickelte sich ein Kleinkrieg, der darin gipfelte, dass der Präsident statt des vom Trainer geforderten Stürmers einen neuen Torwart verpflichtete und Schuster diesen nur auf die Ersatzbank setzte. Vier Spieltage vor Saisonende folgte die Entlassung.

Bei Getafe herrsche ein ganz anderes Klima. „Ich spreche viel mit Herrn Torres, dem Präsidenten. Wir packen die Dinge gemeinsam an“, erzählt Schuster. Getafe ist seine sechste Trainerstation nach Fortuna Köln, 1. FC Köln, CD Xerez, Schachtjor Donezk und Levante UD. Der große Wurf war ihm bis dahin nirgends geglückt. Wie in Levante wurde Schuster bei Schachtjor Donezk zuerst gefeiert und dann wegen vermeintlicher Unfähigkeit entlassen. „Hier in Getafe bin ich glücklich“, sagt er. Dabei sind die finanziellen Möglichkeiten beim Vorort-Club vergleichsweise bescheiden. Viele Spieler sind nur von den großen Klubs ausgeliehen. Zwölf Neulinge musste Schuster einbauen. Erfahrene Spieler wie der Rumäne Contra oder der Argentinier und Ex-Schalker Matellán sollen der jungen Mannschaft Sicherheit geben. „Die Arbeit hier macht unheimlich viel Spaß“, sagt der sonst so zurückhaltende Schuster. „Schade, dass ich mich das Jahr zuvor nicht gleich für Getafe, sondern für Levante entschieden habe. Beide Optionen waren damals möglich. Den Ärger bei Levante hätte ich mir sparen können.“

Schusters Vertrag mit Getafe beinhaltet eine Ausstiegsklausel für die Bundesliga. Schon vor dieser Saison war Schuster beim VfL Wolfsburg im Gespräch. „Ich hatte unglaubliche Lust auf die Bundesliga“, sagt er. Der Wolfsburger Manager Thomas Strunz entschied sich dann aber für Holger Fach. Warum? Schuster kann es sich nicht erklären. Möglicherweise lag es daran, dass Bernd Schuster allgemein als schwieriger Typ gilt. „Ich bin ein sehr reservierter Mensch“, sagt der 21-malige Nationalspieler, der als 23-Jähriger dem DFB nach Streitereien mit Bundestrainer Jupp Derwall den Rücken kehrte. „Es dauert ein bisschen, bis ich auftaue. Ich versuche aber daran zu arbeiten. Und ich habe mich auch schon geändert.“ Als Trainer, der mit vielen verschiedenen Menschen umgehen müsse, bleibe ihm gar keine andere Wahl.

Leute, die Schuster besser kennen, beschreiben ihn als umgänglichen Zeitgenossen. „Der Bernd ist ein sehr feiner Typ“, sagt beispielsweise Heiner Schuhmann, Schusters ehemaliger Jugendtrainer beim FC Augsburg. Beide telefonieren öfter miteinander und haben sich in Spanien auch schon getroffen. Trotz aller Erfolge als Spieler sei Bernd Schuster eine sehr bescheidene Person geblieben, sagt Schuhmann. „Bis vor wenigen Jahren hat Bernd mich immer noch mit ‚Herr Schuhmann’ angesprochen. Ich habe ihm dann das Du angeboten.“

Heiner Schuhmann zählt zu jenen wenigen Menschen aus der alten Heimat, zu denen Schuster Kontakt gehalten hat. Auf die Frage, wann er denn das letzte Mal in seiner Geburtsstadt Augsburg gewesen sei, muss Schuster einen Augenblick lang nachdenken. „Das war wohl beim Pokalspiel mit Bayer Leverkusen gegen den FC Augsburg.“ Zwölf Jahre ist das jetzt her. Bei seinen gelegentlichen Reisen nach Deutschland fehle ihm einfach die Zeit für einen Abstecher nach Augsburg. Nur vier bis fünf Mal im Jahr ist der Weltenbummler in seinem Haus im Bergischen Land anzutreffen, dort, wo Ehefrau Gabi mit einer von zwei Töchtern wohnt. Die andere Tochter und die beiden Söhne leben in Amerika. Gabi Schuster kommt alle zehn Tage nach Madrid. Geht es nach ihrem Mann, dann wird sich an dieser Fernbeziehung in nächster Zeit nichts ändern. „Ich kann mir durchaus vorstellen, auch nächste Saison Getafe zu trainieren“, sagt Bernd Schuster.

Dabei gab es in der spanischen Hauptstadt schon Stimmen, die nach Real Madrids durchwachsenem Start fanden, der beim kleinen Nachbarklub so erfolgreiche Deutsche solle den glücklosen Brasilianer Wanderley Luxemburgo als Trainer ablösen. Derzeit kann Bernd Schuster über derlei Spekulationen nur lächeln, auch weil sich die Konkurrenz von Real inzwischen wieder gefangen hat. „Natürlich möchte ich als Trainer irgendwann mal vor einem Spiel die Champions-League-Hymne hören“, sagt Schuster. „Aber das hat noch Zeit.“ Dann denkt er kurz nach und fügt hinzu: „Aber sollte Real auf mich zukommen, stehe ich da natürlich am nächsten Tag auf dem Trainingsplatz.“

Roland Wiedemann[Augsburg]

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