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Vergoldet. Hinrich Romeike im olympischen Rausch.

© AFP

Die Olympiasieger von 2008: Mit Gold zum Pulmologenkongress

Viele Sportler gewinnen eine olympische Goldmedaille quasi im Nebenberuf. Doch was kommt nach dem kurzen Ruhm? Für manche wird dann der Alltag zum Segen – das erzählen die Sieger von 2008.

Eine Woche vor Olympia ist Hinrich Romeike völlig entspannt. Mit dem Auto fährt er durch die schleswig-holsteinische Provinz zu einem Reitturnier. Nicht, weil er selbst dort antritt, sondern weil er seinen 19-jährigen Sohn anfeuern will. 16 Goldmedaillen hat die deutsche Mannschaft 2008 in Peking gewonnen, Hinrich Romeike holte im Vielseitigkeitsreiten zwei davon, im Einzel und mit der Mannschaft. Nach vielen Verletzungen entließ er sein goldenes Pferd Marius Anfang 2012 nun in den Ruhestand. Und ohne Marius kein Olympia.

Hinrich Romeike ist einer von 16 deutschen Olympiasiegern, die ihren Titel in London nicht verteidigen werden. Damit gehört er zur Minderheit. 23 der insgesamt 39 amtierenden deutschen Titelträger werden auch 2012 wieder antreten. Doppelolympiasiegerin Britta Steffen wird sich ins Londoner Wasser stürzen, Matthias Steiner wird die olympischen Gewichte auf der Insel in die Höhe wuchten, der Großteil der Hockeynationalmannschaft der Männer wird im britischen Olympiapark den Schläger schwingen, Lena Schönenborn will ihren Titel im Modernen Fünfkampf verteidigen, Benjamin Kleibrink und Britta Heidemann im Fechten, Jan Frodeno im Triathlon, Ole Bischof im Judo, Sabine Spitz mit ihrem Mountainbike. Doch was machen eigentlich diejenigen, die nicht mehr dabei sind?

„Für mich hat sich nicht viel verändert“, sagt Hinrich Romeike. „Vor dem Olympiasieg war ich Zahnarzt, und heute bin ich immer noch Zahnarzt.“ Romeike hat das Reiten nur als Hobby betrachtet, hatte nie vor, damit Geld zu verdienen. Er führt die Zahnarztpraxis in Rendsburg fort, die sein Großvater 1929 gegründet hat. Darauf ist er genauso stolz wie auf seine Goldmedaillen. Für den 49-Jährigen gab es immer mehr als nur den Sport. Das war Wunsch und Notwendigkeit zugleich.

Nur die olympischen Superstars haben nach dem Sport ausgesorgt. Sprinter Usain Bolt und Schwimmer Michael Phelps müssen sich aufgrund lukrativer Werbeverträge um ihre Zukunft wohl keine Sorgen mehr machen. Für viele Tennisspieler, Radprofis und Fußballer gilt das gleichermaßen. Für die meisten deutschen Athleten aber reicht das Einkommen mit etwas Glück für die Karriere, das Leben danach ist gerade in den olympischen Kernsportarten ein großes Thema.

„In Berlin haben wir viele Weltmeister, aber in diesen Sportarten wird man nicht reich“, sagt Dorota Lounici. Sie leitete die Laufbahnberatungsstelle am Berliner Olympiastützpunkt (OSP). Gemeinsam mit den Trainern versucht sie möglichst früh mit der Berufsorientierung der Athleten zu beginnen, manchmal schon in der neunten Klasse. Die Berufsberater versuchen einen individuellen Weg für jeden Sportler zu finden. Sei es die Sportfördergruppe der Bundespolizei oder der Bundeswehr, ein Studium oder eine Berufsausbildung. Viel hängt von den Fähigkeiten und Neigungen der Sportler ab. In Berlin kooperiert der OSP mit acht Hochschulen, die den Sportlern mit längeren Studienzeiten, dem Verschieben von Klausuren und Flexibilität bei den Fehlzeiten entgegenkommen. Sportler ohne Abitur können an der bbw-Akademie eine verlängerte kaufmännische Ausbildung in einer reinen Sportlerklasse absolvieren.

Olympiasieger sind weniger anfällig für Drogenprobleme

Fechterin Britta Heidemann hatte bereits vor ihrer Goldmedaille ihr Studium der chinesischen Regionalwissenschaften abgeschlossen, spricht fließend Chinesisch und arbeitet freiberuflich als Unternehmensberaterin. Schwimmerin Britta Steffen hat kürzlich ihr Wirtschaftsingenieurstudium in Berlin abgeschlossen.

Auffällig ist, dass von Alkohol- oder Drogenproblemen, von Geldnöten oder sonstigen Abstürzen bei Olympiasiegern wesentlich seltener zu lesen ist als beispielsweise bei Fußballstars. Achim Conzelmann hat das in den neunziger Jahren wissenschaftlich bestätigt: Unter 616 erfolgreichen Olympiateilnehmern (Platz eins bis sechs) fand er nur 28 Problemfälle. Der Sportwissenschaftler begründet das vor allem damit, dass die meisten Olympioniken keine Profisportler sind. „Probleme treten vor allem dann auf, wenn die Sportler sehr erfolgreich waren und ihr kognitives Potenzial nicht ausreicht, um daraus etwas zu machen“, erklärt er. Wenn die beruflichen Fähigkeiten deutlich hinter den sportlichen zurückfallen, kann das zu einer hohen Unzufriedenheit führen.

Die Gefahren haben sich jedoch mit der Zahl der Profisportler bei Olympia erhöht. Tennisspieler oder Radprofis haben aufgrund der hohen Reisebelastung gar nicht die Zeit, eine Ausbildung zu machen. „Und sie haben nicht die finanzielle Notwendigkeit.“ Doch nur die wenigsten haben nach ihrer Karriere so viel verdient, dass es bis zum Lebensende reicht. Conzelmann rät ihnen beispielsweise Sprachzertifikate zu erwerben.

Bei anderen Sportarten wie Kanu ist es einerseits logistisch nicht notwendig, rund um die Uhr ein Sportlerleben zu führen, es ist aber auch nicht möglich, weil das Geld dafür nicht reicht. Slalomkanute Alexander Grimm, vielen noch als der erste deutsche Olympiasieger in Peking in Erinnerung, begann beispielsweise kurz nach den Spielen sein Maschinenbaustudium. Sportlich ist es für ihn eine große Enttäuschung, dass er die Qualifikation für London nicht schaffte. Doch sein Leben wird sich dadurch nicht grundlegend ändern. „Weil wir alle einen Beruf haben, sind wir nicht so verbissen“, sagt Romeike. „Das ist vielleicht das Geheimnis.“

Denn ein Olympiasieg könne schon ein „kritisches Ereignis“ sein, sagt Achim Conzelmann. Gold kann ein Leben verändern, positiv wie negativ.

Hinrich Romeike bezeichnet die vier Wochen nach Olympia als „tolle“ Zeit – toll, weil er sich wie im Tollhaus fühlte. Die absurdesten Anfragen erreichten ihn, von der Eröffnung eines Autohauses bis zur Rede bei einem Pulmologenkongress. Den Winter danach erlebte er als eine einzige große Party. Überallhin eingeladen, immer im Mittelpunkt. „Man kann einen Olympiasieg ein Leben lang ausschlachten“, sagt Conzelmann. „Dafür muss man aber sehr geschickt und clever sein.“

Es gibt jedoch auch Sportler, die mit diesem „Bedeutungsüberschuss“ nicht klarkommen. Vor allem in Sportarten, die nach Olympia wieder in den Hintergrund rücken, sagt Conzelmann. „Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn ich das mit 25 erlebt hätte und nicht mit 45“, sagt Romeike. „Diese Aufmerksamkeit ist brutal, es dauert, bis man versteht, dass das in Wirklichkeit nicht so wichtig ist.“

Hinrich Romeike reitet noch fast jeden Tag. Gerade jetzt, kurz vor Olympia, juckt ihn die Herausforderung schon. Und sollte er wieder ein talentiertes Pferd finden, er würde es sofort wieder machen.

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