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Sport: Die perfekten Fußballer

Der FC Twente Enschede lockt deutsche Jugendliche an und bildet sie aus – manchmal für die Bundesliga

Enschede. Arend van der Wel durfte das, was sonst niemand durfte: im Wohnzimmer Fußball spielen. Und zwar mit ausdrücklicher Genehmigung von Mutter Cziommer. Vielleicht hat sie geahnt, dass nichts passieren würde. Van der Wel hat früher für Ajax Amsterdam in der ersten Liga gespielt, und die Bälle landeten genau da, wo sie landen sollten. Als van der Wel mit seiner Vorführung fertig war, hat er Simon Cziommer gefragt, ob er das auch können wolle.

Acht Jahre sind seither vergangen. Cziommer ist 22 und hat bis Saisonende selbst in der Ehrendivision gespielt. Danach ist der Mittelfeldspieler von Twente Enschede zu Schalke 04 gewechselt. Zurück in die Heimat. Cziommer ist Deutscher, ist in Deutschland aufgewachsen, wohnt in Deutschland. Mit 14 aber ist er vom FC Schüttorf in Niedersachsen über die Grenze gegangen. Es gab auch deutsche Klubs, die ihn damals gerne geholt hätten; das Angebot aus Enschede fand Cziommer überzeugender: „Wir machen einen besseren Fußballer aus dir.“

Es klingt wie ein Klischee: Man nehme einen Jungen mit deutscher Siegermentalität, bringe ihm holländische Technik bei – und fertig ist der perfekte Fußballer. So in etwa stellt sich das auch der FC Twente vor. Seit drei Jahren durchforstet er systematisch sein deutsches Hinterland, um talentierte junge Fußballer zu finden. Elf Deutsche spielen in den Mannschaften des Ehrendivisionärs.

Im Büro von Issy ten Donkelaar, Twentes Jugendmanager, hängt eine Karte der Niederlande an der Wand. Um Enschede ist ein Kreis mit einem Radius von 70 Kilometer gezogen, fast die Hälfte liegt auf deutschem Gebiet. „Wir wollen die besten Spieler der Region in unseren Jugendteams haben“, sagt ten Donkelaar, „ob das Deutsche oder Niederländer sind, ist uns egal.“ Simon Cziommer ist der Erste, der aus dieser bilateralen Ausbildung hervorgeht. Als er nach Enschede kam, sprach er kein Wort Niederländisch, seine neuen Mitspieler hatten ganz andere Klamotten an als seine Mitschüler in Deutschland, stellten ihm Fragen, die er nicht verstand, und wenn Cziommer ja sagte, weil er dachte, dass ja die richtige Antwort sei, fingen sie an zu lachen. „Ich bin super empfangen worden“, sagt Cziommer.

Schon bei den Jugendlichen sind die fußballerischen Unterschiede gewaltig. „Bei der Technik und im taktischen Verhalten sind wir Deutschen so was von im Nachteil“, sagt Jürgen Spill. Er ist einer von vier Scouts, die in Deutschland nach talentierten E-Jugendlichen für Twente suchen. Manuel Schupp aus der zweiten Mannschaft des Klubs hat die Unterschiede selbst erlitten. Mit seiner deutschen Kreisauswahl hat er vor vier Jahren gegen die C-Jugend von Twente gespielt. „Körperlich waren wir denen weit überlegen“, sagt Schupp. Trotzdem gewannen die Holländer 7:1. Ten Donkelaar findet, dass die Niederländer mündiger seien, offener, auf dem Platz manchmal auch brutaler. Die Deutschen hingegen hätten mehr Respekt vor Hierarchien und seien disziplinierter. „Das passt doch ausgezeichnet.“

Dass Twente in der Ehrendivision spielt und nicht in der Bundesliga, ist für die Deutschen nicht wichtig. Wichtig ist die Nähe. Die jungen Spieler können weiter zu Hause wohnen. „Wir bilden strukturell aus“, sagt Jugendmanager ten Donkelaar. Offensichtlich mit Erfolg: Holland hat etwa so viele Einwohner wie Nordrhein-Westfalen, aber vermutlich mehr bessere Fußballer als ganz Deutschland. „Der Fußball ist hier perfekt organisiert, uns kann kein Talent durch die Lappen gehen.“ Man könnte auch sagen: Uns darf kein Talent durch die Lappen gehen. Schon deshalb spielt die Nachwuchsarbeit in den Niederlanden eine wichtige Rolle. Bei Twente hat jede Jugendmannschaft einen eigenen Trainingsplatz.

Simon Cziommer war 19, als er in der Ehrendivision debütierte – für niederländische Verhältnisse ein hohes Einstiegsalter. Huub Stevens, Herthas Trainer, hat mit 16 in der Ersten Liga gespielt. Der Sprung von der Jugend zu den Profis ist in Holland leichter. „Mit 17, 18 in der Ersten Liga zu spielen, ist in Deutschland unmöglich“, sagt ten Donkelaar. Ihm kann das nur recht sein, zumal Schalke gern in Twentes deutschem Einflussgebiet wildert. Da wollen auch andere Klubs nicht nachstehen. Vor einem Jahr warb Borussia Dortmund den deutschen U-15-Nationalspieler Simon Brüning aus Enschede ab.

Cziommer ist nun der nächste, der nach Deutschland zurückgekehrt ist. In Schalke freuen sie sich über fertige Spieler wie ihn. Am Samstag erzielte Cziommer in Moldawien das erste Siegtor für seinen neuen Verein. Im Hinspiel der dritten Runde des UI-Cups traf Cziommer bei Dacia Chisinau zum 1:0 für Schalke.

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